Beobachter: Haben Sie ein mulmiges Gefühl, wenn Sie an die SAir-Pressekonferenz vom 2. April denken?
Vreni Spoerry: Der Präsident wird an diesem Tag über alle Daten, die ihm bis dahin zur Verfügung stehen, informieren und einen Ausblick geben. Es ist wichtig, dass ein Gesamtbild gezeichnet wird.

Beobachter: Haben Sie als SAir-Verwaltungsrätin alles richtig gemacht?
Spoerry: Es ist klar: Der Verwaltungsrat ist verantwortlich für die Strategie eines Unternehmens. Wenn diese geändert werden muss, weil sie nicht zum erwarteten Erfolg geführt hat, stellt sich die Frage, ob und wie weit das die Folge mangelnder Sorgfalt oder von sonstigen Fehlern des Verwaltungsrats ist. Wir im Verwaltungsrat sind der Ansicht, wir hätten unsere Arbeit pflichtgemäss gemacht. Wenn aber Zweifel bestehen, kann das untersucht werden.

Beobachter: Aber Sie persönlich, haben Sie sich
etwas vorzuwerfen?
Spoerry: Ich habe meiner Antwort von vorhin nichts beizufügen.

Beobachter: Verwaltungsrat und CS-Chef Lukas Mühlemann hat zum Beispiel erklärt, dass er gegen die gescheiterte «Hunter-Strategie» gewesen sei.
Spoerry: Da wurde er wohl falsch interpretiert. Der Verwaltungsrat hat diese Strategie gesamthaft vertreten. Das ist bekannt.

Beobachter: Sind Sie als Juristin und Nicht-Ökonomin denn in der Lage, in der Führung eines so grossen Wirtschaftsunternehmens wie der SAir mitzuwirken?
Spoerry: Diese Frage müssen Sie jenen stellen, die mich Ende der achtziger Jahre berufen haben. Ich bewarb mich nicht um das Mandat und suchte es nicht. Ich wurde vom Verwaltungsrat vorgeschlagen und von den Aktionärinnen und Aktionären gewählt – im Wissen darum, was ich geleistet habe und wer ich bin. Nicht jeder muss eine Harvard Business School besucht oder ein eigenes Unternehmen geführt haben. Als Verwaltungsrat hat man das technische und das finanzielle Know-how der Firma zur Verfügung – und für das operative Geschäft ist die Geschäftsleitung zuständig.

Beobachter: Also ist der Verwaltungsrat ein Kopfnickergremium, das einfach die Vorgaben des Managements absegnet?
Spoerry: Der Verwaltungsrat hat in Aktiengesellschaften gesetzlich vorgeschriebene Rechte und Pflichten. Das Bild von Verwaltungsräten, die an der Zigarre ziehen und vor sich hin dösen, stammt aus einer Zeit, als man noch riesige Gremien hatte, die selten tagten. Heute ist das anders.

Beobachter: In der Regel werden Politiker nicht wegen ihrer Sachkompetenz in Verwaltungsräte gewählt, sondern zur Beziehungspflege und fürs Lobbying.
Spoerry: Man kann die Wirtschaft nicht von der Politik und von der Gesellschaft trennen. In einem Land, wo fast alle Gremien aus nebenamtlich tätigen Politikerinnen und Politikern zusammengesetzt sind, hat jeder nicht vollamtlich tätige Politiker ein Beziehungsnetz in der Wirtschaft – sei es als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Anderseits operieren Unternehmen nicht auf der grünen Wiese, sondern sind in ein politisches Umfeld und in eine gesellschaftliche Verantwortung eingebunden. Politische Erfahrung in einen Verwaltungsrat einzubringen ist daher wichtig.

Beobachter: Sollen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier alle ihre Mandate in Unternehmen offen legen?
Spoerry: Hundertprozentig. Sowohl Wählerinnen und Wähler wie auch Aktionärinnen und Aktionäre, die einen Verwaltungsrat wählen, müssen das Beziehungsfeld kennen.

Beobachter: Und wie steht es mit der Bekanntgabe von Verwaltungsratshonoraren?
Spoerry: Damit habe ich überhaupt kein Problem. In Anlehnung an Immanuel Kant meine ich: Alles, was du tust, soll morgen auch in der Zeitung stehen dürfen.

Beobachter: Wie viele Sitzungen absolviert denn ein SAir-Verwaltungsrat, und was verdient er dabei?
Spoerry: Früher waren es vier bis fünf Sitzungen pro Jahr. Seit der Verwaltungsrat deutlich verkleinert wurde, traf er sich viel häufiger. Seit zwei Jahren werden SAir-Verwaltungsräte mit 50 Aktien pro Jahr entschädigt; derzeit entspricht das 9000 Franken. Je nach Kurs ist es mehr oder weniger. Das war auch die Absicht – nämlich den Verwaltungsrat mehr in die finanzielle Lage der Swissair einzubinden. Hinzu kommen ein Sitzungsgeld von 800 Franken pro Tag und unbegrenzt Freiflüge erster Klasse.

Beobachter: Lukrativer sind Ihre Verwaltungsratsmandate bei der Credit Suisse mit rund 180000 Franken und bei Nestlé mit 262000 Franken pro Jahr. Stimmen die Zahlen?
Spoerry: Ja. Ich finde diese Entschädigungen hoch, aber sie sind seit Jahren konstant. Zudem haben nebenamtliche Verwaltungsräte keine Boni, keine Pension und keine Abgangsentschädigung. Die Summe misst sich an der Bedeutung der Unternehmen und am Risiko, das die Verwaltungsräte tragen.

Beobachter: Wie viel Zeit wenden Sie insgesamt für Ihre Verwaltungsratsmandate auf?
Spoerry: Ich arbeite viel – gut die Hälfte für die Politik, den Rest als Verwaltungsrätin.

Beobachter: Als Ständerätin sollten Sie sich von der Sozial- über die Umwelt- bis zur Steuerpolitik auskennen. Daneben
tragen Sie Verantwortung für drei Weltfirmen und präsidieren diverse Organisationen. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Spoerry: So ist das Wesen des Milizparlaments. In der Schweiz sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ineinander verflochten; also ist es unabdingbar, dass man in der Politik etwas von der Wirtschaft versteht und umgekehrt. Ich hätte aber mindestens doppelt so viele Verwaltungsratsmandate annehmen können, als ich besitze. Doch ich habe mich bewusst beschränkt.

Beobachter: Immerhin vertreten Sie mit Ihren drei Mandaten das grösste Aktienkapital unter der Bundeskuppel: fünf Milliarden Franken.
Spoerry: Früher war ich Verwaltungsrätin in unserem kleinen Familienunternehmen, und ich muss Ihnen sagen, das gab nicht weniger zu tun als in grossen Firmen. Je kleiner die Firma ist, umso mehr Details muss der Verwaltungsrat regeln.

Beobachter: Sie haben mehr als 500000 Franken Bruttoeinkommen im Jahr. Verlieren Sie da nicht das Sensorium für die Sorgen von Leuten, die einen Zehntel dieser Summe verdienen und damit eine Familie ernähren müssen?
Spoerry: Ich kann mich gut in die Situation anderer Leute versetzen. Ich bin durch eine harte Lebensschule gegangen und mache aufgrund dieser meine Arbeit. Diese ist transparent: Die Wählerinnen und Wähler können entscheiden, ob ich mich für Einzelinteressen oder für das Ganze einsetze.

Beobachter: Viele Leute sind schlicht empört über die überrissenen Saläre und Boni von Managern. Gehälter, die über einem Bundesratslohn liegen, sind doch nicht mehr normal?
Spoerry: Die Löhne des Managements richten sich nach der internationalen Marktlage und werden auch von Amerika beeinflusst. Es gibt dafür keine gesetzlichen oder statutarischen Obergrenzen. Aber auch ich bin der Meinung, dass es Übertreibungen gibt, die unserem System schaden.

Beobachter: Sollte es nicht wenigstens für «nationale» Betriebe wie Post, SBB, Swisscom oder auch die Swissair Anstandsgrenzen geben?
Spoerry: Sicher muss es eine Anstandsgrenze geben, und zwar auch bei der Swissair, die ein rein privatrechtlicher Betrieb ist. Ich vertrete aber die Meinung, dass staatliche Betriebe gute Leute benötigen. Also muss sich der Lohn danach richten, ob diese Person in der Privatwirtschaft für die gleiche Leistung nicht sehr viel mehr erhalten könnte. Das dürfte nicht überall der Fall sein. Ich finde, die Leute müssen es vor sich selber und vor der Öffentlichkeit verantworten können. Es ist auch eine Frage der politischen Sensibilität.

Beobachter: Nicht selten führen aber gerade solche hoch dotierten Manager ihre Firmen schlecht oder lassen sie in ein finanzielles Desaster schlittern.
Spoerry: Dann riskieren diese Manager ihre Stelle und ihren Ruf. Wenn sie Pflichten verletzt haben, können sie gemäss Arbeitsvertrag zur Verantwortung gezogen werden. Die Arbeit zu verlieren und den Stempel des Versagers zu haben ist nicht mit Geld aufzuwiegen.

Beobachter: Es wird aber mit Geld aufgewogen.
Spoerry: Oft erhalten Manager, die in ihren Firmen Mist gebaut haben, einen goldenen Fallschirm in Form einer Abgangsentschädigung umgehängt.

Beobachter: Jeder Manager hat einen Arbeitsvertrag. Wenn darin etwas über den Abgang festgehalten ist, müssen die Verträge eingehalten werden. Doch die Aktionärinnen und Aktionäre einer Firma können dafür sorgen, dass sie die richtige Auskunft erhalten, etwa im Rahmen einer Sonderprüfung.
Spoerry: Wenn ein kleiner Angestellter einen Fehler macht, wird er entlassen. Ein gescheiterter Manager aber erhält Millionen hinterhergeworfen. Das ist doch nicht fair!
Ich glaube nicht, dass man dies generell so sagen kann. Ich teile die Meinung, dass eine Unternehmung eine soziale Verantwortung hat. Und wenn man einem gescheiterten Manager Pflichtverletzungen nachweisen kann, haftet er dafür – genau wie ein Verwaltungsrat.

Beobachter: Bei der SAir wurde Philippe Bruggisser entlassen, weil er die falsche Strategie einschlug. Dennoch erhielt er eine fürstliche Abgangsentschädigung.
Spoerry: Das ist mir nicht bekannt.

Beobachter: Oft sind Abgangsentschädigungen auch ein Schweigegeld, damit der Verwaltungsrat seine gescheiterte Strategie dem entlassenen Manager in die Schuhe schieben kann.
Spoerry: Das trifft so nicht zu. Wenn jemand Pflichten verletzt hat, kann er sich nicht durch ein Schwarzpeterspiel reinwaschen.

Beobachter: Waren Sie beteiligt bei der Abgangsentschädigung für den interimistischen SAir-Konzernchef Eric Honegger?
Spoerry: Nein. Aber ich weiss, dass die genannten Zahlen völlig falsch sind.

Beobachter: Befürworten Sie eine Offenlegung von Abgangsentschädigungen?
Spoerry: In Einzelfällen, ja. Eine rechtliche Verpflichtung gibt es aber nicht. Gerade bei öffentlichen Unternehmen ist jedoch eine freiwillige Transparenz für die betroffenen Personen wie auch für das Unternehmen besser als unwidersprochene Gerüchte.

Beobachter: Bei den Managerlöhnen stellt man gern internationale Vergleiche an. Geht es aber um die Transparenz, will man nichts von amerikanischen Verhältnissen wissen; dort herrscht nämlich eine grosse Offenheit über die Zahlen.
Spoerry: Amerikaner haben überhaupt eine andere Einstellung zum Geld. In Europa und in der Schweiz gibt es anderseits eine gesetzlich geschützte Privatsphäre.

Beobachter: Die einen scheffeln Millionen, den andern reicht der Lohn nicht zum Leben. Steht für Sie nicht der soziale Frieden auf dem Spiel, wenn sich die Lohnschere weiter öffnet?
Spoerry: Ich bin auch nicht glücklich über diese Entwicklung. Jede Übertreibung macht ein System kaputt. Mir liegt viel am System der freien Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung. Im Sinne der Verantwortungsethik muss der Unternehmer für das Unternehmen sorgen, aber selbstverständlich auch für den Rest der Belegschaft. Wenn das nicht geschieht, ist der Bestand des Unternehmens langfristig gefährdet.