Wolhusen LU: Integration im Alltag

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Das Klima verbessert: Christoph Stampfli (links) und Projektmitarbeiter


Ende der neunziger Jahre verschärfen sich in Wolhusen LU die Probleme: Ausländische Jugendliche treten im Dorf dominant und aggressiv auf. Auf dem Pausenplatz der Schule und am Bahnhof kommt es zu Erpressungsversuchen und Schlägereien zwischen kosovoalbanischen, türkischen und schweizerischen Jugendlichen aus teils rechtsextremen Kreisen. Der Jugendtreff muss geschlossen werden. Als Jugendliche sich am Überfall auf einen Taxifahrer beteiligen, eskaliert die Situation: «Manche Leute trauten sich nicht mehr auf die Strasse», erinnert sich Jugendarbeiter Christoph Stampfli. Die Gemeinde holt Hilfe bei der Taskforce interkulturelle Konflikte (TikK), die Behörden berät und Kriseninterventionen anbietet. «Wir haben schnell erkannt, dass die Ursache der Gewalt in erster Linie die mangelhafte schulische und berufliche Integration der Ausländer ist», sagt Stampfli. 15 Prozent der 4000 Einwohner Wolhusens sind Ausländer. Um sie in den Gemeindealltag einzubinden, startet die Gemeinde zusammen mit TikK zahlreiche Projekte: An der Schule wird die Gewalt ein Jahr lang intensiv thematisiert, Lehrer werden in diesem Bereich spezifisch weitergebildet. Die Gemeinde realisiert kulturell buntgemischte Theaterabende, Fussballturniere und eine Modenschau. Ausländische Jugendliche und Erwachsene werden in Schweizer Kultur und Sprache unterrichtet.

Zudem gründet die Gemeinde eine Integrationskommission und bildet einzelne Erwachsene der unterschiedlichen Migrantengruppen in den Fächern Verwaltung, Schule, Soziales, Steuern und Recht aus. Diese Schlüsselpersonen greifen vermittelnd ein, wenn es Probleme gibt. Kosten der TikKIntervention: 21'000 Franken in zwei Jahren. Seither, so bestätigen auch Schul und Gemeindebehörden, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Stampfli: «Wir konnten den Jugendtreff wieder eröffnen, das Klima an der Schule hat sich gebessert, und die Bevölkerung hat keine Angst mehr.»

Balgach SG: Kinder entscheiden mit


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Abstimmung über die Pausenplatzregeln: Vollversammlung in Balgach

Die 4000-Seelen-Gemeinde Balgach SG hat vor zwei Jahren auf wiederholte Gewalt Jugendlicher auf dem Schulweg reagiert. Einerseits mit einem offenen Brief an alle Eltern, anderseits mit Präventionsmassnahmen. Das Projekt «Just Community» etwa, das in einem Primarschulhaus als Versuch initiiert wurde, bezieht bereits Kinder in Entscheidungsprozesse ein. Einmal pro Quartal wird eine Vollversammlung mit allen 150 Schülern abgehalten. An dieser wird ein Thema behandelt, das die Klassen einbringen. Auf diese Weise wurden die Pausenplatzregeln gemeinsam erarbeitet oder Anschaffungen für die Schulhausinfrastruktur ausgewählt. «Zusammen gefällte Entscheide werden respektiert», hat Primarschulleiter Christof Bicker festgestellt. Die Vollversammlungen stifteten ein Gemeinschaftsgefühl. Frühzeitiges Thematisieren von Problemen und der Appell an die Verantwortung aller bewährten sich.

Bronschhofen SG: SuperNanny mit Herz und Verstand

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«Es musste sich etwas im System ändern»: Eva Berlinger leitet die Jugendhilfe.

Reallehrerin Eva Berlinger hatte in Bronschhofen SG in der Schule immer wieder gewaltbereite Jugendliche zu betreuen. Es kam zu Schlägereien und Drohgebärden mit Messern. Schwere Fälle leitete Berlinger an die Vormundschaftsbehörde weiter, die Kinder in Heime einweisen oder bei Pflegeeltern platzieren musste. «Als die Gewalt zunahm, kamen wir Lehrer an unsere Grenzen. Ich erkannte, dass sich im System etwas ändern musste», sagt sie. Nach einer Coaching-Ausbildung gründete sie deshalb im Jahr 2000 die Jugendhilfe Bronschhofen, die sie seither leitet. Das Spezielle daran: Zehn semiprofessionelle Mitarbeiterinnen - Familienfrauen und solche mit pädagogischem Hintergrund - gehen direkt zu Familien mit Problemen nach Hause, zwei bis dreimal die Woche. So helfen sie vor Ort - wie eine SuperNanny. «Wir hören zu, geben Leitlinien für die Erziehung und vermitteln mit Herz und Verstand zwischen Behörden und Familie, wenn es nötig ist.» So begleiten die Frauen Eltern an schwierige Gespräche mit den Behörden oder unterstützen auch mal einen arbeitslosen Vater beim Schreiben von Bewerbungen. Die SuperNannys haben Erfolg, wie die Vormundschaftsbehörde bestätigt: Seit sie vor sieben Jahren aktiv wurden, musste kein einziges Kind mehr aus disziplinarischen Gründen fremdplatziert werden.

Liestal BL: Streetworker auf Erfolgskurs


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Gedankenaustausch mit der Jugend: Streetworker Thomas Furrer (hinten)

Mit Eisenketten und Baseballschlägern droschen junge Männer aus der rechtsextremen Szene am 30. April 2004 am Bahnhof Liestal BL auf Passanten ein und verletzten drei Personen zum Teil schwer. Nach der Gewaltaktion startete Liestal ein Pilotprojekt: Zwei Jugendarbeiter sollten als «Streetworker» auf der Strasse gezielt den Kontakt zu Jugendlichen suchen. «Wir animieren herumhängende Kids, über ihr Leben nachzudenken», sagt Thomas Furrer, einer der Streetworker. Oft führe der Mangel an Perspektiven zu Gewalt. «Wir stellen in unserem Büro am Bahnhof Computer und Internet zur Verfügung, beraten die Jugendlichen, um sie aus der Arbeitslosigkeit zu holen.» Der informelle Gedankenaustausch werde von den Jungen sehr geschätzt. Kosten des Projekts: jährlich 65'000 Franken. Polizei, Behörden und die Streetworker bestätigen: Die Strassenarbeit ist ein wichtiger Beitrag zur effizienten Jugendarbeit. Sie hat mitgeholfen, das Gewaltproblem in Liestal und der Region «massgebend und deutlich zu entschärfen». Nennenswerte Vorfälle gebe es, ausser an einzelnen Grossanlässen, keine mehr.

Ostermundigen BE: Peacemaker schreiten ein


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Bei Auseinandersetzungen hinschauen: Thomas Werner (Mitte) mit Peacemakern


Als eine der ersten Deutschschweizer Schulen bildete das Oberstufenzentrum Rothus in der 15'000 Einwohner zählenden Gemeinde Ostermundigen BE Jugendliche als Peacemaker aus. Seit bald drei Jahren sind Friedensstifter auf dem Pausenplatz dafür besorgt, dass Konflikte geschlichtet werden und nicht eskalieren. Inzwischen haben zahlreiche weitere Gemeinden das vom National Coalition Building Institute Schweiz (NCBI) angebotene Programm übernommen. Das PeacemakerProjekt setzt sich zum Ziel, ganze Schulen für den Umgang mit Streit zu sensibilisieren. Die Friedensstifter werden von Betreuern und Lehrpersonen in ihrer Tätigkeit unterstützt. Sie sind weder Richter noch Polizisten, sondern helfen, Konflikte zu lösen. «Durch das Projekt haben die Schüler gelernt, bei Auseinandersetzungen hinzuschauen», sagt Lehrer Thomas Werner. Allen seien die Regeln klar, nachdem das Thema Gewalt breit behandelt worden sei.