Im Artikel in «Judenstempel: Korrektur einer Halbwahrheit» weist der Beobachter auf ein düsteres Kapitel der Geschichte hin: die Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Ein Hauptvorwurf in diesem Zusammenhang wird immer wieder erhoben: Die Schweiz sei die Initiantin des J-Stempels zur Kennzeichnung deutscher jüdischer Pässe gewesen.

Dieser Vorwurf geht auf verschiedene Artikel des Beobachters in den Jahren 1954 und 1958 zurück. Darin berichtete die Zeitschrift, gestützt auf damals neu publizierte Dokumente, der Schweizer Polizeichef Heinrich Rothmund habe der deutschen Regierung den J-Stempel «vorgeschlagen». Damit habe sich die Schweiz zur Vorreiterin der nationalsozialistischen Rassenpolitik gemacht.

Heute muss diese Sichtweise aufgrund einer sorgfältigen Lektüre des 1957 erschienenen Ludwig-Berichts und neuerer Literatur korrigiert werden. In Wahrheit war Rothmund ein Gegner der Einführung des J-Stempels, auch wenn er sich durch eine antisemitische Einstellung auszeichnete und später - im Zweiten Weltkrieg - für die unmenschliche Abweisungspolitik verantwortlich war. Zudem ist die Behauptung nicht haltbar, dass die Schweiz Initiantin der rassistischen Massnahme war. In Wirklichkeit stimmte sie einem deutschen Vorschlag «nur» zu - um die eigene Flüchtlingspolitik in den Griff zu bekommen.

Entlastet diese Korrektur die Rolle der Behörden in der gegenwärtigen Vergangenheitsaufarbeitung? Dazu befragte der Beobachter eine Reihe prominenter Persönlichkeiten aus Politik und Geschichtswissenschaft. Schon früher haben sich die «Neue Zürcher Zeitung» (Alfred Cattani: Schuld und Verstrickung. Die Entstehung des Juden-Stempels im Dritten Reich. NZZ vom 5. Mai 1998.) und andere Presseorgane in die Debatte eingeschaltet.

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