«Ich hätte wohl abgelehnt»
Als Sprengkandidat aus dem Volk stellte sich der 20-Jährige zur Wahl in den Bundesrat. Der Luzerner hatte keine Chance - aber eine Hoffnung: den Jungen Mut zu machen.
Veröffentlicht am 17. Dezember 2007 - 12:10 Uhr
Am Mittwoch, 12. Dezember, kurz nach drei Uhr rief ich das Generalsekretariat des Parlaments an und fragte nach meinem offiziellen Resultat. Man sagte mir, ich hätte zu wenig Stimmen gemacht, als dass man sie separat zählen würde; vermutlich waren es null. Klar, ein wenig enttäuscht war ich schon, aber mit mehr als ein, zwei Stimmen hätte ich sowieso nicht rechnen können. Als junger Parteiloser einen gestandenen Bundesrat zu verdrängen ist ja eine totale Illusion! Und doch gibt es jedes Mal, wenn die Landesregierung neu gewählt wird, ein paar einfache Bürger aus dem Volk, die sich auch zur Wahl stellen. Dieses Recht ist in Artikel 143 der Bundesverfassung formuliert: «In den Bundesrat sind alle Stimmberechtigten wählbar.» Als dann Bundesrat Christoph Blocher aus dem Rennen fiel, war ich total überrascht. Ob das gut oder schlecht ist, wird sich zeigen; die Neue, Eveline Widmer-Schlumpf, muss man ja erst mal kennenlernen.
Angefangen mit meiner Kandidatur hat alles im letzten September, als ich im Fach Allgemeinbildung ein Thema für meinen Lehrabschluss suchen musste. Ich bin im vierten Lehrjahr als Informatiker an der Berufsschule in Zug, nächsten Sommer habe ich die Abschlussprüfung. Ich wollte auf keinen Fall einen 08/15-Aufsatz schreiben, und nach einigem Überlegen hatte ich plötzlich die Idee: Meine Arbeit mache ich zum Thema «Ich werde Bundesrat!». Ich wollte am eigenen Leib erfahren, was es braucht, um für dieses Amt zu kandidieren. Mein Lehrer war sogleich begeistert und unterstützte mich, obwohl der Zeitplan sehr eng war: Nach der Wahl blieb mir noch genau ein Tag Zeit, um die Arbeit fertig zu machen und abzugeben. Das war ein rechter Stress und hat noch eine lange Nachtschicht gebraucht; die Note weiss ich noch nicht.
Angriff auf den Kantönligeist
Für meine Kandidatur habe ich mich zuerst in die Bundespolitik eingelesen. Ich bin politisch interessiert - ich will wissen, was in unserem Land läuft, und finde es schade, dass sich viele so wenig um die Probleme unserer Gesellschaft kümmern. Von alleine werden die Dinge nicht besser; man muss etwas dafür tun. In eine Partei eintreten mag ich aber nicht, denn ich kann mir keine vorstellen, in der ich meine Meinung ungeschminkt sagen könnte. So hätte ich, wäre ich tatsächlich Bundesrat geworden, als Erstes den Kantönligeist in der Schulbildung abgeschafft, obwohl das den Kantonen sicher nicht passen würde. Aber warum wir 26 verschiedene Schulsysteme haben, will mir einfach nicht einleuchten.
Neben der Schulbildung habe ich zwei weitere Anliegen in mein politisches Profil aufgenommen: die Jugendgewalt und die Ausländerfrage. Dann habe ich mein Programm fünf Nationalräten vorgelegt und sie gefragt, ob sie mich wählen würden. Leider wollte mir kein einziger seine Stimme geben, aber ich konnte ein paar gute Gespräche führen. Enttäuschend war hingegen der Kontakt zur Landesregierung: Alle Bundesräte sagten, sie hätten keine Zeit für ein kurzes Interview; einzig Micheline Calmy-Rey hatte zuerst zugesagt, dann aber doch wieder einen Rückzieher gemacht. Gerne hätte ich von ihr zum Beispiel gewusst, was sie ändern will, um Politik für junge Menschen attraktiver zu machen.
Am 25. November war es dann so weit: Ich schickte einen Brief an Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi und reichte meine Bundesratskandidatur ein. Viel brauchte es dazu nicht; einen Lebenslauf oder einen Strafregisterauszug habe ich nicht mitgeschickt. Ein einfacher Brief genügte, und als Begründung schrieb ich, dass ich das Gefühl hätte, die Schweizer Jugend würde sich zu wenig an der Politik beteiligen. Ich wollte ein Zeichen setzen, dass es auch anders geht. Ein paar Tage später schickte mir das Parlamentsbüro eine Bestätigung, meine Kandidatur sei eingetroffen. Nun hiess es warten, warten, warten auf den Tag X.
Das Ganze hat sich gelohnt
Ich wohne noch zu Hause bei den Eltern in Luzern. Mein Vater ist Sicherheitsbeauftragter, meine Mutter arbeitet in einem Schmuckgeschäft, mein jüngerer Bruder macht eine Lehre als Elektroniker. Obwohl wir uns alle für Politik interessieren, sind wir alle parteilos. In meiner Freizeit segle ich - im Segelclub Tribschenhorn Luzern, wo ich auch Webmaster bin. Ich gehe an die Spiele des FC Luzern, singe in einem Jugendchor. Auf meine Kandidatur haben die meisten Leute positiv reagiert, auch meine Freundin hat mich unterstützt. Nur ein paar wenige haben den Kopf geschüttelt und gemeint, ich sei ein Spinner. Aber mir ist es nie um das Resultat gegangen, sondern darum, hinter die Kulissen zu sehen. Und so hat sich das Ganze für mich wirklich gelohnt.
Am Tag der Bundesratswahl war ich im Lehrbetrieb in Zug und verfolgte die Veranstaltung live mit den Kollegen am Radio, denn die Plätze auf den Zuschauertribünen im Bundeshaus waren im Nu weg gewesen, ich hatte keinen ergattern können. Und als die Wahlgänge vorüber waren, fühlte ich mich am Ende sogar ein bisschen erleichtert. Denn hätte man mich überraschend gewählt, wäre ich vor einem Dilemma gestanden: das Amt annehmen - oder die Lehrabschlussprüfung machen? Ich glaube, ich hätte mich für die Ausbildung entschieden - und wäre halt in vier Jahren bei der nächsten Bundesratswahl wieder angetreten.