Wenn man in eine Familie kommt, wo einen die Kinder sehnsüchtig erwarten, wird sofort klar, worin das Besondere liegt, ein Samichlaus zu sein: Dieses Leuchten in den Kinderaugen, diese Wärme, die dem Chlaus entgegenstrahlt – das sind die schönsten Momente in meinem Job. Klar, manchmal hat eines der Kinder Angst; die Mutter muss es dann an der Hand nehmen und zu mir führen. Macht aber ein Chlaus seine Arbeit gut, kann sich ein Kind öffnen und seine Angst ablegen. Und nicht selten haben auch die Erwachsenen feuchte Augen, wenn ich ihnen zum Abschied die Hand drücke.

Ich bin seit zwei Jahren Mitglied der Sankt-Nikolaus-Gesellschaft. Wir sind ungefähr 50 aktive Chläuse, 70 Schmutzli und nochmals so viele Fahrer, die bei uns «Eseli» heissen. Pro Saison haben wir rund 1000 Einsätze. In der Zeit um den 6. Dezember, wenn die Marathontage anstehen, nehme ich jeweils drei Tage Ferien. Ich habe die Berufsmittelschule abgeschlossen und bin im Talentförderungsprogramm einer Grossbank. Ich möchte unbedingt Karriere machen, der Besuch einer höheren Wirtschaftsschule würde mich reizen.

Meine Geschäftskollegen haben Verständnis dafür, wenn ich zur Chlauszeit ab und zu frühen Feierabend machen muss. Schliesslich ist es eine gute Sache: Wir machen auch Gratisbesuche bei Bedürftigen, gehen in Heime und Spitäler. Ein Chlaus erhält nichts – es geht ja nicht ums Geldverdienen, sondern um das besondere Gefühl, das wir den «Chlausvirus» nennen.

Eine frühkindliche Chlausprägung
Schon als Kind war ich von diesem Virus befallen. Ich kann mich gut erinnern, wie ich mich jedes Jahr unglaublich auf den Besuch des Samichlaus freute. Meine Mutter sagte mir später, ich hätte immer ein riesiges Strahlen im Gesicht gehabt, wenn der Nikolaus endlich bei uns in der Stube stand. Angst hatte ich nie, aber einen gesunden Respekt – und ich wollte dem Chlaus immer ganz viel erzählen. Diese Sagenfigur faszinierte mich so sehr, dass ich bereits als Bub die Geschichte des Sankt Nikolaus nachlas. Ich bekomme noch heute Herzklopfen, wenn ich auf der Strasse die ersten Chläuse sehe.

Das perfekte Tandem
Eines Tages suchte ich im Internet die Adresse der Zürcher Sankt-Nikolaus-Gesellschaft heraus. Ich war fest entschlossen, selber Chlaus zu werden. Ich schickte dem Präsidenten eine lange E-Mail und erklärte ihm meine Motivation. Im November 2001 besuchte ich dann die Chlausschulung. Dort lernten wir, wie man einen guten Einstieg macht, damit die Besuchten bei der Sache bleiben. Läuft in einer Stube zum Beispiel noch der Fernseher, sage ich ohne Pardon: «Ausschalten, sonst geht der Chlaus wieder!» In der Schulung schauten wir uns auch Videos an und stellten typische Szenen nach.

In unserem Verein sind alle Chlausprofis. Jeder weiss in jeder Situation, was zu tun ist. Wenn wir im Einsatz sind, ist Alkohol absolut tabu. Und wenn wir uns in der Chlauszentrale im Albisgüetli umziehen, achtet jeder darauf, dass sein Kostüm perfekt sitzt.

Die ersten zwei Jahre ging ich als Schmutzli, dieses Jahr bin ich zum Chlaus aufgestiegen. Beide Rollen sind wichtig. Bei uns läuft es so, dass der Schmutzli aus dem Buch mit den Sündenzetteln liest. Er trägt vor, was die Kinder gut oder schlecht gemacht haben. Der Chlaus ist für die Begrüssung und den Abschied zuständig und muss dafür sorgen, dass der ganze Auftritt stimmt. Manchmal schreiben die Eltern heikle Dinge auf, etwa dass ein Kind das Bett nässt – darauf gehen wir nicht ein. Bei anderen schwierigen Sünden sage ich dem Kind, es solle zu mir kommen, ich müsse ihm ein Geheimnis ins Ohr flüstern. Ich erzähle ihm dann, dass solches manchmal auch dem Nikolaus passiert und wir uns gemeinsam anstrengen wollen, es besser zu machen. So kann man vielleicht etwas bewirken, ohne das Kind zu verletzen.

Beim Chlausen merkt man sofort, ob es in einer Familie gut läuft oder nicht. Steht auf dem Sündenzettel nur Negatives, kann etwas nicht stimmen. Ich versuche dann spontan zu ergründen, wo ein Kind auch Stärken hat. Mit der Zeit entwickelt man ein gutes Gespür dafür.
Einmal wurden wir notfallmässig zu einer Familie eingeladen, weil der Sohn glaubte, der Nikolaus habe ihn vergessen. Aus dem Stegreif legten wir eine Superfeier hin, nahmen vom Kleinsten bis zur Grossmutter alle durch – und trafen immer genau ins Schwarze. Am Schluss waren alle total gerührt.

Der Chlaus braucht nicht alt zu sein
Viele Kollegen sind erstaunt, wenn sie hören, dass ich Nikolauseinsätze mache. Sie können sich nicht vorstellen, warum sich ein junger Mensch dafür Zeit nimmt. Ich bin ja sonst auch eher ein flippiger Typ, spiele Fussball, tanze Hip-Hop – aber das Chlausen ist für mich immer eine megaschöne Zeit.

Ich habe italienische Wurzeln und bin deshalb ein überzeugter Familienmensch. Ich möchte selber einmal Kinder haben – und bestimmt wird der Nikolaus auch sie besuchen.