Daniel «Gummi» Rietmann ist ein langsamer Kaffeetrinker. Auch nach einer Stunde ist die Tasse noch fast randvoll. Er spricht auch langsam und bedächtig. Fast scheu. Ab und zu huscht ein Lächeln über sein Gesicht, dann schüttelt er energisch die dunklen Locken aus der Stirn.

Wenn er seine dicke Hornbrille aufhat, erinnert der 31-Jährige eher an einen Architekturstudenten als an das Klischee des typischen Snowboarders. Aber Beanie (Mütze) und Hoodie (Kapuzenpulli) machen klar, zu welcher Szene er gehört. Ist er ein typischer Snowboarder? «Nein, nicht ganz. Ich will nicht sein wie alle.» Doch alle Snowboarder schreiben ihre Individualität gross. «Stimmt, aber ich habe es geschafft, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ich bin der Gummi. Und natürlich bin ich im Kern Snowboarder und werde es immer sein.» Seine Welt ist voller irgendwie sympathischer Widersprüche.

Gastgeber für Hungrige und Sportliche

Der gebürtige Innerschweizer boardet, seit er elf Jahre alt ist. Seine Kochlehre hat er in St. Moritz in einem Viersternehotel absolviert und ist dann acht Jahre dort hängen geblieben. Heute lebt er im Sommer in Zürich, allein mit einem Fisch. Den Winter verbringt er in den Bergen, boardend. An Contests, für Filme und Fotoshootings seiner Sponsoren. «Mittlerweile kann ich etwa zu 50 Prozent vom Snowboarden leben», erzählt er.

Und was ist sein Traum? «Einmal ein eigenes Restaurant zu haben. Ich bin sehr gern Gastgeber, fühle mich wohl, wenns anderen gut geht.» Rietmann wuchs in einer Beiz auf, seine Mutter ist heute pensioniert, der Vater führt in Florida einen Club. Der neun Jahre ältere Bruder ist Lastwagenchauffeur.

Wieso nennt er sich eigentlich Gummi? «Die Mutter eines Schulfreundes nannte mich als Kind so, weil ich immer in Bewegung war, wie ein Gummiball eben.» Er lächelt vorsichtig. «Schon vor ein paar Jahren fand ich, ich müsste was mit diesem Namen machen, ich werde immer darauf angesprochen.» Und was lag da näher, als «Gummi» wörtlich zu nehmen und etwas mit Kondomen in Angriff zu nehmen?

Ab und zu das Gehirn einschalten

«Ein guter Kollege von mir wurde mit dem HI-Virus geboren. Er ist heute ein genialer Profi-Skater, hatte aber wirklich eine schwierige Jugend, viele Medikamente mit krassen Nebenwirkungen.» Das habe ihn sensibilisiert, und in einer Szene, in der Party und Fun grossgeschrieben werden, sei es eben auch nötig, ab und zu das Gehirn einzuschalten. Das Projekt «GummiLove» war geboren. «Es soll junge Leute animieren, geschützten Sex zu haben. Wir übersetzen GummiLove mit ‹Gib’s mir...aber sicher›.» Jetzt nimmt er endlich einen Schluck Kaffee und lächelt etwas verlegen. «Ich will die Gesundheitsproblematik und die Szene zusammenbringen. Der Gummi ist einfach notwendig.»

Seit diesem Herbst gibt es die GummiLove-Produkte in einschlägigen Snowboardläden zu kaufen. Das Sortiment umfasst Snowboards, Goggles (Skibrillen), T-Shirts, Mützen, Bandanas und Kondomboxen. Alle mit auffälligem rotem Kussmund-Logo. Ein Teil des Erlöses geht an die Aids-Hilfe Schweiz und andere Aids-Präventionen. Als Botschafter für das Projekt fungieren bekannte Snowboardgrössen wie Iouri Podladtchikov oder Nicolas Müller. «Bei den Jungen kommt das sehr gut an, ich kriege ständig Anfragen. Nur ältere Leute, so ab 30, haben manchmal Mühe damit.» Rietmann will mit seinem Projekt expandieren – er habe Deutschland, Österreich und «die ganze Welt» im Kopf.

In letzter Zeit lebte er aber vor allem für seinen Event «Hit the Cheese» in St. Moritz. Entstanden aus einer Schnapsidee, gibts den Snowboardcontest nun schon seit vier Jahren. Der Sieger bekommt einen grossen Laib Käse, und nach dem Fahren gibts Fondue. «Zuschauer und Fahrer sind sich ganz nah. Das ist speziell und kommt gut an.» Daniel «Gummi» Rietmann kommt ins Schwärmen. Fast so gern wie vom Snowboarden redet er von seinem legendären Dessertbuffet dort und von anderen kulinarischen Details. Er arbeite mit einem Konditor aus dem Thurgau zusammen.

«Etwas Sex-Appeal brauchts schon»

Dieses Jahr – 1200 Leute waren insgesamt da – gab es ein Tortenbuffet aus Kuchen in Kondomformen, roten Lippen-Cakes und so weiter. «Alles ganz speziell und liebevoll.» Serviert wurde von Frauen in sexy Kostümen. «Etwas Sex-Appeal brauchts schon», so Rietmann. Um so der Jugend Aidsprävention näherzubringen? Rietmanns Welt bleibt voller Widersprüche. Aber er meints ernst, nimmt noch einen Schluck Kaffee, setzt die Mütze auf und freut sich wie ein kleiner Junge über den baldigen Bericht im Beobachter – «voll cool, wenn so viele Leute über mich lesen». Und winkt lässig zum Abschied.