«Als ich dieses Inserat sah, war ich wie elektrisiert. Ich wusste sofort: Das ist es!» So beschreibt Waltraud Leisi den magischen Moment, als sie nach jahrelangem Suchen nach einer beruflichen Neuorientierung schliesslich fündig wurde. Die Personalfachfrau war 28 Jahre bei einer Grossbank angestellt und hatte intern immer wieder interessante Stellen angeboten bekommen. Den Wunsch nach einer erneuten Ausbildung hatte sie zwar schon lange. Doch der Berufsalltag liess ihr keine Zeit, sich damit auseinander zu setzen. Doch als die Bank schliesslich reorganisiert wurde, nahm sie trotz verlockenden Angeboten keine neue Stelle mehr an, weil sie sich in Ruhe um den nächsten beruflichen Schritt kümmern wollte.

Nach einer längeren Reise besuchte Waltraud Leisi eine Laufbahnberatung. Parallel dazu studierte sie intensiv den Stellenanzeiger. Und da kam es, das ausschlaggebende Inserat. «Ausgeschrieben war eine Stelle für betriebliche Sozialarbeit», erinnert sich Leisi. «Ich war sofort begeistert, und die Idee liess mich nicht mehr los.» Und so begann sie mit 46 Jahren die Ausbildung an der Hochschule für soziale Arbeit in Zürich, die sie im Sommer 2003 abschliessen wird. «Den Entscheid, diese Schule zu machen, habe ich noch keinen Augenblick bereut», sagt sie.

Sinn des Lebens neu definieren

Waltraud Leisi ist kein Einzelfall. In der Lebensmitte kommt es häufig vor, dass lang gehegte, aber immer wieder beiseite geschobene Wünsche an die Oberfläche drängen und nach Realisierung rufen. Das Bewusstsein, dass das Leben endlich ist, gibt diesem Prozess den nötigen Schub.

Das bestätigt Martin Ziltener, Berufs- und Laufbahnberater aus Basel: «In diesem Alter geht es bei einer Laufbahnberatung meist um mehr als um eine reine Informationsvermittlung. Die Menschen kommen oft mit eigentlichen Sinnfragen. Zum Beispiel: Wars das schon? Oder welche Möglichkeiten habe ich, beruflich nochmals ein Ziel zu formulieren und zu verwirklichen?»

Auch der zunehmende Druck und Stress in der heutigen Berufswelt sind häufige Motive für eine Laufbahnberatung in diesem Lebensabschnitt. Zudem wollen viele Menschen nicht länger Spielball der Entscheidungsträger in ihrem Arbeitsumfeld sein, sondern ihr Schicksal selber in die Hand nehmen.

In einer Laufbahnberatung bestimmen Kunde und Beraterin gemeinsam ein Beratungsziel. Dann folgt eine Standortbestimmung – im Gespräch, mit Tests und anderen Arbeitsmitteln. Wünsche und Träume sollen ohne Schere im Kopf geäussert werden, bevor sie auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft werden. Die Beraterin unterstützt den Entscheidungsfindungsprozess des Kunden, den Entscheid fällt dieser jedoch selbst.

Eine berufliche Neuorientierung läuft kaum je schnell ab. Vom aufkeimenden Wunsch bis zur Verwirklichung des neuen Ziels gehen nicht selten ein paar Jahre ins Land. Dass es dabei auch Durststrecken zu überwinden gibt, lange Phasen, in denen nicht klar ist, wie es weitergehen soll, macht den Prozess nicht weniger anspruchsvoll.

Häufig skeptische Reaktionen

In einer solchen Phase steckt zurzeit Angela Seiler, Mutter zweier Kinder. Nach einer Lehre als medizinische Praxisassistentin wechselte sie einige Male die Stelle, stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Jetzt, nach der Familienphase, möchte sie wieder eine Teilzeitstelle oder eine Ausbildung in Angriff nehmen. Ihre Interessen sind breit gefächert: unter anderem Architektur, Psychologie und Homöopathie. Doch noch fehlt ihr die zündende Idee für die geeignete Umsetzung im beruflichen Alltag. In einer Persönlichkeitsberatung hofft sie, Anstösse zu erhalten. Daneben setzt sie sich in Eigenregie anhand eines Buchs mit ihren Stärken und Schwächen auseinander.

Auch Martin Ziltener weiss aus eigener Anschauung, was es braucht, bis eine berufliche Neuorientierung in die Tat umgesetzt werden kann. Bei ihm dauerte dieser Prozess nicht weniger als zehn Jahre. Zuletzt Geschäftsleitungsmitglied in einem Detailhandelsunternehmen, begann er, kurz bevor er 40 wurde, eine berufsbegleitende Ausbildung zum Berufs- und Laufbahnberater. Die Reaktionen des Umfelds auf diesen Entscheid fielen unterschiedlich aus: Die einen – dazu gehörte auch sein Sohn – konnten es einfach nicht verstehen, dass er eine gute Position mit gesichertem Einkommen aufgeben wollte, und begegneten ihm anfänglich mit Skepsis. Andere hingegen beglückwünschten ihn zu seinem Entscheid und bestärkten ihn.

Heute ist Ziltener in seinem neuen Beruf glücklich – umso mehr, als er nun andere Menschen in einem Prozess unterstützen kann, den er persönlich erfolgreich abgeschlossen hat

Weitere Infos:

  • Die Adressen der öffentlichen Berufsberatungsstellen und Berufsinformationszentren finden Sie im Telefonbuch oder unter www.berufsberatung.ch. Das Grundangebot ist kostenlos, erweiterte Beratungen werden in Rechnung gestellt.

  • Die Kosten für eine Beratung bei einem freischaffenden Berufs- und Laufbahnberater bewegen sich zwischen 150 und 180 Franken pro Stunde.