Ich gehörte nie zu denen, die prominent sein wollten. Wenn es aber doch passiert, möchte man lieber für seine Leistungen geschätzt werden – nicht für ein Ereignis, für das man nichts kann. Dass ich den Flugzeugabsturz überlebt habe, war wahnsinniges Glück im Unglück. Sonst nichts. Mein Geschäftspartner und ich flogen von einem Businessmeeting in Berlin zurück nach Zürich.

Der Pilot der Crossair-Maschine begrüsste uns freundlich auf Schweizerdeutsch. Wir witzelten noch, da könne ja nichts schief gehen. Kurz vor Zürich rumpelte es heftig. Ich hielt es für eine sehr harte Landung, wir wurden völlig durchgeschüttelt. Plötzlich war ein Flammenmeer vor uns. «Jetzt bin ich tot», schoss es mir durch den Kopf. Und: «So etwas kann einem also auch mit Schweizer Piloten passieren.» Ich hoffte nur noch, dass die Maschine explodieren und ich nicht langsam verbrennen würde.

Irgendwann merkte ich, dass ich noch lebte. Mein Partner schrie mir zu, ich solle mich nicht abschnallen, ich würde sonst runterfallen. Ich wollte aber nur noch raus aus dem Inferno. In einem solchen Moment geht alles wahnsinnig schnell, ein Adrenalinschub folgt dem anderen. Es war unheimlich laut. Nicht heiss, nur laut. Ich öffnete den Sicherheitsgurt und fiel durch das Flugzeug.

Fieberhaft suchte ich einen Ausweg. Plötzlich sah ich ein riesiges Loch im Flugzeugheck und den verschneiten Waldboden. Es war, als ob jemand gerufen hätte: «Sesam, öffne dich!» Was dann genau passiert ist, weiss ich nicht mehr – Blackout.

Wir müssen wohl rausgeklettert und runtergesprungen sein. Meine Erinnerung setzt jedenfalls erst da ein, als wir durch den Wald rannten. Wir hatten unglaubliches Glück – weder mein Partner noch ich waren schwer verletzt. Als ehemalige Sportlerin konnte ich meine Blessuren gut beurteilen; es war schliesslich nicht das erste Mal, dass ich gröber hingefallen bin. Prellungsschmerzen kenne ich bestens. Mein Studium habe ich mir als Skilehrerin finanziert, und früher spielte ich Basketball in der Nationalliga B – da ist man sich so einiges gewöhnt. Eine gebrochene Hand, Schulterzerrung, eine offene Beinwunde und Prellungen: Mehr war da jetzt nicht.

Wir irrten eine Weile im Wald umher, bis wir endlich die Lichter der Rettungsfahrzeuge sahen. Die Schwerverletzten wurden ins Spital gebracht; wir aber setzten uns erst einmal in die nahe Beiz und tranken etwas Hochprozentiges.

Einen Tag nach dem Absturz wurde ich von den Medien überrannt. Ab morgens um zehn Uhr klingelte das Telefon pausenlos. Tele 24, Schweizer Fernsehen DRS, RTL – alle waren sie da. Jetzt, im Nachhinein, erschrecke ich selber über meine grenzenlose Naivität. Aber nach dem Absturz hatte ich einen unheimlichen Erzähldrang. So ein Unglück ist ja wirklich eine Grenzerfahrung, die man irgendwie verarbeiten muss. Ich kenne das: Vor acht Jahren bin ich in eine Lawine geraten. Damals konnte ich mich selber rausgraben und retten. Das Leben kann so schnell vorbei sein, das weiss ich sehr genau. 

Eigendynamik der Presse
Mein Partner und ich hatten uns schon überlegt, ob wir den Medien überhaupt Rede und Antwort stehen sollten oder nicht. Wir kamen zum Schluss, dass wir das den Leuten schulden. Überlebende, die erzählen können, sind rar. Aber eben, wir waren sehr naiv: Weder haben wir uns die Bildrechte gesichert, noch haben wir verhindert, dass der volle Name angegeben wird. Die Journalisten drängten sehr, denn jeder wollte natürlich als Erster die Geschichte bringen. Ich hatte gar keine Zeit, mir Gedanken über den Umgang mit den Medien zu machen.

Die Fernsehbilder gingen um die Welt. Freunde aus Dänemark, Holland, Deutschland und Spanien riefen an, sie hätten mich im Fernsehen gesehen, wie es mir gehe. Da die Namen publik waren, hatten wir die Medien an den Fersen, zwei Wochen lang ununterbrochen. Jedes Lokalradio, jedes Printmedium und das Fernsehen wollten was von uns. Von morgens um neun bis abends um zehn.

Manchmal war das wirklich absurd. Der amerikanische Sender NBC rief zum Beispiel an und fragte mich, ob ich rasch für ein Interview nach London rüberkommen könne. Ich fragte nur perplex zurück, wie sie sich das vorstellten. Per Schiff? Da hatten sie ein Einsehen.

Es war nicht einfach, diese Eigendynamik der Presse zu ertragen. In der Öffentlichkeit war ich plötzlich nur noch «die Überlebende des Crossair-Absturzes». Im «Zischtigsclub» bot sich dann aber die Gelegenheit, ganze Sätze sagen zu können, ohne unterbrochen zu werden; das hat mir gut getan. Später brachte man meine Kandidatur für den Zürcher Gemeinderat in Zusammenhang mit dem Absturz, als ob ich den «Promieffekt» ausnutzen wollte, was mich masslos ärgerte. Mein guter Listenplatz für den Rat war nämlich schon Monate zuvor beschlossen worden. Ich politisiere schliesslich seit zehn Jahren. 

Der Absturz erfolgte für meine Firma zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Wir sind ein junges Unternehmen, viele wichtige Aufträge standen an. Alle Unterlagen und Filme aus dem Meeting in Berlin sind beim Unglück verbrannt. Wie viel Schadenersatz uns die Versicherung bezahlt, ist immer noch unklar.

Drei Tage nach dem Absturz hat sich auch Staranwalt Ed Fagan bei uns gemeldet. Über eine deutsche Anwaltskanzlei liess er uns sein Interesse am Fall mitteilen. Für mich war aber sofort klar: Das ist pervers, was der macht. Das unterstütze ich auf keinen Fall. Die ganze Geschichte hat sich dann aber relativ schnell von selber erledigt. Zum Glück.

Nein, geflogen bin ich seit letztem November nicht mehr. Es hat sich auch nicht ergeben; es standen keine Geschäftsreisen nach Übersee an, und privat reise ich in Europa eh am liebsten per Bahn. Im Mai besuchen mein Partner und ich ein Flugseminar. Das hat die Fluggesellschaft allen neun Überlebenden des Unfalls angeboten. Ich glaube zwar nicht, dass mir das wirklich was nützt und ich «überlistet» werden kann. Ich weiss ja dann, dass es keine reale Situation ist, sondern dass wir in einem Flugsimulator sitzen.

Wie mein Leben nun weitergeht? Ich bin sehr dankbar, dass ich noch lebe. Ich fühle mich seit dem Unglück noch mehr verpflichtet, mein Leben sinnvoll einzusetzen. Meine Energie fliesst vor allem in meine Firma. Und dann sitze ich seit Anfang März als SP-Vertreterin im Zürcher Gemeinderat. Die Stadt Zürich wird immer mehr «in». Das zieht vor allem vermögende junge Leute an, und viele ärmere müssen aus dem Zentrum in die Randgebiete ziehen. Diese Gettoisierung will ich verhindern. Ich will kein Cüpli-Zürich. Wenn meine kurzfristige Prominenz dafür nützt, dann ist das wenigstens etwas.