Die Standseilbahn surrt, Grillen zirpen, in der Ferne brümmelt ein Flugzeug: Im autofreien Braunwald GL herrscht auch werktags eine Stimmung wie am Sonntagmorgen. Die Ruhe wird nur vom Zischen eines Schneidbrenners und vereinzelten Flüchen durchbrochen, mit denen vier Arbeiter gegen die Brandruine angehen. Sie zerlegen Eisenträger, Rohre und Geländer in handliche Stücke und zerren diese aus dem Schutt.

«Die Gleichen, die es abgefackelt haben», knurrt ein älterer Mann, der bei der Standseilbahn-Station nebenan eine Infotafel festschraubt. «Aber ich muss es ja nicht bezahlen, ich bin ja nicht die Versicherung.» Der Alte grinst und kramt nach der nächsten Schraube.

Ist es abgebrannt oder wurde es abgefackelt? Das ist die Frage, die Braunwald umtreibt, seit das Hotel Alpenblick vergangenen November plötzlich in Vollbrand stand. Innert weniger Stunden frass das Feuer den sechsstöckigen Holzbau, der über 100 Jahre lang die Visitenkarte des Kurorts war. Neben der Standseilbahn, wo einst die mächtige Fassade das Ortsbild dominierte, klafft nun ein wüster Krater.

Erst drei Monate vor dem Brand war das Gasthaus schon einmal in den Schlagzeilen: Serif Yildiz, türkischstämmiger Geschäftsmann aus Deutschland, hatte den «Alpenblick» samt Personalhaus für 1,9 Millionen Franken ersteigert, geschätzt war die Immobilie auf 1,2 Millionen Franken.

«Ich bin erst 38 Jahre alt, Türke und erfolgreich. Das löst viel Neid aus»: Serif Yildiz

Quelle: Gerry Nitsch
«Was ich bei den Leuten gehört habe...»

Die Summe sorgte für Stirnrunzeln, denn die baufällige Immobilie lag in einem Rutschgebiet: Der ganze Hang – und mit ihm Braunwald – bewegt sich langsam talwärts, im Schnitt jährlich einen Zentimeter. In den Mauern des Hotels Alpenblick waren die Risse schon zu faustbreiten Brüchen angewachsen, Spannungen im verzogenen Gebälk liessen Fensterscheiben zerspringen. Der Kasten stand seit über einem Jahr leer. Yildiz’ Gebot blieb das einzige, nach zehn Minuten war die Gant vorüber.

Und dann, am 4. November kurz nach 10 Uhr morgens, brannte der Holzbau auf einmal lichterloh. Noch während die Feuerwehrleute Schläuche verlegten und Wasser in die Flammen pumpten, fingen die Einheimischen an, sich die Geschehnisse zusammenzureimen: In jenen Tagen waren vier französische Arbeiter in Yildiz’ Auftrag mit Renovationsarbeiten beschäftigt. Aber als der Brand ausbrach, war niemand im Gebäude. Zudem war die Brandmeldeanlage ausgeschaltet, und die Feuerwehr aus dem Tal konnte nur mit Verzögerung anrücken, weil gerade die Seilbahn revidiert wurde – tags zuvor hätte sie überhaupt nicht fahren können, heisst es im Dorf. «Was ich bei den Leuten gehört habe, ist natürlich schon eine Stimme, die sagt, dass es möglich sein könnte, dass es habe brennen sollen», stotterte ein bärtiger Anwohner in die Kamera von «Schweiz aktuell», während es hinter ihm qualmte und loderte.

Zwei Wochen danach erhielten die Gerüchte neue Nahrung: Die Zeitung «Südostschweiz» schrieb, dass ein enger Geschäftspartner von Yildiz in den letzten zwölf Jahren bereits drei Liegenschaften durch Feuersbrünste verloren habe. Und dass in einer weiteren von Yildiz verwalteten Lokalität ein Bordell betrieben wurde, in dem ungarische Frauen ohne gültige Aufenthaltsbewilligungen ihre Dienste anboten. Yildiz rückte damit in Milieunähe.

Im Juni dieses Jahres schliesslich liessen die Behörden verlauten: Es war Brandstiftung. Bei der Untersuchung des Wissenschaftlichen Diensts der Stadtpolizei Zürich seien Rückstände von brandbeschleunigenden Substanzen gefunden worden. Technische Ursachen etwa ein Kurzschluss könnten ausgeschlossen werden. Man ermittle folglich «in die logische Richtung».

Keiner will darüber sprechen

Heute, fast ein Jahr nach dem Brand, will sich im Dorf kaum mehr jemand mit dem Thema Brandstiftung exponieren. Nein, man sei selbst Hotelier und somit von der Konkurrenz; nein, die Behörden wüssten das besser; oder nein, einfach nein.

Werner Bäbler schüttelt den Kopf. Der Geschäftsführer der Sportbahnen Braunwald glaubt nicht, dass der Brand gelegt worden ist. Er habe «einen sehr guten Eindruck» von Serif Yildiz. Den Gerüchten stellt der hagere Bergler nüchterne Erklärungen entgegen. «Die Arbeiter haben die Brandmeldeanlage ausgeschaltet, weil die wegen des Staubs sonst dauernd losgegangen wäre – so kann man ja nicht arbeiten.» Und zu den brandbeschleunigenden Substanzen: «In jedem Restaurant hier hats Brennsprit für die Fonduerechauds oder irgendwelche Lösungsmittel.»

Für Bäbler und Braunwald sind nur noch zwei Dinge wichtig: erstens, dass am Brandtag nicht der Föhn blies – «sonst wäre der halbe Dorfkern abgebrannt» –, und zweitens, dass bald wieder etwas hinkommt. Mit dem Hotel Alpenblick lösten sich die Übernachtungsmöglichkeiten für 90 Gäste endgültig in Rauch auf – rund ein Fünftel aller Betten in Braunwald sowie das einzige Restaurant im Dorfkern.

«Zum Glück wird nun aufgeräumt», sagt auch Susi Zentner, Geschäftsführerin der Braunwald-Klausenpass Tourismus AG. Ihr Büro liegt in der Bergstation der Standseilbahn, genau gegenüber dem Schutthaufen, aus dem die Spätsommersonne ein paar letzte Fahnen feinen Brandgeruchs löst. Seit Ende August, auf eine Verfügung der Gemeinde hin, lässt Yildiz die Ruine abtragen. Bisher hatte er alle Fristen zur Räumung verstreichen lassen. Auch den Treppenhausturm liess er stehen, obwohl dieser einsturzgefährdet und somit ein Sicherheitsrisiko war. Schliesslich liess ihn die Gemeinde sprengen und stellte dem Eigentümer Rechnung. Trotz allem Ungemach glaubt Zentner nicht, dass die Geschichte dem Tourismusort geschadet hat: «Hauptsache, man spricht über uns», sagt sie, «und es wird nicht immer nur geschrieben, Braunwald rutsche ab.»

Die Räumung des Brandplatzes dürfte sich bis in den Winter hinziehen. Der Stahl wird aussortiert und ins Tal gebracht, den Schutt führt ein lokaler Transportunternehmer auf eine Deponie in Braunwald. Kein anderer hat passende Fahrzeuge für die engen Strassen von Braunwald, wo selbst die Katzentreppen schmaler und steiler sind als anderswo. «Diese Entsorgung kostet 800'000 Franken – das ist schwierig zu finanzieren, wenn nicht klar ist, ob man danach wieder bauen darf», erklärt Yildiz die Verzögerung. Niemand investiere so viel Geld, um ein bisschen aufzuräumen.

«Hiesse ich Müller, wäre das sicher anders»

Die Vorwürfe und Ermittlungen nimmt er gelassen. Als Brandstiftung, das habe er sich von seinem Anwalt erklären lassen, gelte auch das fahrlässige Verursachen einer Feuersbrunst. Yildiz vermutet, dass die französischen Arbeiter gepfuscht und so den Brand ausgelöst haben. In dem Fall würde er natürlich klagen, sagt der Unternehmer. Aber solange er keinen Polizeibericht habe, könne er nichts tun.

Über den Stand der Ermittlungen ist derzeit nichts zu erfahren. Der Glarner Verhörrichter Christoph Hohl will keine genaueren Angaben machen. Die Staatsanwaltschaft werde gerade umstrukturiert. und ob er das Dossier behalte, sei noch nicht klar. Er wolle dem Entscheid eines allfälligen Nachfolgers nicht vorgreifen.

«Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt», sagt Yildiz. Er wolle, dass ein Gericht seine Unschuld feststelle. Der Imageschaden sei enorm – und würde das Verfahren nun einfach eingestellt, bliebe der Verdacht für immer an ihm haften.

Trotzdem sei er nicht böse wegen der Gerüchte, sagt Yildiz – er versteht, dass die Leute reden: «Schliesslich bin ich erst 38 Jahre alt, Türke und erfolgreich.» Ein junger Lümmel mit so viel Geld entspreche einfach nicht dem gängigen Bild. «Das löst viel Neid aus», sagt er und: «Wenn ich Hans Müller hiesse, wäre das sicher anders.»

Von den Behörden sei er aber immer gut behandelt worden, sagt Yildiz. Der Unternehmer ist auskunftsfreudig und bemüht, Verdachtsmomente auszuräumen. Das hohe Einstiegsgebot an der Gant zum Beispiel sei Strategie gewesen: «Ich wollte verhindern, dass sich der Preis unnötig hochschaukelt.»

Und bei den drei Bränden in Liegenschaften seines Geschäftspartners habe es sich um ein Industriegebäude, eine Dachwohnung und ein verpachtetes Restaurant gehandelt: «Der erste Brand liegt zwölf Jahre zurück, damals war ich noch gar nicht in der Schweiz tätig. Ausserdem hat mein Investor dabei viel Geld verloren. Und alle drei Brände wurden restlos aufgeklärt.»

Was im Fall «Alpenblick» aber vor allem für ihn spreche: «Ich habe kein Motiv. Das war nur eine von vielen Immobilien, eine mehr oder weniger spielt für mich auch keine Rolle mehr.» Das Hotel sei bei der Zürich-Versicherung zwar für elf Millionen Franken versichert – das sei aber schon so gewesen, bevor er das Gebäude gekauft habe: «Und wenn ich nicht wieder bauen kann, erstatten sie nur den Kaufpreis.»

Yildiz ist denn auch entschlossen, den «Alpenblick» als Neubau wiederauferstehen zu lassen: nur drei Stockwerke und 40 Zimmer, dafür mit drei Sternen und vielleicht sogar einer Diskothek. Das Projekt soll ungefähr zehn Millionen Franken kosten, zwei interessierte Investoren seien vorhanden: «Bis Ende Jahr wollen wir ein Baugesuch einreichen.»

«Das hier ist Braunwald, nicht St. Moritz»

Beim Kanton heisse es zwar, eine Bewilligung für einen Neubau im Rutschgebiet sei schwierig zu bekommen, sagt Yildiz – aber er werde es trotzdem versuchen: «Wenn es nicht geht, habe ich halt Pech gehabt.» Was ihm eher zu schaffen mache: Weil sich Braunwald eben unaufhaltsam talwärts bewegt, empfehlen Experten langfristig eine Umsiedlung. Eine Projektgruppe namens Quo Vadis Braunwald will das Dorfzentrum deshalb ins Grotzenbüel verlegen, ein paar hundert Meter weiter oben am Berg. Auch das letzte Teilstück der Braunwaldbahn soll in Zukunft dorthin führen.

Serif Yildiz glaubt zwar nicht, dass der Kanton Glarus zig Millionen Franken in eine neue Bahn investiert, solange die alte noch funktioniert: «Das hier ist Braunwald, nicht St. Moritz.» Aber wenn es immer heisst, die Bahn werde verlegt, verunsichere das mögliche Investoren.

Ausserdem ist er überzeugt, dass das Dorf am jetzigen Ort zu halten ist. Die Kräfte der Natur sollen ihm keinen Strich durch die Rechnung machen. Seine Enkel würden es ihm einmal danken, dass er diesen Flecken gekauft habe, sagt Yildiz: «Es gibt bereits Entwässerungssysteme, mit denen man solche Hangbewegungen in den Griff bekommen kann – aber die sind heute einfach noch zu teuer.»