Eigentlich war ich schon am Ende meiner Grabung auf der Schwäbischen Alb. In meinem Quadratmeter im Eingangsbereich der Höhle Hohle Fels hatte ich die Schicht aus der Zeit der modernen Menschen nahezu vollständig abgetragen. Die «sterile Schicht» in drei Meter Tiefe, in der keine menschlichen Funde mehr vorkommen, schien schon durch. Wir wussten recht genau, in welcher Zeit wir waren: 35'000 Jahre zurück, am Beginn der Altsteinzeit. Alle im Team gingen davon aus, dass nichts mehr kommt.

Ich sollte nur noch die letzten Zentimeter wegnehmen, bis ich überall in der sterilen Schicht wäre. In meinem Quadranten Nr. 30 stand ein Kalksteinbrocken, um den ich immer hatte herumgraben müssen. Er war mein ständiger Begleiter während des Praktikums, aber darunter blicken konnte ich nicht. Am Morgen des 9. September konnte ich ihn endlich herausnehmen – und da sah ich es.

Eine sechs Zentimeter grosse Sensation

Am Fuss des Steins liegt ein sechs Zentimeter grosses Stück im lehmigen Sediment. Ich hebe es heraus und merke: Es ist kein Kalkstein, es ist glatt, es muss etwas Bearbeitetes sein. Mit dem Finger schiebe ich etwas Lehm weg und sehe eine Wölbung. «Ich glaub, ich hab was. Sieht aus wie ein Teddybär», rufe ich und hole die Grabungsleiterin.

Wir erkannten sofort, dass es etwas Figürliches ist, ein Teil eines Torsos. Das zweite Stück lag noch in der Mulde. Wir brachten die zwei Fundstücke ins Grabungshaus. Rasch war klar: Es ist eine Frauenfigur aus Mammut-Elfenbein, mit grossen Geschlechtsmerkmalen und feinen Ritzungen. Da fiel der Groschen. Die ältesten Zentimeter dieser Schicht sind normalerweise fundarm, weiter oben in derselben Schicht fanden andere Teams Tierfiguren und Mischwesen – und nun holt die Grabungshelferin hier unten ein raumplastisches, rein menschliches Figürchen heraus. Ich dachte: «Das ist wahnsinnig. Du hast eine menschliche Skulptur gefunden aus einer Zeit, aus der man das nicht kennt.»

Wir wuschen den Aushub und fanden die zweite Brust und den rechten Arm und einen weiteren kleinen Teil des Torsos. Am Tag zuvor hatte ich schon die rechte Hüfte gefunden, ohne zu erkennen, was es ist. Damit hatten wir sechs Teile zusammen. Jetzt fehlen nur noch der linke Arm und die Schulter. Die Figur kam ins Labor der Universität Tübingen zur Präparierung, mit Sediment- und Holzkohleproben für die Altersbestimmung. Ich habe sie seither nicht mehr gesehen. Dabei gewesen wäre ich gern bei den Analysen, aber weil sie so wichtig sind, wäre es fahrlässig gewesen, eine Studentin im 8. Semester ranzulassen.

Nach allen Untersuchungen die Sensation: Die Venus von Hohle Fels ist die älteste Skulptur der Menschheit – rund 10'000 Jahre älter als die Venus von Willendorf, die 1908 ausgegraben wurde und 100 Jahre lang die älteste war. Sonst sind aus dieser Zeit vor allem schematische Höhlenmalereien und Ritzzeichnungen bekannt.

Der Anfang der Kunst wird umdatiert

Das heisst: Nach diesem Fund müssen wir unsere Vorstellungen über den Beginn der Kunst überdenken – in Europa und weltweit. Die Figur beweist, dass es 10'000 Jahre früher, als wir glaubten, künstlerisches Schaffen gab, wahrscheinlich noch früher, denn Kunst ist ja nicht – zack – einfach da.

Was die Menschen dazu bewogen hat, wissen wir nicht. Der Künstler hatte jedenfalls lang am harten Elfenbein gearbeitet; es muss etwas Wichtiges gewesen sein. Mit den sexuellen Attributen ist die Figur wohl ein Fruchtbarkeitssymbol. Der Ring anstelle des Kopfes und Abnutzungen am Rücken deuten darauf hin, dass sie zumindest zeitweise als Anhänger getragen wurde.

Quelle: Vera Hartmann
Nur einmal im Leben

Am schwierigsten war, dass ich acht Monate lang nichts erzählen durfte, bis alle Analysen beendet waren. Bei der Präsentation wurde ich dann als Finderin genannt. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich und eine sehr schöne Geste. Auch wenn es letztlich Zufall ist, dass gerade ich diesen Quadranten zugeteilt bekam und die Figur finden konnte.

Was der Fund für mein Leben bedeutet? Es ist der Traum jedes Archäologen, so etwas ans Licht zu bringen und mit seinem Namen in die Geschichte einzugehen. Dass mir das passierte und so früh, das hat etwas Schicksalhaftes. Meine Biographie ist nun mit der Venus von Hohle Fels verbunden. Vielleicht geht es wieder 100 Jahre, bis eine noch ältere Figur auftaucht.

Einen Moment lang habe ich gedacht: «So etwas Spektakuläres findest du nur einmal im Leben. Du wirst nie mehr solches Glück haben.» Aber in der Archäologie geht es ja nicht darum, möglichst grosse Sensationen herauszuholen, sondern darum, das Ganze zu verstehen. Für die Forschung ist der Fund unglaublich wichtig, für mich auch. Aber ich sehe meine Zukunft nicht darin, zu versuchen, ihn zu toppen. Wie jeder Archäologe werde ich mich wissenschaftlich beweisen müssen. Ich bin keine Schatzsucherin, sondern will aus den vielen Puzzlestücken ein Bild zusammenfügen, wie die Menschen früher lebten.

Diese Begeisterung hatte ich schon von klein auf, als ich oft im Sommer in Griechenland war, woher mein Vater stammt. Mein Hauptfach ist klassische Archäologie. Ich möchte später in Griechenland arbeiten, vielleicht einmal eine Ausgrabung leiten. Im Feld sein, graben, Zentimeter für Zentimeter, sich freuen über jedes Stück das ist es. Natürlich braucht das Geduld, aber sie wird belohnt.