Und ganz vorneweg: der Schweizer Patrick Gerling mit der Nummer 23. Granatenstark, sag ich da nur... Da wird Motorrennsport vom Feinsten geboten!» In gehetztem Stakkato erschallt die Stimme des Streckensprechers aus den scheppernden Lautsprechern. Der Rennleiter schwingt die schwarz-weiss karierte Flagge, das Rennen ist vorbei: «Sieger im ersten Lauf des DMSB GTP Supersprint hier am Hockenheimring ist... der amtierende deutsche Meister, Patrick Gerling!»

Wie alle seine Konkurrenten ist auch Patrick Gerling kein professioneller Rennfahrer, sondern Privatmann mit äusserst kostspieligem Steckenpferd. Den Meistertitel jagt der Schweizer auch dieses Jahr in Deutschland, weil Rundstreckenrennen in der Schweiz verboten sind.

Fahrer aus verschiedensten Berufen
Es ist ein spezieller Schlag von Männern, die, ohne mit der Wimper zu zucken, jährlich für ihr Hobby Summen ausgeben, von denen eine vierköpfige Familie mehrere Jahre lang komfortabel leben könnte. Da fährt der gelernte Landwirt neben dem Chefarzt der Osnabrücker Orthopädie, der auch mal mittendrin verschwindet, weil er «noch schnell eine Hüfte machen muss». Es rammt «Papis Sohn» den 62-jährigen Rentner, der sein Vermögen mit Omnibustüren gemacht hat und am liebsten seinen deutschen Pass abgeben würde, weil «dieses Land von Halunken regiert wird».

Auf die Frage, wieso sie ausgerechnet dieser kostspieligen Freizeitbeschäftigung frönen, ulkt Arkin Aka, der Fahrer mit der Nummer 49: «So sind wir wenigstens von der Strasse weg und machen nichts Dümmeres.» Dass er das Rennen bereits nach wenigen Minuten mit einem Boxenstopp abbrechen musste, scheint seiner guten Laune keinen Abbruch getan zu haben. Das nötige Kleingeld für Startplatz, Sprit und Spoiler verdient Aka mit Lastwagen- und Omnibuswaschanlagen.

«Ich arbeite viel, habe zudem Familie. Drei Tage hier am Ring sind für mich wie drei Wochen Ferien», bringt es der Nürnberger Wolfgang Dess, dessen Planungsbüro technische Anlagen für Gebäude wie Flughäfen und Krankenhäuser betreut, stellvertretend für viele auf den Punkt. Der 46-jährige Ingenieur, der nebenbei noch eine Burg mit Falknerei besitzt, tarnt sich an den Rennanlässen mit einem Schlapphut und dem Pseudonym «Wolf Silvester».

Streckensprecher Klaus Lambrecht hat trotz der Lautsprecheranlage einen schweren Stand gegen den ohrenbetäubenden Krach. Motoren brüllen, Reifen quietschen. Die Fahrer des nächsten Rennens haben in der Boxengasse bereits die Wagen gestartet.

«Money makes the world go round» – und lässt Autos im Kreis herumfahren. Umgerechnet knapp eine Viertelmillion Franken kostet es, den Hockenheimring für ein Wochenende zu mieten. Damit die Veranstalter nicht drauflegen, laden sie die unterschiedlichsten Motorrennsport-Verbände ein, hier ihre Rennen auszutragen und damit natürlich auch etwas an die horrenden Unkosten beizusteuern.

Rennen in allen möglichen Kategorien
So wird auch an diesem Wochenende von morgens um acht bis abends um halb acht im Kreis gefahren. Mit historischen Rennwagen, Formel-3-Geschossen, Super-Race-Karts und Porsches. Auch gemischte Rennen werden ausgetragen, bei denen vom getunten Fiat Uno über BMWs bis hin zum Nobelsportwagen V8 Star alles Mögliche über die Piste donnert.

Nicht nur die Veranstalter, auch die selbst ernannten Rennstallbesitzer und Fahrer müssen an solchen Wochenenden tief in die Tasche greifen. Allein das Startgeld je Rennen und Teilnehmer beträgt umgerechnet 12000 Franken.

«Fürs Verbrauchsmaterial, also Reifen, Bremsklötze und dergleichen, habe ich letzte Saison umgerechnet rund 80000 Franken liegen lassen», erzählt Rainer Hartmann, ein Unternehmensberater aus Kassel, während er seine beiden Rottweiler knuddelt, die, vom Lärm ermattet, apathisch vor dem Wohnwagen liegen. Seine Frau schüttelt den Kopf: «Damit kommste nicht durch, das waren doch mindestens 100'000.» Laut Hartmann ist zudem durchschnittlich jede dritte Saison ein neuer Wagen fällig. Der alte ist dann reif für den Schrottplatz oder einfach nicht mehr schnell genug.

Hartmann hat sich mit drei weiteren Rennsportbegeisterten zusammengetan, um die allgemeinen Kosten zu teilen, etwa für den Transport der nicht für die Strasse zugelassenen Wagen. Daneben gibt es aber etliche Fahrer, die sich von einem Rennstall betreuen lassen und gleich mit vier, fünf Mechanikern anreisen. Aus Furcht vor dem Fiskus untertreiben viele bei den Kosten. Immerhin kommt das Hobby in einer einzigen Saison schnell einmal auf insgesamt 300'000 Franken und mehr zu stehen – ohne Autoamortisation.

Trotz dem enormen Aufgebot an schnellen Kisten sind die Tribünen der legendären Rennstrecke, auf denen eigentlich 120'000 Zuschauer Platz finden, leer. Einzig in der so genannten Sachs-Kurve hat sich ein verloren wirkendes Grüppchen von wenigen hundert Zuschauern eingefunden – grösstenteils Verwandte und Bekannte der Fahrer.

Landschönheiten statt Boxenluder
Auch einige Jugendliche aus dem Städtchen Hockenheim sind gekommen und hängen jetzt auf den bunten Plastiksitzen wohl dem Traum von der Rennfahrerkarriere nach. Zum Träumen ist genug Zeit: Rund alle zwei Minuten fährt das Feld unter lautem Brüllen und Quietschen vorbei – der ohrenbetäubende Spuk dauert jeweils kaum drei Sekunden.

Nicht nur an Publikum mangelt es. Auch schicke Prominenz und aufgebrezelte Models sind höchst spärlich gesät und gesichtete Vertreter dieser beiden Spezies eher provinzieller Natur. Selbst leicht geschürzte, silikonbewehrte Mädchen, die der Formel 1 einen Hauch von Glamour und Sexappeal verleihen, fehlen.

Immerhin hat der Veranstalter der Formel-3-Rennen zehn junge Frauen aus der Umgebung geladen – blond, bauchfreies Top, Baseballkäppi. Die Vorstadt-Boxenluder sollen vor dem Rennen dekorativ herumstehen und sich hinterher mit den Gewinnern dieser Läufe ablichten lassen. Auch Gerling wird sich später vier der «Meitli» für eigene Zwecke «ausleihen» - er braucht Fotos für die Sponsorensuche.

Jetzt lehnt Gerling, der Sieger des ersten Laufes, mit hochrotem Kopf, aber sichtlich zufrieden in seiner Box an einem Stapel profilloser Reifen, die, so lernt die Novizin, korrekt Slicks genannt werden. Den vor wenigen Minuten errungenen Pokal hat er gut sichtbar auf der Kühlerhaube seines Porsches platziert.

Im Fahrerlager hinter den Boxen herrscht Campingstimmung. Zwischen Luxuskarossen, Rennautos, Wohnwagen und Trailern tummeln sich Hunde und Kinder. Ein Achtjähriger trägt Ohrenschützer gegen den infernalischen Lärm, sein kleiner Bruder hälts ohne aus. Thermoskannen auf Campingtischen warten auf durstige Kehlen; Spitzendeckchen zieren Wohnwagenfenster; durchgeschwitzte Rennbekleidung hängt samt feuerfester Unterwäsche und verfärbten Socken zum Lüften vom Spoiler eines 400000 Franken teuren Rennwagens; Grillschwaden vermengen sich mit dem beissenden Gestank von Abgasen, Benzin und Motorenöl.

Man sieht sich. Tratscht, teils nicht ohne Häme, über Rennstallchef Beat, der am Vortag beim Training einen nagelneuen Rennwagen im Wert eines Einfamilienhauses zu Schrott gefahren hat. Plauscht mit Gerhard, mit dem man sich auch morgen Sonntag einen erbitterten Kampf auf dem legendären Asphalt liefern wird.

Zur Feier etwas leichte Kavallerie
Im zweiten Stock des Motodroms denkt Streckensprecher Lambrecht laut darüber nach, welche Musik er zu Ehren der Sieger des letzten Rennens erschallen lassen soll: «Eurovision-Fanfare, Hollywood-Fanfare? Ach, ‹Leichte Kavallerie› kommt immer gut», entscheidet er dann und drückt den entsprechenden Knopf der Tonanlage.

Das Treppchen, das für Sportler die Welt bedeutet, steht auf der Terrasse im dritten Stock des Motodroms: verblichener, grüner Kunstrasenteppich, eine weiss gestrichene, von den Abgasen der Motoren mit einem Grauschleier überzogene Wandattrappe als Hintergrund, ein dreistufiges, ebenfalls weiss bemaltes Sperrholzpodest. Die Gewinner der Ränge eins bis drei stehen etwas verloren neben und bald auf dem Siegertreppchen. Streckensprecher Lambrecht jagt noch die deutsche Hymne über die Anlage, bevor er sich wieder mit gewohntem Stakkato seinem Mikrofon und dem laufenden Rennen zuwendet.

Bei der Pokalvergabe wird der Mangel an Publikum fast schmerzhaft spürbar: Der Applaus der rund drei Dutzend Zuschauer, die den tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten huldigen, verliert sich im Geheul der Rennwagen, die gerade um einen anderen Preis fahren.

13.10 Uhr, es ist Mittagspause. In der «VIP-Lounge» des Porsche-Clubs Deutschland e. V. werden Kasseler und gefüllte Schweineschulter gereicht. Dazu Bohnen-, Kraut- und Kartoffelsalat, kurz vorher aus dem Plastikeimer in Schüsseln umgefüllt. Auf den mit gelben Papiertischtüchern gedeckten Tischen stehen Mineralwasser, Apfelschorle und Cola in der 1,5-Liter-Flasche.

Die Lounge hat den Charme einer Raucherecke eines Provinzflughafens im Osten Europas. Das scheint die Ehrengäste des Clubs – grösstenteils altgediente Mitglieder und «Club-Funktionäre», denen der Verband an diesem Wochenende etwas Gutes tun will – allerdings nicht zu stören. Vom Motorenlärm vergleichsweise verschont, wird auch hier geplaudert, getratscht, gescherzt. Ab und zu macht die an ihrem roten Kostüm leicht erkennbare Präsidentin der württembergischen Verbandssektion die Runde durch den Raum und erweist altgedienten Porsche-Kämpen die Reverenz.

Auch Coolness will gelernt sein
Sonntagmorgen, zwanzig Minuten vor dem zweiten Lauf. Während die andern Fahrer bereits nervös um ihre Fahrzeuge tigern, bequemt sich Patrick Gerling endlich zu seiner Box am unteren Ende der Boxenstrasse. «Ich habe ausgeschlafen», sagt er mit jenem Quäntchen Gleichgültigkeit, das er wohl US-Schauspieler Steve McQueen im Hollywood-Streifen «Bullitt» abgeschaut hat. Kein unbegründeter Verdacht – der amtierende deutsche Meister ist bekennender McQueen-Fan. Dass er fast selbstvergessen und in einem fort mit einem Lappen den Kotflügel seines «Blechrosses» poliert, tut seiner Coolness allerdings erheblichen Abbruch.

Gerling, 34 Jahre alt und ledig, pflegt das Image des einsamen Wolfs. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten fährt er meist ohne Mechaniker oder sonstige Helfer an die Rennen. Verlädt seinen Porsche selber auf den Anhänger. Wechselt selber Räder, Reifen, Bremsklötze. Befestigt auch mal einen abgefallenen Scheinwerfer mit Klebeband. Im Fahrerlager bewegt er sich mit dem Rollbrett fort.

Fast scheint es, als wolle der Herrliberger sich und alle andern vergessen machen, dass auch er aus reicher Familie stammt, bereits mit 19 Jahren von seinem Grossvater Immobilien geerbt hat. Allerdings, da sind sich auch seine Gegner einig, ist er «wirklich schnell». Und das, obwohl sein Wagen mit der Startnummer 23 bereits drei Jahre alt ist – ein fast schon methusalemisches Alter für einen Rennwagen dieser Klasse.

Tatsächlich wird kaum ein Renn-Porsche so lange gefahren. Zwar gibt es kaum je Unfälle mit Personenschaden. Die Autos hingegen kommen nicht so glimpflich davon, schliessen häufig Bekanntschaft mit Leitplanken, Stossstangen und Kotflügeln. Zwischen abgefahrenen Rückspiegeln und Totalschaden muss man mit allem rechnen. Über 40-mal musste der Abschleppdienst an diesem Wochenende ausrücken und die verschiedenen Gestrandeten von der Fahrbahn ziehen.

Ein einziger Versicherer beherrscht in ganz Deutschland das Geschäft mit den Hobbyrennfahrern. Doch sein Angebot ist so teuer, dass es sich praktisch nicht lohnt, seinen Wagen bei ihm zu versichern. So berappen die Hobby-Schumis ihre Blech- und sonstigen Schäden eben selber. Ist ein Konkurrent am Unfall schuld, kann es da schon auch mal böses Blut geben.

Rückschläge oder schlechte Platzierungen verdauen die Fahrer unterschiedlich gut. «Wolf Silvester», der Burgbesitzer aus Nürnberg, scheint mit seinem siebten Platz – «Schuld waren die Reifen» – jedenfalls nicht zufrieden. Er bleibt der Preisverleihung fern und lässt seine Pokale einfach stehen.

Die meisten zahlen alles selber
Omnibustüren-Multimillionär Jürgen Bode, der meist zu den Schlusslichtern gehört, siehts weniger eng. Dabei sein ist ihm alles. «Ich habe mein Leben lang die Arbeit vornean gestellt und dies auch von meinen Mitarbeitern verlangt. Da konnte ich ja nicht gut so ein spinnertes Hobby haben. Aber jetzt, als Rentner, kann ich mir diesen Jugendtraum endlich erfüllen.»

Kein einziger der Porsche-Rennfahrer kann von seinem Hobby leben. Es gibt kein Preisgeld, keine Publikumseinnahmen, keine Fernsehgelder und kaum Sponsoring. Gerade mal zwei von den zu diesem Rennen angetretenen 26 Fahrern erhalten genügend Sponsorengelder, dass sie wenigstens umsonst fahren und nicht noch zusätzlich drauflegen müssen.

Einer der beiden ist Albert Daffner. Der 38-jährige Industriellensohn verdient sein Geld mit einem Zeitschriftenvertrieb und fährt teils auch professionelle Rennen. «Früher habe ich alles selber bezahlt, aber heute würde ich kein einziges Rennen mehr fahren, wenn es mich auch nur einen Pfennig kosten würde», sagt er.

Fremdfinanziert schmerzt es auch weniger, wenn man, wie Daffner in diesem Rennen, bereits nach wenigen Runden wegen eines technischen Defekts in die Box muss und das Rennen deshalb bereits gelaufen ist. «Von den Kübeln», sagt er und deutet auf den Pokal eines Konkurrenten, «hab ich sowieso schon an die 400 Stück. Da kommts auf einen mehr oder weniger auch nicht mehr an.»