Laut und lustig geht es zu und her: Zehn Erwachsene und zwölf Kinder versuchen gleichzeitig, sich in zwei überschäumende Holzzuber zu zwängen. Überall nackte Beine, grinsende Gesichter und spontane Ausrufe: «Ui, isch das heiss.» – «He, mach Platz!» Oder: «Aaah, so schön.» Immer wieder steigt jemand aus dem Topf und hüpft in den kalten Brunnen. Es spritzt, schwappt und platscht. Ein Wohlfühlprogramm für Körper und Geist. Allerdings wäre ein solches Tohuwabohu in einem herkömmlichen Wellnesstempel unvorstellbar. Die Szene spielt sich denn auch nicht in der durchgestylten Nasszone eines Sternehotels ab, sondern unter freiem Himmel auf der Berglialp im Glarnerland.

Hinter dieser Wellnessoase der natürlichen Art steckt Bauer Heiri Marti. Ein Naturmensch, wie man ihn sich vorstellt: braungebrannte Haut, wettergegerbtes Gesicht und kräftige Statur. Aus Not kam der Glarner vor 15 Jahren auf die Idee, Wellness auf der Alp anzubieten. Damals gab er die Schweinezucht wegen sinkender Fleischpreise auf. Doch wohin nun mit der Molke? Mit dem eiweissreichen Nebenprodukt aus der Alpkäserei hatte er bis dahin seine Säuli gemästet. Marti las in einer Zeitschrift, dass man im Appenzellischen die Kurgäste einst in Molkebäder gesetzt habe. Molke, so machte er sich schlau, pflege die Haut und könne gar Ekzeme heilen. «Was die Appenzeller konnten, kann ich auch», sagte er sich, kaufte drei Bottiche aus Holz, schaltete eine Internetsite auf und informierte das Tourismusbüro Glarnerland. Die Gäste liessen nicht auf sich warten – obwohl oder vielleicht gerade weil die Berglialp rund eine Stunde vom nächsten Parkplatz entfernt liegt.

Was als Ersatz für die Schweinezucht begann, ist ein lukratives Geschäft geworden: «Heute erwirtschafte ich mein Einkommen etwa fifty-fifty vom Tourismus und von der Landwirtschaft», erzählt der junggebliebene 63-Jährige stolz. Er hat sein Sortiment erweitert und bietet unter anderem Lavendel-, Rosen- oder Stutenmilchbäder an – auch weil er weniger Milchkühe als früher hat und nur noch an jedem zweiten Tag Käse herstellt. Die Infrastruktur der Alpwirtschaft hat er immer mehr an die Bedürfnisse der Touristen angepasst. Dabei ist alles einfach und authentisch geblieben: Holzzuber, Käsegerichte und Massenschlag – wie es sich auf einer Alp eben gehört.

Bauern werden zu Unternehmern

Heiri Marti ist ein Pionier, aber längst nicht mehr der einzige Schweizer Bauer, der sich mit Wellness ein zweites Standbein geschaffen hat. Molkebäder gibt es auch auf der Alp Hinterfeld am Sustenpass UR, auf der Alp Turnels bei Turbach BE oder auf der Gerschnialp ob Engelberg OW. Und längst steht nicht nur Molke im Angebot: Die Familie Sahli in Uettligen BE etwa lockt mit einem Saunawagen auf ihren Hof, die Familie Woodtli in Gänsbrunnen SO hat für ihre Gäste einen Whirlpool in den Garten gestellt, und die Familie Koller-Büeler in Meierskappel LU wartet mit Kneipp-anwendungen, Ernährungsberatung und Heilkräutern auf. Das Angebot reicht von einfach bis luxuriös. Es gibt Whirlpools wie im Hotel und Bottiche wie im Heimatfilm. Mal drinnen, mal draussen, mal als einladendes Extra, mal als Hauptattraktion.

So viel Einfallsreichtum erstaunt nur auf den ersten Blick. Viele Schweizer Bauern haben diversifiziert und sind zu innovativen Unternehmern geworden: Laut Bundesamt für Statistik vermarktet rund ein Viertel der Landwirte Produkte im Direktverkauf oder bietet Touristen Dienstleistungen an (siehe Box «Bauernland»).

Für Bauer Marti ist die Konkurrenz kein Problem. Seine Gäste zahlen gern 25 Franken pro Person für ein Gruppenbad, können sie doch aus dem Bottich das 220-Grad-Panorama auf der Berglialp geniessen. Rechterhand ruht der ewige Schnee des Sardona-Firns. Linkerhand zieht sich der «Zigerschlitz» bis in die Linthebene. Und als alles dominierender Blickfang recken die stolzen Tschingelhörner ihre Zacken in den Himmel. Sie sind Teil der Glarner Hauptüberschiebung und damit Unesco-Weltnaturerbe. Hier liegen ältere Erdschichten über jüngeren – die Erde steht sozusagen Kopf.

«Heute erwirtschafte ich mein Einkommen etwa fifty-fifty vom Tourismus und von der Landwirtschaft.»: Heiri Marti, Landwirt und Wellness-Anbieter

Quelle: Andreas Eggenberger
Das Potential ist noch gross

Der Blick auf die geologische Besonderheit trägt zu Heiri Martis Erfolg bei. Ein wichtiger Faktor ist jedoch auch der Landwirt selbst. Er ist kein eigenbrötlerischer Alpöhi, sondern ein aufmerksamer Gastgeber. Obwohl er wahrscheinlich schon 1000-mal erklärt hat, wo genau im Fels das Martinsloch zu erkennen ist, scheint ihn das Plaudern mit den Unterländern nicht zu langweilen. Im Gegenteil: Gern erzählt er hier und dort ein Witzchen – zum Beispiel über die unberechenbare Wirkung des Stutenmilchbades auf die Damenwelt …

Schöne Landschaft hin, gute Laune her: Viele Betriebe eignen sich für Wellness, und fast jeder Bauer könnte in das Geschäft mit den Touristen einsteigen. Denn Bauernhöfe bieten vieles, was gestresste Menschen schätzen: frische Lebensmittel, Natur oder gar eine eigene Quelle. Für viele Bauern ist all dies aber so selbstverständlich, dass sie das Potential ihres eigenen Betriebs gar nicht erkennen.

Renata Bürki hilft ihnen bei Bedarf auf die Sprünge. Die Motivationstrainerin unterrichtet an der Bauernschule Inforama in Zollikofen BE in der Weiterbildung zum «Natur-Wellness-Begleiter». Im Kurs entdecken die Teilnehmenden ihre Ressourcen, setzen sich mit bestehenden Wellness-Angeboten auseinander und lernen, wie sie ihre eigenen Ideen realisieren können. Das Inforama bietet den Lehrgang seit 2006 an. Inzwischen haben ihn rund 40 Bauern – und vor allem Bäuerinnen – absolviert.

Ausbildnerin Bürki ist überzeugt: «Es werden noch viel mehr Wellness-Bauernhöfe entstehen. Im Vergleich zum Südtirol sind wir noch nirgends.» Dort gebe es unzählige wundervolle Wohlfühlerlebnisse – und unter der Bezeichnung «Roter Hahn» ein offizielles Portal für Agrotourismus, das alle Angebote auf einen Klick auflistet.

Zufall und Mundpropaganda

Schweiz Tourismus plant zwar eine ähnliche Seite, derzeit finden viele Gäste aber nur per Zufall zu Bauernhof-Wellness. So auch die Wandergruppe aus Aarau, die in Bauer Martis Bottichen sitzt – nicht das Internet, sondern Mundpropaganda hat sie auf die Alp geführt.

Es muss ja nicht immer modern sein. Das gilt für die Kommunikation wie auch fürs Kuren. Die Kinder haben inzwischen genug vom Baden und tollen über die Wiese, die Männer sitzen zufrieden mit ihrem Bier auf der Bank vor der Hütte, und die Frauen haben die Wanne und den Brunnen endlich für sich alleine – fast wie Wellness im Sternehotel, nur schöner.

Wer Dienstleistungen und Produkte von Schweizer Bauern sucht, braucht etwas Geduld und Ausdauer. Denn leider gibt es keine Institution, die sämtliche Angebote bündelt. Interessierte informieren sich am besten auf den Internetplattformen regionaler Tourismusvereine, Bauernverbände oder anderer Organisationen. Die wichtigsten Anlaufstellen werden hier kurz vorgestellt:

www.landwirtschaft.ch
Auf der Seite des Schweizerischen Bauernverbandes findet sich unter dem Menüpunkt «Vom Hof» die derzeit umfassendste Datenbank mit rund 850 registrierten Betrieben. Sie lässt sich nach Stichworten oder nach Rubriken abfragen. Die Angebote reichen von Lebensmitteln über Übernachtungsmöglichkeiten bis zu Wellnessferien.

www.knospehof.ch
Die Seite von Bio Suisse bietet dieselben Suchfunktionen, beschränkt sich aber auf Biohöfe.

www.bio-direct.ch
Hier verkaufen Biobauern ihre Produkte übers Internet. Gemüse und Früchte können im Abo bestellt werden.

www.regionalprodukte.ch
Der Verein «Das Beste der Region» ist ein Zusammenschluss von zehn regionalen Vermarktungsorganisationen. Über Links gelangt man auf die Homepages der verschiedenen Regionen. Leider sind diese Seiten ganz unterschiedlich aufgebaut – daher muss man sich bei der Suche nach Produkten oder Dienstleistungen immer wieder neu orientieren.

www.bauernhof-ferien.ch
Die Datenbank, die von der Reka verwaltet wird, erfasst rund 230 Schweizer Bauernhöfe. Das Angebot lässt sich dank einer Suchmaske auch nach Extras wie zum Beispiel Wellnessferien oder Kinderanimation durchsuchen.

www.tourisme-rural.ch
Auf dieser Plattform finden sich vor allem Westschweizer Betriebe. Die Datenbank umfasst rund 260 Einträge und lässt ebenfalls eine Stichwortsuche zu.

www.myswitzerland.com
Die Homepage von Schweiz Tourismus bietet viele weiterführende Informationen zum Thema Tourismus und Landwirtschaft.

Clemens Wäger: «Erlebnis Bauernhof. 372 Ferien- und Ausflugstipps der Schweizer Landwirtschaft»; Werd-Verlag, 2007, 256 Seiten, Fr. 39.90