Dass Sie die Zukunft im Auge haben, planen und Szenarien durchdenken, ist sicher sinnvoll und nötig, wenn Sie ein eigenes Geschäft haben. Allerdings sollten Sie nicht nächtelang wach liegen müssen und sich mit Sorgen quälen. Da wäre es in der Tat gut, wenn Sie ein wenig von der Hier-und-Jetzt-Einstellung Ihrer Frau übernehmen könnten. Ein Coaching bei einer Fachperson könnte Ihnen ebenfalls dabei helfen, etwas lockerer – aber natürlich nicht unvorsichtig – zu werden.

Auch Philosophen und spirituelle Lehrer setzen beim Thema «Zukunft oder Gegenwart» unterschiedliche Schwerpunkte. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch betont in seinem Buch «Das Prinzip Hoffnung», es gehöre zu einem glücklichen Menschenleben, Ziele zu haben, Ziele anzustreben. Das gibt dem Leben Orientierung und Sinn. Dabei kann es um materielle Ziele wie den neuen Wagen oder ein eigenes Haus gehen oder um Höheres wie etwa das Erreichen von Gelassenheit und Weisheit.

Spirituelle Lehrer dagegen warnen eher vor einer intensiven Beschäftigung mit der Vergangenheit und der Zukunft: Wir können aus der Vergangenheit zwar lernen, aber die Geschichte wird sich nie wiederholen. Wir müssen immer wieder neue Antworten auf die Herausforderungen des Lebens finden. Eine grosse Gefahr ist es, an der Vergangenheit zu kleben, Kränkungen, Hassgefühle und Niederlagen nicht vergessen zu können. Besser ist, dankbar zu sein für alles Gute, das wir erlebt haben, und alles loszulassen, was uns wehgetan hat: Es ist vorbei.

Ebenso ist es nicht ratsam, zu sehr in der Zukunft zu leben. Wer immer nur ans hohe Endziel denkt, verpasst den Augenblick, er sieht die Blumen nicht, die am Wegrand blühen, weil er den Blick immer auf den Gipfel gerichtet hat, den er erstürmen will. Wer glaubt, wirklich schön würde das Leben erst in den Ferien, nach der Beförderung, nach dem Kauf eines eigenen Hauses, nach der Begegnung mit dem idealen Partner oder der idealen Partnerin, der verpasst die Chancen des Augenblicks.

Noch schlimmer aber ist die Angst vor der Zukunft. Rein theoretisch ist jede Form davon unsinnig, denn wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Die Zukunftsangst kann nur eine Projektion von schmerzhaften Erfahrungen aus der Vergangenheit sein. Die Zukunft ist unbekannt, also können wir nicht wissen, wie wir sie erleben werden. Es kann ganz anders sein, als es je zuvor war. Das Ungewisse füllen wir mit Vorstellungen, die auf unseren Erlebnissen aus der Vergangenheit beruhen.

Zukunftsangst kann aber auch zum Wunsch führen, ein wenig um die Ecke der Zeit zu gucken. Darum haben Wahrsagerinnen und Handleser Zulauf. Einige versuchen, die Zukunft aus Kaffeesatz, Tarotkarten oder den Sternen herauszulesen. Werden hier allerdings unheilvolle Zeichen gesehen, kann das sehr belastend wirken.

Statt an der Vergangenheit zu kleben oder über die Zukunft zu rätseln, ist es also klüger, sich zu sagen: «Mein Leben findet gerade jetzt statt, in genau diesem Moment. Ich versuche Augen, Ohren und das Herz für das Hier und Jetzt offenzuhalten. Die Vergangenheit ist vorbei, und die Zukunft wird sich zeigen.»

Buchtipp

Ernst Bloch: «Das Prinzip Hoffnung»; Suhrkamp-Verlag, 2008, 1654 Seiten, CHF 45.90