Am Dramatischsten war für mich der Unfall der österreichischen Soldaten. Im Januar – bei viel Schnee – hatte sich ihr Fahrzeug auf der Strasse gedreht und war in ein 60 Meter tiefes Tobel gefallen. Es war sehr schwierig, die Kameraden zu bergen – auch wegen der Minen. Einer der Verunfallten starb. Man bahrte seinen Sarg in einem Zelt auf – gleich gegenüber unserem «Swiss Chalet».

Ansonsten ist unsere Mission im Kosovo ungefährlich. Ich fühle mich wohl hier – sicherer jedenfalls als in Mazedonien. Seit Oktober 1999 gehöre ich zur Swisscoy, zur Schweizer Friedenstruppe im Kosovo. Ich arbeite auf der Kanzlei.

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Zweimal pro Woche fahre ich von unserem Camp in Suva Reka zum Flughafen in Pristina oder ins mazedonische Skopje, um die Post und Leute abzuholen. Die Fahrt nach Skopje dauert wegen der schlechten Strassen und der Staus an der Grenze mindestens drei Stunden. Der Rekord für eine Fahrt war 13 Stunden!

Die Swisscoy baut im Kosovo zwei Schulen, besorgt die Wasseraufbereitung für 2000 Armeeangehörige aus Deutschland, Österreich, der Slowakei und der Schweiz und macht Transporte für das österreichische Kontingent und die Caritas.

Ausbruch aus dem Büroalltag
Vor einem Jahr arbeitete ich noch in der internationalen Abteilung einer Handelsfirma. Plötzlich stellte ich mit Schrecken fest, dass ich schon zehn Jahre am gleichen Ort arbeitete. Es war zwar ein interessanter Job, bei dem ich meine Französisch- und Englischkenntnisse gut gebrauchen konnte. Aber ich wollte etwas Neues beginnen. Also kündigte ich auf Ende Juni.

Kurz darauf sah ich das Inserat des Bundes: Gesucht wurden Schweizer Berufsleute, die eine Rekrutenschule absolviert hatten und sich für einen mehrmonatigen Einsatz bei der Friedenstruppe im Kosovo interessierten.

Ich bewarb mich. Mit Erfolg: Nach einigen Tests und Gesprächen wurde ich in die Truppe aufgenommen. Anschliessend besuchten wir einen sehr strengen Vorbereitungskurs in Bière VD. Alles ging Schlag auf Schlag.

Via Fallschirmspringen zur Armee
Vor ein paar Jahren hatte ich die Rekrutenschule des Militärischen Frauendienstes (MFD) und danach sechs Wiederholungskurse absolviert. Ich war einer Flugplatz-Stabskompanie zugeteilt.

Zur Armee kam ich über Sportkolleginnen, die ich beim Fallschirmspringen kennen gelernt hatte. Sie waren im MFD und wollten eine militärische Damenmannschaft bilden. Nach einigem Zögern sagte ich mir: «Du bist ledig, hast keine Kinder. Wenn in der Schweiz etwas passiert, kannst auch du mithelfen.» So trat ich dem MFD bei.

Acht Jahre lang war ich Fallschirmspringerin. Natürlich hat man zuerst Angst. Aber hinausspringen und fliegen war für mich schon immer ein Kindertraum.

Den ersten Sprung mit Reissleine absolvierte ich im Tessin. Der freie Fall dauerte nur drei Sekunden, dann ging der Schirm auf. Ich erlebte alles wie in Zeitlupe: Ich sah den Lago Maggiore, die Berge und den blauen Himmel. Das Fliegen schien eine Ewigkeit zu dauern.

Fallschirmspringen ist total faszinierend. Man spürt seinen Körper. Es ist wunderschön. Unser Frauenteam trainierte damals fast jedes Wochenende. Wir nahmen auch an vielen Wettkämpfen teil. Einmal gewannen wir sogar eine Goldmedaille. Das war an einem internationalen Wettkampf in Brasilien. Wir waren sehr stolz, denn wir hatten die Profispringerinnen aus Frankreich und den USA geschlagen.

Heute bin ich sportlich eher faul. Immerhin: Nach dem Fallschirmspringen begann ich Flamenco zu tanzen. Auch das betrieb ich intensiv, dreimal pro Woche zwei Stunden. Ich liebe diese Musik, weil sie aus dem Bauch kommt. Während eines Sprachaufenthalts im spanischen Granada hatte es mich richtig gepackt. Im Tanz kann ich meine Gefühle ausleben. Ich tanze auch heute noch – aber nicht in Suva Reka. Das ist eine andere Welt.

Hier im Camp schreibe ich ein Tagebuch – was ich früher nicht tat. Ich kann heute auch besser anderen Menschen zuhören. Früher hatte ich oft kaum Zeit für meine Freundinnen, die Gottenkinder und die Familie. Ich war dauernd am Herumrennen – wollte Geige spielen, ins Ballett gehen, die Wohnung putzen. Das alles stresste mich sehr.

In Suva Reka sitzen wir nach dem Essen oft bei einem Kaffee zusammen, erzählen uns viel und lachen miteinander. Ich finde es schön, dass man an die Menschen herankommt, wenn man ein offenes Ohr hat. Im Swisscoy-Camp werden wir mit allem konfrontiert – mit Liebeskummer, Trennung, Krankheit und Trauer. Da gibt es viele Probleme auf engstem Raum.

Wir sind vier Frauen unter 130 Männern. Natürlich kommt es da auch zu Begehrlichkeiten. Aber ich suche keine Abenteuer. Ich werde dieses Jahr 37, da ist man nicht mehr so blauäugig.

Das Zusammenleben im Camp funktioniert super. Wir haben gute Männer hier, quer durch alle Schichten – vom Handwerker bis zum Studierten. Uns Frauen gegenüber benehmen sie sich anständig. Natürlich zünden wir uns gegenseitig an, aber immer auf eine gute Art, nie unter der Gürtellinie.

Tagwache ist kurz nach sechs
Um zehn nach sechs läutet jeweils der Wecker. Dann stehe ich auf und gehe frühstücken. Punkt sieben Uhr öffne ich die Kanzlei. Um Viertel nach sieben folgt das Antrittsverlesen. Zuerst werden wir über die Entwicklungen im Kosovo informiert, und anschliessend berichtet Presseoffizier Peter Gysling über das Neuste aus der Schweiz und aus aller Welt. Von halb acht bis 18 Uhr erledige ich mit einer Kollegin die Büroarbeiten.

Nach dem Nachtessen besuche ich hie und da den Fitnessraum. Wir haben auch eine kleine Bibliothek und erhalten Zeitungen. Seit neustem gibts auch einen Fernseh- und Videoraum.

Insgesamt können wir 19 Tage Ferien beziehen. Im Dezember war ich eine Woche in Athen – und soeben zwei Wochen in der Schweiz. Ende März wird mein sechsmonatiger Dienst zu Ende sein.

Für die Entwicklung im Kosovo sehe ich eher schwarz. Ich habe den Eindruck, dass die Albaner nicht mehr mit den Serben zusammenleben können. Dass leer stehende serbische Häuser abgebrannt werden, ist sinnlos, auch wenn ich es teilweise verstehen kann – angesichts der Gräuel, die hier passiert sind. Die Situation ist verfahren. Dennoch denke ich, dass unsere Mission nicht umsonst ist. Wir können wenigstens dafür sorgen, dass viele Leute wieder ein Dach über dem Kopf haben.

Flüchtlinge sollten zurückkehren
Ich finde, die Kosovo-Flüchtlinge in der Schweiz sollten jetzt wieder heimkehren und beim Wiederaufbau des Landes mithelfen. Es geht ihnen besser als den armen Leuten in den Bergen: Diese hatten keine Chance, zu fliehen. Im Kosovo braucht es jetzt vor allem Leute, die sich im Ausland weiterbilden konnten.

Ich freue mich jetzt schon auf die Zeit nach dem Einsatz. Ich werde eine neue Stelle und eine neue Wohnung suchen. Ich habe keine Angst, etwas zu finden – aber es sollte schon etwas Spezielles sein.