Wie viel sind 13 Tonnen Bau-, Industrie- und Gewerbeabfall? Wie viel sind 680 Kilo Altmetall? Hat all dies Platz in einem Haus mit 68 Quadratmeter Wohnfläche und wenig Umschwung, aber ohne Dachboden? Und braucht es 365 Mannstunden, um Haus und Garten von Kehricht zu befreien, das Mobiliar nicht eingerechnet?

Ja, sagt Marlies Jeker. Die Frau ist nicht etwa Räumungsexpertin, sondern Leiterin der Sozialen Dienste in Biberist SO. Dass sie sich mit derlei Fragen beschäftigt, hat eine Vorgeschichte. Darin geht es um eine alte Frau und einen übereifrigen Sozialarbeiter. Und um eine Hauswartungsunternehmung, die für oben genannte Arbeit 30'000 Franken verlangte.

Die Frau heisst Adelheid Häslin und ist 86. Ihrer Umgebung war schon lange bekannt, dass die gehbehinderte Frau ihrem Haushalt, dem Garten und ihren Tieren nicht mehr Herr wurde. Dennoch konnte sie weder auf Nachbarhilfe noch auf Unterstützung vom Sozialamt zählen. Erst ein Elektriker, der Häslins Heizung reparieren sollte, reagierte: Entsetzt über die desolaten Zustände, erstattete er Meldung bei der Vormundschaftsbehörde.

Er hatte es bloss gut gemeint, trat damit aber eine Kette von Ereignissen los, an die Adelheid Häslin nur mit Wut und Empörung denken mag. «Ganz viele Sachen sind verschwunden. Sogar mein Gebetsbuch und mein Herz-Jesu-Bild haben sie weggeworfen», ärgert sie sich ein Jahr später noch. «Und sie haben mich in eine geschlossene Abteilung gesperrt.»

Da Häslin damals aus Scham den Sozialarbeiter nicht einlassen wollte, fuhr dieser mit schwerem Geschütz auf: Am 26. Mai 2008 steht er mit zwei uniformierten Polizisten vor der Haustür der Rentnerin. Die traut sich nicht, die drei wegzuschicken. Die Polizisten machen Fotos, der Sozialarbeiter setzt sich mit Häslin an einen Tisch und überredet sie, eine Vollmacht zur Entrümpelung ihres Hauses zu unterzeichnen. Und sie soll die Einwilligung zu zwei Wochen «Ferien» im Altersheim Bleichematt geben, während ihr Haus aufgeräumt wird. Adelheid Häslin, das ehemalige Verdingkind, kinderlos und ohne familiäre Unterstützung, unterzeichnet. Was dann geschah, darüber streiten sich die Parteien jetzt vor Gericht.

Häslins Version: «Der Sozialarbeiter und ich trafen uns im Altersheim, tranken einen Kaffee. Er wollte zur Bank, um zu sehen, wie viel Geld ich habe. Danach musste ich ins Heim zurück und dort bleiben. Ich hatte nicht einmal eine Zahnbürste dabei.» Noch heute beschäftigt die bescheidene Frau, was mit dem Stück Fleisch geschah, das sie sich an jenem Tag zum Abendessen gekauft hatte.

«Das ist Halsabschneiderei»

Das Sozialamt Biberist behauptet, man habe zwar an jenem Tag zusammen Kaffee getrunken, ins Heim eingetreten sei Häslin aber erst zwei Wochen später. Sie habe auch Gelegenheit gehabt, persönliche Effekten zu holen. Die Einsicht ins Bankkonto habe die Rentnerin freiwillig gewährt, als man sie darum bat. Man habe schliesslich, so Jeker, abklären müssen, wer die Aktion finanzieren würde, der Steuerzahler oder Häslin selbst. Stellt sich die Frage, ob andernfalls eine günstigere Lösung möglich gewesen wäre. «Nein», sagt Marlies Jeker.

Sicher ist, dass Adelheid Häslin in der geschlossenen Abteilung «Tulpe» des Altersheims untergebracht war. Von einem Schlüssel, den sie laut Sozialamt erhalten haben soll, weiss sie nichts. Vielmehr sei sie stets von einer Aufsichtsperson begleitet worden, die sie gegebenenfalls am Verlassen des Heims hindern sollte.

Belegt ist auch, dass in jenen zwei Wochen Häslins Haus geräumt wurde. Aber nicht nur das Haus, für das sie eine Vollmacht ausgestellt hatte, sondern auch der kleine Garten. Und nicht nur verschwanden viele, teils sehr persönliche Dinge, sogar eines ihrer Chüngeli fehlte nachher. Es sei auf dem Weg zur Ferienunterkunft an Altersschwäche gestorben, lautet die Auskunft des Sozialamts.

Doch Häslins Hauptkritik gilt den Räumungskosten: 29'115 Franken und 25 Rappen. «Die veranschlagten 365 Stunden (...) lassen keine Diskussion zu», schreibt Amtsvorsteherin Jeker dem Beobachter. Anderer Meinung sind zwei, die schon alles gesehen haben, was das Leben diesbezüglich zu bieten hat: «365 Stunden für diese Arbeit zu verrechnen ist Halsabschneiderei», sagen Vera und René Aufranc. Der Sozialdienst der Stadt Zürich ruft sie seit Jahren, wenn es gilt, verwahrloste Wohnungen zu räumen.

Adelheid Häslin hatte Glück im Unglück: Über die «Dargebotene Hand» gelangte sie an einen Anwalt, der sie monatelang im Rechtsstreit um die überrissene Rechnung kostenlos vertrat. Heute erhält Häslin unentgeltliche Rechtspflege. Das ist nötig – die Rentnerin lebt von knapp 1500 Franken AHV im Monat, Ergänzungsleistungen hat sie nie erhalten. Ihr kleines Vermögen von einst 100'000 Franken, das sie sich von ihrem Putzfrauenlohn zusammengespart hat, schmilzt dahin, weil ihre monatlichen Einkünfte nirgends hinreichen. Jetzt ist es auch noch mit Hilfe des Sozialamts um 30'000 Franken geschrumpft. Immerhin wohnt sie zinsfrei: Das Häuschen, das sie vor 38 Jahren gekauft hat, ist auf Rappen und Franken abbezahlt.