Vorbei ists mit der Nascherei
Ein Besuch in der Schoggifabrik oder beim Kaffeehersteller? Leider nein. Schweizer Firmen lehnen ab - unter anderem weil die USA Bioterrorismus fürchten.
Veröffentlicht am 4. Juni 2006 - 17:49 Uhr
Die Fünftklässler von Manuel C. Widmer wären an diesem Tag mit Begeisterung bei der Sache gewesen, wenn sie die Schokoladenfabrik Suchard-Tobler in Bern hätten besuchen dürfen. Die süssbraune Masse in den grossen Töpfen und Tausende von Schokoladentafeln auf den Fliessbändern haben schon manches Kind zum Träumen gebracht.
Doch der Berner Lehrer musste feststellen, dass solch sinnliche Erlebnisse für Schüler nicht mehr möglich sind. Die zum US-Konzern Kraft Foods gehörende Suchard-Tobler, einst der Stolz der Schoggi-Schweiz, lässt keine Blicke mehr auf die verführerischen Süssigkeiten zu. «Seit dem 11. September 2001 gewichte man die Sicherheit sehr hoch, gab man mir als Ablehnungsgrund an», sagt Widmer. Mit dem Kampf gegen den Terrorismus habe das nichts zu tun, lässt Kraft Foods hingegen gegenüber dem Beobachter verlauten.
Nur noch Fachleute dürfen rein
Der Pädagoge versuchte es bei einer gutschweizerischen Firma. Zu sehen, wie Kaffee-, Tee- und Gewürzprodukte hergestellt werden, mag ebenso interessant sein, sagte er sich und fragte bei der Haco in Gümligen BE an. Doch auch dort erhielt er wie bei drei weiteren Unternehmen einen abschlägigen Bescheid. Was Widmer widerfuhr, bestätigen Recherchen des Beobachters. In Lebensmittelfabriken gibt es keine Führungen mehr - mit wenigen Ausnahmen für Fachleute.
«Wir führen seit einigen Jahren keine Firmenbesichtigungen mehr durch», sagt Markus Kähr, stellvertretender Haco-Geschäftsführer, «weil sie wegen der immer schärferen Sicherheits- und Hygienebestimmungen kaum mehr praktikabel sind.» Dazu gehören nicht nur strengere Gesetze der EU, sondern vor allem schärfere Bestimmungen der US-Behörden: «Seit die Amerikaner ihren Kampf gegen den Bioterrorismus verstärkt haben, sind auch die Vorschriften strenger geworden», stellt Dominik Büchel fest, der für den Export beim Luzerner Käsehersteller Emmi zuständig ist.
Wer in die USA verkaufen will, muss sich tatsächlich einiges gefallen lassen. So verlegte etwa die Haco ihre Aussenlager ins Betriebsgelände, weil sie diese aufwändig mit Video hätte überwachen lassen müssen. Zudem hat mit den verschärften Terrorgesetzen der bürokratische Aufwand für Exporteure zugenommen. Allein das Regelwerk der US-Nahrungsmittelbehörde FDA, das sich auf das Gesetz gegen den Bioterrorismus bezieht, umfasst gegen 50 Seiten. Dazu gehören unter anderem die Ankündigung von Warenlieferungen etliche Tage im Voraus sowie Kontrollen der US-Behörden. Vor solchen blieb Emmi bislang verschont, doch: «Die FDA droht hin und wieder mit einem Audit», so Büchel.
Werden gelegentlich noch Besucher in Lebensmittelbetriebe hineingelassen, so müssen sie Schmuck und Uhren deponieren, sich in Schutzanzüge kleiden, die Hände desinfizieren und ihre gute Gesundheit schriftlich bestätigen. Oder sie werden abgeschottet wie in der Appenzeller Schaukäserei in Stein: Gewissermassen unter einer Käseglocke dürfen die Gäste künftig in den dampfenden Kupferkessel blicken. Die Berner Schüler können sich die Reise sparen. Wenn sie den Käse nicht mehr riechen, können sie sich geradeso gut eine DVD anschauen.