Die Pakete sind klein, ihre Verpackungen dünn und vergilbt: 20 Schlachtpatronen für Grossvieh ohne schwere Stiere, Kaliber 7,5. – Flaubert-Schrotpatronen, doppelte Ladung. – Vetterlipatronen 1869… Zeige- und Mittelfinger des jungen Mannes marschieren langsam über die einzelnen Schachteln. Eigermunition V7 Ladung 2.330 EPMU7 10402/1 26.77.1 T… «O lala!», murmelt er plötzlich. «Kann ich Ihnen helfen, Monsieur?», fragt der Herr hinter der Auslage. «Ist dies eine Rubinpatrone?» – «Oui, Monsieur. 250 Franken.» – «O lala!», murmelt der junge Mann.

Nazi-Orden? Nein, danke!
Lausanne, Palais Beaulieu. Aus den Lautsprechern rieselt der «Frühling» aus Vivaldis «Jahreszeiten». Das Gebläse der Saalheizung arbeitet diskret. Auf den 3000 Quadratmetern treffen sich Jäger, Sammler und Schützen: rüstige Herren, Jugendliche, vereinzelt auch Paare. Frauen sind nur wenige zu sehen. 45 Aussteller hat die siebte internationale Waffenmesse an den Lac Léman gelockt. In der Imbissecke hat es Vogelnestli aus Romers Hausbäckerei. Einen Katalog gibt es nicht. Der Standplan umfasst eine Seite.

Mit offenem Mantel ist der Pensionär durch den Saal geeilt. Jetzt hat er gefunden, wonach er gesucht hat: Stand Nummer 29. Dessen Auslage ist übersät mit sowjetrussischen Medaillen, Abzeichen, Urkunden und Handwaffen. In den Augen des Besuchers glimmt Feierlichkeit und Gier, den Standherrn grüsst er kaum: «Wie viel?» – «Quatre vingt, Monsieur.» Zielsicher greift er den Orden heraus, schraubt an dessen Steckvorrichtung. Dahinter ist die Kontrollnummer erkennbar. «Moment.» Hastig konsultiert er sein Echtheitsverzeichnis. Der Orden der Roten Fahne ist echt. «Es gibt hundertmal mehr Falsches als Echtes», sagt der Besucher und lächelt knapp. Nein, Nazi-Orden würde er niemals sammeln, sagt er. Ihn interessieren die Dinge, «für die wirklich etwas geleistet wurde». Die Stalin-Büste aus hohlem Gips ist mit 60 Franken veranschlagt. Adolf Hitler, drei Stände weiter, steht höher im Kurs: Sein Kopf, aus Guss, kostet 320 Franken.

Michel Niederhäuser ist 28 Jahre alt; er ist Dekorateur und Korporal in der Schweizer Armee. Seine Eltern hat er nicht gekannt. 1973, nach der amerikanischen Invasion in Kambodscha, flog ihn das Rote Kreuz in die Schweiz. Der gebürtige Kambodschaner ist Schweizer geworden – und gleichzeitig begeisterter Sportschütze. «Er hat schon Turniere gewonnen», sagt seine Frau Miriam, die Glätterin ist. «Nicht mehrere, nur eines», korrigiert der Flüchtling. Das Schiessen mache ihm einfach Spass. Nein, Waffen sind nicht unbedingt Sache seiner Frau; sie zieht schnittige Autos vor. «Wir schauen hier einfach mal rein», sagt er. Hinter dem Paar dreht ein Kind Pirouetten.

«Es gibt Tausende von Pfeilbögen», sagt der Meister. «In Spielwarenläden. An Olympiaden. In Warenhäusern. Aber wer das Gesetz des Holzes nicht kennt, schafft Unsinn.» Der Blick des Inhabers von Stand 5 ist streng, seine Gesten sind karg, und der kleine Halbkreis um ihn herum lauscht gebannt. An seiner Wand hängen Waffen aus Esche, Eibe, Haselstrauch – Vogelschwingen gleich, bis zu 2000 Franken das Stück.

«Am Anfang war das keltische Wissen», sagt der Meister. Die Römer hätten es verbrämt, die Christen verteufelt. Dabei sei «aller Ursprung, alle Weisheit dort und nur dort». Sein Instrument lebe wie das Zwerchfell, in Spannung, Entspannung, in der Konzentration. Auf seinem Pult liegt ein Baumkalender. Ein Buch über die Botschaft der Pflanzen. Eine junge Frau packt ein Stück aus der «Collection Prestige», und der Meister sagt: «Dies ist Ihr Bogen, Madame. Ich sehe es.»

Die Schweizer Armeepistole läuft schlecht. Der Händler am Stand 7 erklärt: Die P 75 oder SIG 220, wie sie im zivilen Gebrauch heisst, sei einiges schwerer als moderne Waffen; sie habe bloss ein einteiliges Magazin und verfüge über wenig Reservemunition. Unter seiner Vitrine liegen kanadische Sportwaffen. «Para-Ordnance, doppelt in Aktion», heisst es auf dem Prospekt. Ja, natürlich, das Publikum hier sei fast exklusiv männlich. Aber in den USA gebe es längst andere Trends, sagt der Händler. «Gun-Shows für die Damen» seien dort äusserst beliebt, das Design der Produkte sei auf Frauen abgestimmt – «filigran, zierlich, wissen Sie». Hier fehle der Markt dazu noch, und der Händler hebt den Zeigefinger: «Noch», wiederholt er und ordnet die Prospekte.

Verboten: Maschinenpistolen
Lausanne ist die kleinste der Schweizer Waffenmessen. Die grösste findet jeweils in Luzern statt. Vor der Garderobe liegen die Formulare zur Beantragung eines Waffenscheins auf. Ebenfalls zum Mitnehmen: Aufklärungsschriften zur Einbruchsicherung, zur Vorbeugung von Entreissdiebstählen, von Feuersbrünsten.

Claude Mebes trägt einen weissen Mantel, auf seiner schwarzen Krawatte leuchten Edelweisse. Er vertritt hier die Bundespolizei. An der Waffenmesse sind verboten: Schmetterlings-, Stell-, Wurfmesser, Maschinenpistolen, Schalldämpfer, Elektroschockgeräte. «Kriegserinnerungen gehen mich nichts an», sagt Mebes.

Wie viele Schweizerinnen und Schweizer eine schiesstaugliche Waffe besitzen, ist nicht zentral erfasst; ebenso wenig, in welchem Mass ihre Zahl vor Inkrafttreten des Waffengesetzes 1999 stieg. Einhellig jedoch die Beurteilung der Händler: 1998 spielte das Publikum verrückt. «Man kaufte ein, als ob es bald keine Waffen mehr gäbe», sagt ein Verkäufer. Einhelligkeit auch darin: Heute geht das Geschäft markant zurück. Die Ausstellungsfläche in Lausanne hat mehrere leere Ecken.

Das einzige Musikinstrument in der Halle befindet sich in der südlichen Ecke. Die Cistra, ein Saiteninstrument, ist auf einen Fürstenstuhl gebettet. Auf den Tischen rundum brennen Kerzen. Das Licht flackert auf blanken Klingen.

Säbel, Messer, Hellebarden sind hier günstig zu erstehen, auch mal eine Rüstung, wenn es denn sein muss. Die Stücke sind alle von böhmischen Meistern geschaffen, «perfekt nachgebildet», wie der Verkäufer beiläufig erklärt. Er trägt eine schwarze Bluse mit Halskrause. Seine Haare hat er zum Zopf gebunden, Gestik und Wortwahl sind gediegen. Monsieur spricht leise: Das Vikingschwert mit dem Elfenbeingriff koste 10'000 Franken, die gotische Rüstung rund 5000 Franken.

Eine zugewandte Firma bietet Events für Betriebsfeste an: Sänger, Fechter, Krieger und mittelalterliche Gelage werden geliefert, «für ein Wochenende meist: viel Stimmung, viel Unvergessliches.» Für Hochzeiten sei der Service wohl zu teuer, sagt der Herr in der Bluse, die Nachfrage bei grösseren Firmen hingegen wachse enorm. «Das Mittelalter ist im Trend, wissen Sie.» Monsieur rückt eine Kerze zurecht. «Das Informatikzeitalter schreit nach Romantik», sagt er.

Gewehr über, vorwärts marsch!
In der Tat. Eben gellt ein Schrei durch die Halle. Zwei junge Fechtschüler zeigen ihr Können: Mit Axt und Schild schlagen sie aufeinander ein, die Funken stieben, es riecht nach oxidiertem Eisen, die Kämpfenden erhitzen sich. Gebannt steht das Publikum hinter den Absperrungen. «Maman! Maman!», schreit ein Kind. Die Kämpfenden tragen Wollhosen, Brustpanzer und schwere Helme. «Die Wucht einer Axt ist gross», erklärt der Conférencier. «Einmal aufgezogen, ist sie kaum mehr zu kontrollieren.» Ein Schritt vor, zwei zurück, eine Drehung um die eigene Achse, der Kleinere der beiden ist flink. Dann ein Schlag mit dem Stumpf in die Kniekehle. Der Gegner stürzt. Die Besucher klatschen.

Joseph Codourey, Tierpräparator, steht etwas verloren an seinem Stand. Er sei nicht hier für Gewinne: «Es gibt nur wenige Kunden bei den Jägern», und die müsse man pflegen. Vor ihm liegt ein eingerolltes Füchslein. Eine Krähe krallt sich steif an die Wand. Codoureys Verkäufe decken «knapp die Platzmiete». Aus dem Freiburgischen kam er hierher. Er arbeitete bereits in mehreren Museen und für Schulen.

Kürzlich erhielt Codourey von der Oper in Genf einen Auftrag: Für «Carmen» hatte er einen Stierkopf zu präparieren. Ja, die Opernregisseure wünschten vermehrt echte Tiere. Gründe dafür kennt er nicht. Nein, für Waffen interessiere sich Codourey «eigentlich» nicht.

«Laden! Schiessen!»
«Mesdames, Messieurs! Lassen Sie sich den Gruss des dritten Regiments nicht entgehen!» Die Besucher werden per Lautsprecher zum Eingang gerufen, und dahin stolzieren auch vier Uniformierte, das Gewehr auf der Schulter, mit steifem Schritt. «Détachement! Stop!», schreit der Kommandant. Die Formation trägt Anzüge nach der Art der napoleonischen Armee. Über 100 Mitglieder zählt der Verein; vor zehn Jahren wurde er gegründet mit dem Ziel, die Geschichte neu zu beleben.

«Werter Präsident der Waffenbörse», schreit jetzt der Kommandant, «ich offeriere Ihnen meine Ehrerbietung sowie jene unserer Majestät, Kaiser Napoleon des Ersten.» Der Hauptmann zieht sein Schwert, der Präsident der Waffenbörse nickt. «Détachement! Laden!» Im Gänsemarsch geht es durch die Drehtür. «Tirez!» Drei Schüsse krachen in den Nebel. Applaus.

Die drei Männer in Turnschuhen lachen. Was sie in dieser Ausstellung wollen, fragt der Journalist. Die Männer verstummen und schauen sich abwartend an. Dann meldet sich der Jüngste. Er rede nicht mit Journalisten, sagt er. «Aha! Wieso?», fragt der Journalist. «Wir sind Ihnen keine Erklärung schuldig», sagt ein anderer.

«Warum ich hier bin?», lächelt ein Passant. Er hat es eilig. «Ach wissen Sie, man trifft seine Freunde! Excusez-moi!», und weg ist er.

Mehr Zeit hat Chloé. Sie ist zwölf Jahre alt und nimmt bereits an Turnieren teil. Sie trainiert, «wenn Vater Zeit hat». Die Mutter ist stolz auf Chloé. Chloés Grossvater hatte auch schon an Turnieren teilgenommen. «Andere Familien wandern», sagt die Mutter, «wir schiessen halt.»

«Ein Neunundachtziger! Schau!» Die beiden Herren stehen staunend vor dem Stand. «Das ist ein Sechsundneunziger, mon cher!» Der Ältere stösst seinen Begleiter lächelnd zur Seite. Er tippt auf die Waffe: «Kein Pistolengriff! Kein Pistolengriff!» – «Der ist wohl transformiert», sagt der erste. Der Standinhaber ist schlecht gelaunt. «Das ist ein Sechsundneunziger, Messieurs», sagt er. «Une trouvaille.» Das Fundstück kostet 2000 Franken.

«Ein Sport wie jeder andere»
Die beiden Pensionierten sind gesprächig. Der eine war Kondukteur, der andere Bäcker, und beide sind aus Genf hierher gereist. Einmal im Jahr fahren sie zum Rütlischiessen. Das Resultat beider lasse sich sehen; die lange Visierlinie der älteren Karabiner komme ihrer Alterssichtigkeit entgegen, sagt der Kondukteur. Überhaupt: Für einen Treffer brauche das Sturmgewehr unzählige Schüsse. «Mein Karabiner und ich brauchen einen. Voilà!»

Der Bäcker stimmt ihm zu. Er sagt, Schiessen sei ein Sport wie jeder andere, «bei uns gibts Löcher in den Karton, c’est tout!» Der Kondukteur wird nachdenklich. Er zieht den Journalisten zur Seite. «Wissen Sie», sagt er, «die Linken haben etwas nicht begriffen.» Die Halbierung der Armee sei Humbug. «Falls es je wieder Aufstände gäbe: Unser Volk ist bewaffnet! Wir könnten kämpfen! Das Gewehr ist der Garant unserer Demokratie!»

«Dies ist ein Stein fürs Leben!» Mit dem belgischen Brocken lassen sich Tausende von Messern schleifen. «Sehen Sie!» Langsam führt der Verkäufer den Dolch zum Schleifstein, führt ihn sachte auf und ab, «rechte Seite… linke Seite…». Und hier ist das Papier: Mit dem einen Arm hält er es hoch, der Dolch gleitet spielend hinab. «Aus eins macht zwei!»

Auf dem Tisch hinter ihm stapeln sich Dutzende von Steinen. «Der belgische Brocken ist einfach genial. Sehr schwierig zu gewinnen!» 125'000 Franken kostet er. Das Objekt muss mit Wasser genetzt werden. «Oder mit Speichel – oder aber mit belgischem Bier», fügt der Verkäufer hinzu. Neulich, in Mailand, habe er das Bier gleich mitverkauft.

«Alles, was in der Mechanik erfunden worden ist, hat den Ursprung in der Waffenindustrie», sagt ein Büchsenmacher und -händler, der nicht namentlich genannt sein will. «Nehmen Sie die Drehbank, die Fräsmaschine, eine Tieflochbohrmaschine – ohne Revolver und Gewehr wären diese Geräte nie erfunden worden.» Interessant sei aber nicht die Massenproduktion, sondern Einzelanfertigungen. Einem Kunden, nach einem Schlaganfall einseitig gelähmt, habe er das Gewehr komplett umgebaut – jetzt könne der wieder schiessen. «Faszinierend sind die kleinen Lösungen. Alles andere ist öd.»

Alles ist eine Waffe»
Angelo, Stand 17, redet leicht und viel; er duzt alle, sein Hemd ist offen. «Ich bin am Tag der unschuldigen Kinder geboren. Eines Tages werde ich heilig gesprochen.» In der Broschüre, die er für 38 Franken verkauft, steht geschrieben: «Die Glaubenskraft ist die Quelle unserer Wehrkraft.» Der Text wurde 1935 von einem Pfarrer verfasst. Auf dem Einband prangt ein Hakenkreuz. «Ich war schon immer ein Waffennarr», sagt Angelo. «Als Kind habe ich das Gewehr der Vaters demontiert, bis es Schläge absetzte.»

Der Hobbyverkäufer arbeitet drei Tage als Dachdecker und zwei Tage als Gemüsehändler. Den Ramsch aus den Weltkriegen bietet er an Wochenenden an. Er verkauft «nur Originale», das Geschäft läuft gut. Da liegt ein deutsches Ritterkreuz, für 4500 Franken zu haben, oder der Anzug eines deutschen Panzersoldaten, den er einiges günstiger anbiete als der Handel in der Bundesrepublik. Weiter gehören zum Angebot: russische Offiziersflachmänner, Benzinkanister der SS, Offiziersdolche, Postkarten von der Front. «Die Geschichte kann man nicht totschweigen», sagt er. «Und alles, was man verbietet, boomt.»

Neben dem Messeeingang befindet sich der Stand des waadtländischen Militärmuseums. Die antike Kanone ist mit einem Tarnnetz verhüllt. Auf dem Poster mit den Öffnungszeiten prangt das Logo der Mobilière Suisse und das Bild einer Kleinfamilie, Hand in Hand. In einer Vitrine sind Sackmesser mit integrierten Pistölchen ausgelegt sowie Anfertigungen aus Edelmetall. Darüber, meterhoch und statuenähnlich, das Modell des «Original Swiss Army Knife». Die Klingen bewegen sich auf und ab und glänzen.

«Können Sie mir sagen, was eine Waffe ist?», fragt der Messerhändler von Stand 31. Er verkauft Taschenmesser, Küchenmesser, Dolche, Einteilmesser. «Ein Lampenschirm ist eine Waffe, eine Stecknadel, eine Büroklammer. Et puis ça!» Er zeigt auf seine Zunge. «Alles ist eine Waffe. Nichts ist eine Waffe. Man muss damit umgehen können. Voilà.»