Der erwartete Ansturm der Wanderer bleibt aus: Obwohl endlich wieder mal die Sonne scheint, passen die paar Ausflügler locker in eines der beiden bereitstehenden Postautos. Es nimmt uns vom Bahnhof Entlebuch mit nach Finsterwald, Gründli, wo unsere Wanderung durch die grösste zusammenhängende Moorlandschaft der Schweiz beginnt.

Schon bald kommen wir am kleinen und eher unauffälligen Flachmoor Chnubelalp vorbei. Wir erkennen es am Scheidigen Wollgras, das in vielen Mooren zu finden ist und dessen weisse Federhauben über der Wiese schweben.

Entstanden ist die Landschaft – insgesamt sind es 120 Moore –, weil es im Entlebuch wegen der grossräumigen Ausrichtung der Grate viel regnet und das Wasser durch den lehmigen Boden nicht versickern kann.

Man unterscheidet zwischen Hoch- und Flachmooren, wobei die Bezeichnung Hochmoor nichts mit Höhe zu tun hat. In Deutschland nennt man sie Regenmoore, was besser passt: Während Hochmoore nur vom Regen gespeist werden, sind Flachmoore auch vom Grundwasser genährt. Der Boden ist deshalb weniger sauer und enthält etwas mehr Nährstoffe als der eines Hochmoors. Das begünstigt eine grosse Pflanzenvielfalt. «Flachmoore sind wahre Biodiversitäts-Hotspots», sagt Florian Knaus, der in der Biosphäre Entlebuch für die wissenschaftlichen Projekte zuständig ist. 

Flachmoore sind güllenfreie Zonen

Seit der Annahme der Rothenthurm-Initiative 1987 sind Moore in der Schweiz umfassend geschützt. Dennoch dürfen Flachmoore nach strengen Vorgaben landwirtschaftlich genutzt werden, zum Beispiel als Wiesen oder Weiden. Sie werden nur einmal im Jahr gemäht, Gülle darf nicht ausgebracht werden, zu viele Nährstoffe im Boden würden der Artenvielfalt schaden. Bereits der Stickstoffeintrag aus der Luft ist problematisch und kann die wertvollen Biotope und wichtigen CO2-Speicher empfindlich stören. 

Es geht stetig hinauf, in einer Waldlichtung kommen wir am Hochmoor Tor vorbei. Der Boden ist spürbar mit Wasser vollgesogen und gibt federnd nach. Am Wegrand wächst das hochspezialisierte Torfmoos, ohne das es hier viel weniger Torf gäbe: Die nur wenige Zentimeter hohe Pflanze kann Nährstoffe noch in kleinsten Konzentrationen aufnehmen und versauert im Gegenzug ihre Umgebung. Torfmoos wächst stetig nach oben und stirbt unten ab. Aus den toten Pflanzenteilen bildet sich der typische Hochmoor-Torf. Auch das Fettblatt kann auf dem sauren Boden überleben: Die fleischfressende Pflanze bezieht die Nährstoffe aus den Insekten, die auf den klebrigen Blättern hängen bleiben – auch eine Strategie! 

Ein Ufo und Hagelzucker

Oben auf der Wasserfallenegg auf knapp 1800 Metern über Meer angelangt, staunen wir in alle Richtungen: Der Blick öffnet sich in ein breites Tal gegen Süden – einfach grossartig! Wir stürmen zuerst in die falsche Richtung davon, bis wir realisieren, dass unser Weg dem Grat entlang verläuft, an einer einsamen Gondel vorbei, die wie ein Ufo hier oben gelandet sein muss.

Gut versteckt zwischen Bäumen und Felsen, die ein Felssturz wie Hagelzucker auf einem Muffin verteilt hat, liegt der lang ersehnte Bergsee: so zauberhaft, dass sein Name besser nicht genannt wird – in diesem abgelegenen Tal hat niemand Interesse an einem Social-Media-Hype. Das seichte Seelein soll bleiben, wie es ist: verträumt, dunkel und still. Nur ein paar Enten schnattern. 

Der Abstieg zum Alprestaurant Stäldeli auf 1373 Metern über Meer führt zurück in die Zivilisation: Auf der Terrasse geht es lustig zu, am Samstag treffen sich hier die Bauern der Umgebung zu einem wohlverdienten Schnipo. Gesprächsthema: der Formzustand der Schwinger aus der Region. Musik: Hudigääggeler direkt ab Schwyzerörgeli. Der Blick schweift über das in Abendsonne getauchte Panorama. 

Specht, Käuze, Zeisige

Am nächsten Tag gehts hinauf, hinauf, hinauf. Es ist heiss, und wir kühlen unsere Köpfe an jedem Brunnen. Doch das Hochmoor Haglere belohnt uns reich: Auf gewundenen Pfaden gehen wir durch ein Meer von Heidelbeeren und Alpenrosen, vorbei an knorrig gewachsenen Föhren, kleinen Teichen und bewachsenen kleinen Höckern – sogenannten Bulten. Im lichten Wald leben Dreizehenspecht, Raufusskäuze und Zitronenzeisige. 

Das Moor ist intakt geblieben, weil es so abgelegen ist. Keine Selbstverständlichkeit: In rund der Hälfte der Entlebucher Moore wurden Entwässerungskanäle angelegt, weil man die Feuchtgebiete nutzen wollte. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts hat man Torf zum Heizen abgebaut, und während des Zweiten Weltkriegs wollte man auf den feuchten Böden gar Kartoffeln anbauen. «Die Kanäle müssen nun in aufwendigen Sanierungsarbeiten geschlossen werden», sagt Florian Knaus. «Sonst geht den Mooren das Wasser ab.» 

Bevor wir die Grenze zum Kanton Obwalden überschreiten, geht der Weg steil hinunter nach Mittlistgfäll, wo im gleichnamigen Flachmoor Orchideen wachsen. Wir geniessen den Blick und holen uns ein Rivella aus einem Brunnen voller Getränkeflaschen, der «Brunne-Beiz» – der moderne Wanderer bezahlt mit Twint.

Buchtipp
«Lust auf Wandern 1» und «Lust auf Wandern 2»
«Lust auf Wandern 1» und «Lust auf Wandern 2»
Wandervorschläge für Moorlandschaften – in der ganzen Schweiz verteilt

 

 1   Unesco-Biosphäre Entlebuch

Herbstwanderung im Entlebuch
Quelle: Beobachter/SEE

1. Tag: Route Gründli–Chnubelalp–Wasserfallenegg–Stäldeli

  • Länge: 11 Kilometer
  • Dauer: 4 Stunden
  • Höhenmeter: ↑ 700 m ↓ 430 m
  • Übernachtungsmöglichkeit: Alprestaurant Stäldeli, Alp Guggenen

2. Tag: Route Stäldeli–Gitziloch–Rohr–Dählebode-Mittlistgfäll–Sörenberg

  • Länge: 10,5 Kilometer
  • Dauer: 4 Stunden
  • Höhenmeter: ↑ 700 m ↓ 900 m


Die Wanderung führt entlang dem Moorlandschaftspfad der Unesco-Biosphäre Entlebuch. Für die ganze Fernwanderung kann ein Pauschalangebot gebucht werden. Vor der Wanderung abklären, ob im Gebiet Wasserfallenegg/Wasserfallen eine Schiessübung stattfindet (Telefon 058 481 32 32). In diesem Fall den Umweg über Rosswänge nehmen.

 

 2   Lucomagno/Dötra TI

Herbstwanderung Lukmanier
Quelle: Beobachter/SEE

Route Tour 1: Acquacalda–Dötra–Campra–Pian Segno–Acquacalda

  • Länge: 12,1 Kilometer
  • Dauer: 3 Stunden und 40 Minuten
  • Höhenmeter: total rund 550 m

Route Tour 2:

  • Länge: 7,3 Kilometer
  • Dauer: 2 Stunden und 10 Minuten
  • Höhenmeter: total rund 300 m
Herbstwanderung in Lucomagno/Dötra TI

Um die ausgedehnte Moorlandschaft am Lukmanier zu erkunden, sollte man zwei Tage einplanen: Eine erste Tour führt von Acquacalda über Dötra und Pian Segno zurück zum Ausgangspunkt, die zweite von Acquacalda nach Selva Secca und zur Alpe Pertusio. Unterwegs trifft man auf Highlights wie den Teich unweit des Brenno, aus dem Blasen aufsteigen. Woher sie stammen, ist nicht geklärt.

Quelle: Remy Steinegger/Ticino Turismo

 

 3   Maloja GR

Herbstwanderung Maloja
Quelle: Beobachter/SEE

Route: Capolago–Pila–Torre Belvedere–Maloja Dorf

  • Länge: 2,76 Kilometer
  • Dauer: 50 Minuten
  • Höhenmeter: ↑ 120 m ↓ 111 m
Ansammlung von Gletschertöpfen im Palü Marcia

Maloja im Oberengadin bietet das Rundumprogramm: Zum einen liegen mehrere Moore, die seit 16'000 Jahren existieren und damit zu den ältesten in Europa gehören, nah beieinander; zum anderen gibt es eine Ansammlung von Gletschertöpfen. Kaum hat die Wanderung von Capolago nach Maloja begonnen, taucht bereits das erste Flachmoor auf, das Cadlägh-Creista. Etwas später folgt das Hochmoorgebiet Palü Marcia mit den faszinierenden, bis zu elf Meter tiefen Gletschertöpfen, die in der Schmelzphase der letzten Eiszeit entstanden sind. 

Quelle: Mayk Wendt/Pro Natura

 

 4   Chaltenbrunnen BE

Herbstwanderung Chaltenbrunnen
Quelle: Beobachter/SEE

Route: Kaltenbrunnensäge–Underer Stafel–Oberer Stafel (Alp Chaltenbrunnen)–Chaltenbrunnen–Gyresprung–Chaltenbrunnen–Oberer Stafel–Seilialp–Zwirgi

  • Länge: 11,5 Kilometer
  • Dauer: 4 Stunden
  • Höhenmeter: ↑ 700 m ↓ 950 m
Moorlandschaft Chaltenbrunnen

Die Moorlandschaft Chaltenbrunnen liegt auf knapp 1800 Höhenmetern und ist nur zu Fuss erreichbar. Der mehrstündige Aufstieg lohnt sich aber allemal. Begleitet von einem herrlichen Bergpanorama, geht es zu dieser lediglich eineinhalb Quadratkilometer grossen Moorperle. Als grosses Finale erreicht man dann den Gyresprung, von wo aus man einen herrlichen Blick auf den Brienzersee und auf das Haslital hat.

Quelle: Imagebroker/Alamy Stock Photo

 

 5   Rothenturm SZ/ZG

Herbstwanderung Rothenthurm
Quelle: Beobachter/SEE

Route: Biberbrugg–Witi–Bibersteg–Steinstoss– Bubrugg–Altmatt

  • Länge: 11 Kilometer
  • Dauer: 3 Stunden
  • Höhenmeter: ↑ 300 m ↓ 210 m
Hochebene zwischen Rothenturm und Biberbrugg

Die 100 Hektaren grosse Hochebene zwischen Rothenthurm und Biberbrugg ist nicht nur eines der grössten Moorgebiete der Schweiz, sondern auch Namensgeberin der Rothenthurm- Initiative zum Schutz der Moore. Unterwegs kommt man an mehreren geschützten Biotopen vorbei, etwa dem Hangmoor Witi, wo mehr als ein Dutzend Orchideenarten wachsen. – Tipp: Wer in der Gegend ist, kann auch noch die Wanderung rund um das Hochmoor Schwantenau (Start und Ziel: Biberbrugg) geniessen. 

Quelle: Stefan Zürrer/Schwyz Tourismus

 

 6   La Grande Cariçaie VD

Herbstwanderung Yverdon
Quelle: Beobachter/SEE

Route: Estavayer-le-Lac–Yvonand–Yverdon Champ-Pittet

  • Länge: 13,5 Kilometer
  • Dauer: 2 Stunden und 40 Minuten
  • Höhenmeter: ↑ 60 m ↓ 35 m
Grösstes Flächenmoor der Schweiz am Neuenburgersee

Mit 3000 Hektaren Fläche ist das am Südufer des Neuenburgersees angesiedelte Naturschutzgebiet das grösste und artenreichste Flachmoor der Schweiz: Hier lebt rund ein Viertel der in der Schweiz vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. So kann man Biber, Ringelnatter und Orchideen während einer Wanderung von Estavayer-le-Lac nach Yverdon Champ-Pittet entdecken. – Tipp: Falls es warm genug ist, die Badehosen nicht vergessen. Unterwegs locken mehrere Badestellen.  

Quelle: Association De La Grande Cariçaie

 

 7   Vallon de Réchy VS

Route: Vercorin–L’Ar du Tsan–Le Tsan– Le Louché–Col du Louché–Bergstation Bendolla–Grimentz

  • Länge: 17 Kilometer
  • Dauer: 9 Stunden
  • Höhenmeter: ↑ 1600 m ↓ 770 m
Vallon de Réchy

Auch im trockenen Wallis gibt es Moore. Entdecken kann man sie auf einer Wanderung ab Vercorin ins Vallon de Réchy entlang den typischen Walliser Bewässerungskanälen, den Suonen. Von der Alp La Lé öffnet sich der Blick ins Tal, dann kommt man zum L’Ar du Tsan, dem untersten Teil der Moorlandschaft. – Tipp: Wer die vielen Höhenmeter in zwei Tagen machen will, kann in der Cabane des Becs de Bosson auf 2985 Metern über Meer übernachten.  

Quelle: Vercorin Tourisme
Buchtipp

Weitere Infos und Wandervorschläge findet man im Buch «Moorwanderungen – 18 Routen zu den schönsten Moorbiotopen der Schweiz», herausgegeben von Pro Natura 2021.

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Julia Hofer, Redaktorin
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