Heller hier, Steinegger da, Wenger überall: Kein Zweifel, die Expo.02 ist Wirklichkeit geworden. Rechtzeitig sind die Medien umgeschwenkt, die Prügelknaben der chaotischen Entstehungsgeschichte sind auf einmal Hätschelkinder. Wahlweise werden die offiziellen Exponenten der Landesausstellung «Geburtshelfer», «Vordenker» oder gar «Helden» genannt. In jedem Fall aber sind sie «die Macher».

«Nelly Wenger?», fragt dagegen Martin Hess. «Die habe ich in der ganzen Zeit nie gesehen.» Hess selbst ist einer der wahren Expo-Macher. Es gab und gibt sie zu Hunderten: viele ehrenamtlich, manche hauptberuflich. Kopf- und Handarbeiter, Kreative und Konkrete. Ingenieure, Architekten, Elektriker, Sanitäre. Ihnen allen ist es zu verdanken, dass 38 Ausstellungen realisiert wurden und bis Oktober 1800 Veranstaltungen stattfinden. Während die Expo-Gremien und die politische Schweiz über Jahre in Grabenkämpfe verwickelt waren, haben die Projektarbeiter im Hintergrund ihr Ding einfach durchgezogen.

Verknüpfung aller Sinne

Das Ding von Martin Hess wurde als unverbindliches Gedankenspiel in New York geboren und als Kulturhaus Mondial auf der Arteplage Yverdon verwirklicht. Dieser Weg war nicht vorgegeben. Denn während Mondial im Frühjahr 2000 erstmals als Vision in den Köpfen gärte, hangelte sich das Vorhaben der nationalen Nabelschau von einer Krise zur nächsten. Was Hess nicht weiter kümmerte: «Meine Wirklichkeit und jene der Expo waren bis dahin an völlig verschiedenen Orten.»

Seine damalige Wirklichkeit: Nach 16 Jahren als Manager des Schweizer Musikers Stephan Eicher mochte er erst einmal gar nichts tun. Doch schon bald fragte ihn ein Weggefährte aus der Eicher-Zeit, unterdessen in Diensten der Expo, für die Durchführung einer Weltmusik-Konzertreihe an. Hess winkte vorerst ab: Weltmusik als flüchtige Exotik auf der Stufenbühne abfeiern – so wollte er das nicht.

Aber das Virus hatte sich festgesetzt. Wie eignet man sich an einer Schweizer Landesausstellung die Welt an? Dieser Fragestellung ging Martin Hess mit seiner Lebenspartnerin Marianne Müller auf den Grund – was auch die Zürcher Foto- und Videokünstlerin unverhofft zur Expo-Macherin werden liess. Eine Antwort findet das Mondial-Konzept in der Verknüpfung der Sinne: Konzerte, Essen und Bilder unter einem Dach.

Selbstständigkeit bewahrt

In einem Notizbuch brachten Hess und Müller in jenen New Yorker Tagen das noch vage Vorhaben zu Papier. Wer die Skizze mit dem vergleicht, was heute am Neuenburgersee steht, erkennt: Genau so ist es herausgekommen. Ist also nichts dran am Vorwurf, das Expo-Management habe die Kreativität der Projektgestalter im Keim erstickt? Habe alles über den Leisten seines eigenen, elitären Kulturverständnisses geschlagen?

«Mir hat nie jemand dreingeredet, weil ich das nicht zugelassen habe», sagt Martin Hess. Von der Organisationsstruktur der Expo hat er sich denn auch so weit als möglich abgenabelt. So hat er an keiner einzigen Sitzung teilgenommen, um über inhaltliche Fragen zu diskutieren. «Ich bin meinen Weg gegangen», stellt der 54-Jährige fest – und verhehlt nicht, dass er sich für diese eigenständige Position seine Reputation in der Musikbranche zunutze gemacht hat. Andere Expo-Macher konnten sich diesen Mix aus Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit nicht erlauben.

Martin Heller, künstlerischer Direktor der Landesausstellung, widerspricht dem nicht. Im Gegensatz zu anderen Projekten, die eine starke Regie benötigt hätten, sei Mondial das Beispiel eines Autorenprojekts mit starker persönlicher Handschrift. «Es ist gleichsam durch einen Akt der Selbstermächtigung entstanden, weil Martin Hess genau wusste, was er wollte», so Heller. Als die Expo-Leitung erkannt habe, dass es auch so gut herauskomme, habe sich «ein wunderbares Vertrauensverhältnis» entwickelt.

Eine solche Vertrauensbasis konnte längst nicht bei allen Projekten geschaffen werden. Kein Wunder: In der fünfjährigen Planungsphase der Expo wurde derart viel verändert, verzögert und verworfen, dass Frust nicht ausblieb. Von den 3000 bei der Mitmachkampagne von 1997 eingereichten Vorschlägen kam nur ein Bruchteil ans Ziel, ohne in die Mühlen des verwinkelten Expo-Apparats zu geraten. Eva Afuhs, Leiterin des Departements Ausstellungen, analysiert: «Viele der Initianten hatten nicht genügend Erfahrung, um Ideen in Ausstellungen zu verwandeln.»

Oder nicht genügend Geld. Denn daran hat es gelegen, dass zahlreiche hochfliegende Pläne unsanft auf dem Boden der Realität gelandet sind. Nach drei Vierteln des Wegs gescheitert ist etwa eine Gemeinschaftsarbeit von Klöpplerinnen, ein erklärtes Lieblingsprojekt der Expo-Leitung zum Thema Traditionen. Aber eben: «Die sieben Millionen Franken waren einfach nicht aufzutreiben», bedauert Afuhs.

Kein Einfluss des Sponsors

Die Millionen. Der Konfliktstoff Nummer eins des Expo-Werdegangs war auch für jene, die letztlich reüssiert haben, die eigentliche Nagelprobe – keine Projekte ohne jemanden, der die Macher dafür bezahlt. Martin Hess, die treibende Kraft hinter Mondial, weiss, dass er privilegiert ist: «Unsere Geldgeber haben uns freie Hand gelassen.»

Gemeint ist das Technologieunternehmen ABB, das sich im Herbst 2000 für das Sponsoring des Kulturprojekts entschieden hat. Fünf Millionen Franken für Mondial, dazu sechs Millionen als Official Partner der Expo – eine stolze Summe. Als Gegenwert erhält ABB einzig eine Gelegenheit zur Profilierung. Dennoch: «Unser Engagement lohnt sich, weil wir auf eine emotionale Weise auf unsere Leistungen aufmerksam machen können», so Pressesprecher Lukas Inderfurth.

Damit mochten sich andere nicht begnügen. Namhafte Unternehmer wie Nicolas G. Hayek oder André Kudelski verlangten mehr Einflussmöglichkeit bei der Gestaltung der Projekte und ärgerten sich über die Selbstgefälligkeit der Expo-Chefs. Rückzieher von früheren Zusicherungen und schmerzliche Löcher in der Expo-Kasse waren die Folge. Die Stimmung im Jahr vor der Ausstellung war so schlecht wie das wirtschaftliche Umfeld. In eine schwere Krise geraten war auch Mondial-Sponsor ABB. Doch obwohl wichtige Promotoren des intern nicht unumstrittenen Expo-Engagements wegbefördert worden waren, blieben die bereits gesprochenen Gelder unangetastet. Einen Rückzieher wollte sich ABB aus Imagegründen nicht leisten.

Mit dieser finanziellen Sicherheit im Rücken machte sich Martin Hess im Verlauf des Jahres 2001 daran, sein Weltmusik-Experiment schrittweise mit Inhalten zu füllen. Es ging auf Reisen: In Mali, Vietnam, Mexiko, Indien oder Sansibar folgte Hess den Spuren «zu Musik, die mir Hühnerhaut gibt», nahm Stimmungen auf, knüpfte Kontakte zu Künstlern. Partnerin Marianne Müller fing mit der Kamera Bilder des Alltags ein – nichts Inszeniertes, einfach als Beobachterin. «Kulturvermittlung funktioniert am direktesten über das Visuelle», erklärt die 36-Jährige ihren Part im Unternehmen. Eine respektvolle Annäherung an fremde Kulturen, die ihre Welt ins Expo-Land bringen sollen.

Harte Fulltime-Knochenarbeit

Parallel dazu wurde Mondial in der «Heimbasis» in Zürich auf struktureller Ebene vorangetrieben. Federführend in der eigens gegründeten Firma Electric Ara war der dritte Macher der ersten Stunde neben dem Duo Hess/Müller: Gregor Plattner, ein frisch promovierter Jurist mit Faible fürs Kulturmanagement. Er war für die organisatorische und logistische Umsetzung der künstlerischen Inhalte verantwortlich. Fungierte als Scharnier zur Expo und zum Sponsor, handelte Verträge aus, suchte Partner für Küche und Technik, betrieb Marketing. Fulltime-Knochenarbeit im Windschatten der Publizität.

Sichtbar wurde Mondial erstmals im letzten November, als auf dem lehmigen Boden der Arteplage Yverdon der Spatenstich für das Kulturhaus vorgenommen wurde. Über den Winter wurde der Bau fertig gestellt – die flüchtige Vision von einst hatte eine feste Hülle erhalten. Ausgerechnet in jenen Tagen, Anfang März dieses Jahres, stand die Expo.02 wieder einmal auf der Kippe: Das Parlament hatte einen neuen Kredit zu bewilligen und tat sich schwer damit.

Was ist das für ein Gefühl, sich mit Haut und Haar für etwas einzusetzen, dessen Gelingen andauernd in Frage gestellt ist? «Inschallah», umschreibt der weit gereiste Martin Hess die Gefühlslage fatalistisch: höhere Macht. Das Seilziehen ums Schicksal der Expo sei derart weit ausserhalb seines Einflussbereichs gelegen, dass ihn diese Frage nie beschäftigt habe. Nicht, dass Hess die Landesausstellung an sich gleichgültig wäre. Ohne das Potenzial einer Expo wäre ein Vorhaben wie Mondial nicht denkbar – das steht für den Projektinitianten ausser Frage. Von der baulichen Infrastruktur her, vor allem aber auch hinsichtlich der Publikumswirkung: «Wo sonst kann man so viele Menschen mit anderen Kulturen konfrontieren, die sich damit üblicherweise nicht befassen?»

«Etwas Einmaliges schaffen»

Die Expo machts möglich – das ist der Tenor auch unter den anderen Machern, die den letzten Schliff am Kulturhaus vornehmen. Daniel Affolter, der das Dekor der Bar besorgt, sagt stellvertretend: «Die Expo bietet uns die Chance, etwas Einmaliges zu schaffen.» Affolter ist im Januar fest zur Crew gestossen. Hauptreferenz war dabei seine Uraltfreundschaft mit Martin Hess. Das ist durchaus typisch: Hess hat sein nach und nach aufgestocktes Team ausschliesslich mit Leuten aus seinem Netzwerk gebildet. «Instinktmässig», wie er sagt; schliesslich sei jeder «für ein paar Monate Teil einer gemeinsamen Sache».

Insgesamt wurden von Electric Ara elf Personen für den Aufbau und den Betrieb des Projekts angestellt; hinzu kommen 26 für die Gastronomie. Damit ist die Mondial-Truppe nur ein kleiner Teil eines riesigen Heers von 8000 Helfern, die die Expo.02 möglich machen.

Mondial-Vater Hess lässt auch jetzt, da es endlich losgeht, kein Detail ausser Acht. Minutiös richtet er eine Vitrine mit Fundstücken ein, die er von seinen Reisen mitgebracht hat: Plastikmadonnen aus Portugal, Bierdeckel aus Burkina Faso, indische Götter auf Zündholzschachteln. Das Sammelsurium soll die Besucher gleich beim Eingang auf die multikulturelle Thematik einstimmen. Während Mondial äusserlich ein schlichter Zweckbau ist, werden in seinem Innern die Sinne gereizt. Bei der Ausstattung hat sich Hess von niemandem Vorschriften machen lassen.

«Aussen ist die Expo, innen bin ich», sagt er. Vielleicht bringt genau dies das Verhältnis zwischen den wahren Machern und dem organisierten nationalen Anlass auf den Punkt.

Mitarbeit: Eva Gattiker