Als der russische General Suworow starb, hatte er immer noch Schulden in der Schweiz. Die Rechnung, die ihm die Bewohner der Berggemeinde Pigniu GR stellten, ist bis heute nicht beglichen. «Die Soldaten haben auf ihrem zwölftägigen Marsch halbe Täler leergefressen», sagt der Historiker und Geograph Andriu Maissen, der das Projekt des Kulturwegs Via Suworow geleitet hat. «Die Russen waren von den Kämpfen gegen die Franzosen und von den Gewaltmärschen über die Alpenpässe geschwächt, halb verhungert und in einer desolaten Verfassung.» Esswaren, Heu, Vieh, Schuhwerk und Kleider – nichts war vor ihnen sicher. Immerhin: Die Frauen sollen die Soldaten des für seine Disziplin bekannten Oberbefehlshabers in Ruhe gelassen haben. Die Innerschweizer Bevölkerung war den Russen und ihren Verbündeten, den Österreichern, wohlgesinnt: Sie versprachen, der von Napoleon ausgerufenen Helvetischen Republik ein Ende zu setzen.

Bis zum verhängnisvollen Herbst 1799 galt Graf Alexander Wassiljewitsch Suworow, einer der genialsten Strategen des 18. Jahrhunderts, als unbesiegbar. Er muss nicht nur ein brillanter Feldherr, sondern auch ein charismatischer Mensch gewesen sein: Auf der Passhöhe des verschneiten Panixer sollen seine Soldaten ihre Lanzen verbrannt haben, damit sich ihr verehrtes «Väterchen» – Suworow zählte damals 70 Jahre – wärmen konnte. Doch Suworows strapaziöser Feldzug, der sein letzter sein sollte und den ein Drittel seiner 21'000 Mann starken Armee mit dem Leben bezahlte, war umsonst. Suworow konnte General Korsakow nicht rechtzeitig zu Hilfe eilen – die Zweite Schlacht von Zürich fand zu seinem grossen Verdruss ohne ihn statt.

In Russland gilt der Generalissimus trotz dieser Schlappe noch heute als Kriegsheld. Die Faszination für den zähen, bescheidenen Feldherrn hat nicht nachgelassen. Einige tausend Russen besuchen jedes Jahr die Gedenkstätten in der Schöllenenschlucht und am Gotthard; 2009 legte auch der russische Präsident Medwedew zu Ehren des Generals Blumen in der Schlucht nieder. Das bronzene Reiterstandbild auf dem Gotthardpass, von einem russischen Künstler geschaffen, stösst bei seinen Landsleuten hingegen auf wenig Gegenliebe. Die Darstellung Suworows als schmächtiger, alter Mann ist ihnen zu wenig heroisch.

Spurensuche mit Metalldetektoren

Auch Einheimische begeistern sich für den General. Der Glarner Walter Gähler ist einer seiner grössten Fans. Der Buchhändler sucht seit über 30 Jahren systematisch nach Überbleibseln des Suworow-Feldzugs. Mit Metalldetektoren durchforstet er das Gelände nach Kanonenkugeln und Gürtelschnallen, und im Internet recherchiert er nächtelang über den Verbleib militärischer Memorabilia. Seine mittlerweile auf Hunderte von Fundstücken angewachsene Sammlung stellt er ab Oktober in einer Fabrikhalle in Linthal GL aus – in seinem privaten Museum, das er mit Hilfe von Freiwilligen betreibt.

Findige Einheimische entlang der Route verstehen es, aus dem Kult um den General ein Geschäft zu machen – etwa der umtriebige Dorfmetzger Ferdi Muheim aus Andermatt. Der ehemalige Gemeindepräsident und Präsident des Verkehrsvereins, von Wladimir Putin mit einem Orden ausgezeichnet, pflegt beste Verbindungen zur russischen Elite. Ferdi alias «Ferdinov» sei in Russland bekannter als die Bundesräte, heisst es in einem Beitrag des Schweizer Fernsehens.

Auf Initiative Muheims finden in Andermatt, der «russischen Hauptstadt der Schweiz», Festspiele statt, und die Suworow-Kadetten sind jedes Jahr im Urner Dorf zu Besuch. Die Hauptattraktion für russische Touristen ist jedoch das Suworow-Denkmal in der nahen Schöllenenschlucht. Nun will man die Gäste auf den Spuren ihres Generals zu Fuss durch die Schweiz locken. Der Prospekt zum Kulturweg liegt bereits auf Russisch vor, und die ersten Rückmeldungen der russischen Reiseveranstalter seien positiv.

Schon 1799 waren die Einheimischen nicht auf den Kopf gefallen. Die zwangs-rekrutierten Elmer Bauern, die den Truppen den Weg über den Panixer ins Bündnerland weisen sollten, löschten in der Nacht ihre Laternen und schlichen im Schutz der Dunkelheit zurück in ihr Dorf. Für Suworow gerät die Etappe zum Fiasko: Am frisch verschneiten Pass (2407 m ü.M.) sterben Hunderte von Soldaten. Sie fallen auf der Flucht vor dem französischen Feind, erfrieren, stürzen in Abgründe. Auch der Grossteil der 2000 Lasttiere überlebt den Gewaltmarsch nicht, und keines der 25 Geschütze gelangt über den Pass nach Ilanz.

Legenden vom Schatz im Bergsee

Der Weg über den Panixer ist noch heute kein Zuckerschlecken. Für die «Königsetappe» der Via Suworow benötigt man über acht Stunden; sie ist nur etwas für geübte Berggänger. Weniger anstrengend und landschaftlich etwas vom Schönsten sind die Etappen über den Chinzig Kulm und den Pragelpass, der vom Muothatal ins Klöntal führt. Historische, gut erhaltene Wegstrecken wiederum findet der Suworow-Wanderer zwischen Bürglen und Biel. Die Via Suworow von Airolo nach Ilanz führt durch fünf Kantone und über vier Pässe, durch wilde Täler und Passlandschaften, vorbei an Bergseen und den denkmalgeschützten Unterkünften, in denen der berühmte Feldherr Rat gehalten und genächtigt hat.

Landschaftliche Reize waren für die Soldaten Nebensache; es ging ums nackte Überleben. Der Bevölkerung erging es in den Kriegswirren um 1800 nicht besser. Am einen Tag zogen die Franzosen vorbei, am anderen die Russen. Geschickt zwischen den Fronten agierte eine Klosterfrau: Walburga Mohr, Vorsteherin des Frauenklosters im Muotathal, habe für ihr Kloster und für die Muotathaler das Schlimmste abgewendet, so die Historiker. Sie hat Suworow beherbergt – und ihn durch Klugheit, Mut und Entschlossenheit beeindruckt. «Ihr verdient, ein Land zu regieren, nicht nur ein armes Klösterlein», soll er ihr zum Abschied gesagt haben.

Vieles, was über den General und sein Heer erzählt wird, gehört ins Reich der Legenden. Wie die Anekdote von der Kriegskasse, die die Russen aus schierer Not im Klöntalersee versenkt haben sollen. Die Phantasie von Schatzsuchern vermag sie jedoch mehr als 200 Jahre später immer noch zu beflügeln.

Suworow selber hat sein berühmt gewordener Zug über die Alpen kein Glück gebracht. Verleumdet, fiel er noch vor seiner Heimkehr in Ungnade beim Zaren, und wenige Monate später starb er als gebrochener Mann in St. Petersburg. Sein Grabmal trägt nach seinem Willen nur die Inschrift: «Hier liegt Suworow.»

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Quelle: Urs Flüeler, Keystone
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