Es ist Pfingstsamstag, 10. Mai 2008, 17.25 Uhr. Hans-Jacob Heitz, damals noch Bundesverwaltungsrichter, will in die Ferien nach Zypern. Er steuert seinen Mercedes vom Büro beim Bahnhof Zürich-Altstetten stadteinwärts. Alle Arbeiten sind erledigt, Ferienlaune macht sich breit. Da schiesst ein roter Honda aus der Kurve, wird aus der Spur getragen und rammt Heitz voll abgebremstes Cabriolet frontal.

Hans-Jacob Heitz landet mit Kopfschwartenriss, Wirbelabbrüchen und einer Hirnblutung im Unispital Zürich. Und in einer Strafuntersuchung, die dem 65-jährigen Anwalt und Robin Hood der Kleinanleger Mängel im Verfahrensrecht vor Augen führt: «Opfer werden in Strafverfahren kaum angehört. Sie werden einfach vertröstet, und dann – peng! – ist das Urteil da, ohne dass sie sich hätten einbringen können.»

Unmittelbar nach dem Unfall ergeben medizinische Abklärungen zum Glück, dass die Hirnblutung wenig Schaden angerichtet hat. Doch in diesen ersten Tagen im Unispital ist Heitz nicht einvernahmefähig, wie er auf Anfrage auch der Stadtpolizei Zürich mitteilen lässt. Bis heute spürt er starke Nacken- und Kopfschmerzen; zudem leidet er an Konzentrationsstörungen.

Einen Monat nach dem Unfall fragt der erfahrene Anwalt und Richter bei der Polizei an, ob sie ihm einen Unfallrapport zustellen könne. Der sei noch nicht fertig, teilt man ihm mit. Der zuständige Zürcher Staatsanwalt erklärt die lange Zeitdauer damit, «dass der rapportierende Polizeibeamte wegen der Euro 08 abwesend ist und wir den Polizeirapport somit erst nach dem Abschluss der Sportveranstaltung erhalten werden». Heitz wird den Unfallrapport bis zum Urteil nie erhalten. Ebenso wird ihm monatelang keine Akteneinsicht gewährt, obwohl er diese wiederholt verlangt. Und Heitz wartet vergeblich auf die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge zum Unfallhergang zu schildern. Er wird nicht einvernommen und hört wochenlang nichts von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Ein Polizeifoto nach dem frontalen Zusammenprall

Quelle: Gian Marco Castelberg
Auf einmal geht alles sehr schnell

Plötzlich, am Sonntag, 21. September, als Hans-Jacob Heitz nach zweiwöchigem Urlaub – notabene dem ersten seit dem Unfall – nach Hause kommt, findet er eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft im Briefkasten, datiert vom 11. September. Er könne der Einvernahme des Angeschuldigten beiwohnen, steht dort. Doch der Termin ist bereits am nächsten Tag. «Ich hatte andere Termine und zudem keine Möglichkeit, mich vorzubereiten – deshalb konnte ich nicht hingehen», erklärt Heitz.

Das ist fatal. Denn die Staatsanwaltschaft fällt ihr Urteil noch am Tag der Einvernahme: Der Unfallverursacher wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 5000 Franken und zu einer Busse von 1500 Franken verurteilt.

«Ich fiel aus allen Wolken», meint Hans-Jacob Heitz. «Zuerst habe ich wochenlang nichts von den Untersuchungsbehörden gehört, wurde betreffend Unfallrapport, Akteneinsicht und Einvernahme auf später vertröstet. Dann ist alles rätschpäng passiert, ohne dass ich meine Sicht der Dinge je hätte darlegen können.»

Polizei und Staatsanwaltschaft weisen Heitz’ Vorwürfe grösstenteils zurück. Das Unfallopfer sei am 23. Juli 2008 aufgefordert worden, sich bei allfälligen Fragen an den zuständigen Anwalt zu wenden. «Da hätte er Akteneinsicht verlangen können», erklärt Rainer Angst, Mediensprecher der Zürcher Staatsanwaltschaft.

Er habe doch bereits seit Wochen Akteneinsicht verlangt, widerspricht Heitz.Deshalb sehe er nicht ein, wieso das zweieinhalb Monate nach dem Unfall nochmals ausdrücklich nötig gewesen wäre. «Zumindest der Unfallrapport hätte mir zugestellt werden müssen.» Das sei ein Versehen gewesen, räumt Rainer Angst ein, das wohl auf einen Wechsel des zuständigen Staatsanwalts zurückzuführen sei. Er betont aber, dass «das Strafverfahren korrekt geführt wurde».

Und wieso ruhte der Rechtsstaat während der Euro 08? «Der ruhte natürlich nicht. Die Fertigstellung des Unfallrapports verzögerte sich, weil sich der zuständige Polizist verletzt hatte.» Nur seltsam, dass der Unfallrapport gemäss Akten am 5. Juni fertig war, aber dem Staatsanwalt erst am 10. Juli zugestellt wurde. Diese Zeitspanne umfasst ziemlich genau die Dauer der Euro. Und wieso wurde Heitz nie einvernommen? Das habe man wiederholt versucht, sagt Mediensprecher Angst. «Doch Heitz war nie bereit dazu.» Der Anwalt und Ex-Richter bestreitet dies. Die Polizei habe tatsächlich nur ein einziges Mal versucht, ihn zur Sache einzuvernehmen – da habe er noch verletzt im Spital gelegen.

Forderung: Obligatorischer Rechtsschutz

Für Heitz ist die Sache noch ganz und gar nicht erledigt: Er hat gegen den Strafbefehl des Staatsanwalts Einsprache erhoben, weil er geprüft haben will, ob der Raser die Körperverletzung in Kauf genommen hat und deshalb wegen vorsätzlicher Körperverletzung – und nicht bloss fahrlässiger – zu verurteilen ist.

Und über seinen Fall hinaus sieht der Ex-Richter ein grundsätzliches Problem: «Im Strafverfahren werden Opferrechte mit Füssen getreten, das Opfer sich allein überlassen. Das dürften auch andere erleben.» Deshalb erhebt Heitz eine grundsätzliche Forderung an den Gesetzgeber: «In die Autohaftpflichtpolice sollte ausdrücklich eine Verkehrsrechtsschutzversicherung für Opfer integriert werden, die auch Strafverfahren einschliesst.» Nur so könne sich ein Laie als Geschädigter eines Unfalls in einem allfälligen Straf- und Zivilverfahren wirksam und ohne Kostenrisiko wehren. Damit mutiert der Robin Hood der Kleinanleger zum Rächer der Verkehrsopfer. Und kann zumindest mit den Nationalräten Ruedi Aeschbacher (EVP) und Franziska Teuscher (Grüne), die die Idee gut finden, auf zwei Mitstreiter im Parlament zählen.