Nach genau 99 Tagen durfte mich meine Frau zum ersten Mal besuchen», schildert M. V. seine Erlebnisse in der Untersuchungshaft in Brig und Sion. «Die ersten zwei Wochen sass ich in einem Keller ohne Fenster, Spaziergänge durfte ich nicht machen. Ich wusste nicht, ob Tag oder Nacht war. Doch das Schlimmste war, dass ich Frau und Kinder monatelang nicht sehen durfte.» Ende Juli wurde M. V. freigelassen – nach 111 Tagen Haft.

Der serbische Roma war letztes Jahr zusammen mit seiner Frau und den drei schulpflichtigen Kindern in die Schweiz geflüchtet. «Als Roma wurden wir in unserer Heimat unterdrückt», berichtet der Familienvater. Doch was ihm und zwei Kollegen in der Schweiz widerfahren sei, sei «fast noch schlimmer gewesen als die Verfolgung» in Serbien. «Die Haft hat mich völlig kaputt gemacht.» Drei Monate lang untersagten die Behörden den Gefangenen jegliche Besuche und Telefonate. Selbst der Kontakt zu den Anwälten wurde lange Zeit unterbunden. Während einer von M. V.s Kollegen inzwischen ebenfalls freigelassen wurde, befindet sich der Hauptverdächtige in Ausschaffungshaft: Ihm droht die Rückführung nach Serbien, wo die Situation für die Roma laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe «äusserst prekär» ist.

Den drei Roma wird Hehlerei vorgeworfen: Sie sollen gestohlene Ware erstanden und weiterverkauft haben. Konkret geht es um Druckerpatronen, Zigaretten und Rasierklingen. Bei den drei Männern handle es sich «wenn überhaupt, dann höchstens um kleine Fische», sagt Peter Volken, Anwalt des Hauptverdächtigen. Den Umgang mit den Roma hält er für «unverhältnismässig und schikanös».

Die Briefe der Kinder kamen nie an
Sukkurs erhielten die drei Roma auch von der Vereinigung für Flüchtlingshilfe Oberwallis. «Die Männer haben nach Zigeunerart gehandelt», sagt Präsidentin Anneliese Hauser, für grobe Delikte gebe es keine Beweise. Der Wert der verhökerten Ware wird von der Walliser Justiz auf rund 20'000 Franken geschätzt.

Eine so kleine Deliktsumme rechtfertige «drei Monate Haft nicht», kritisiert Volken. Zudem gelte für Untersuchungshäftlinge das Beschleunigungsgebot: Gefangene müssten rasch und umfassend befragt werden. «Mein Mandant wurde in drei Monaten nur dreimal einvernommen.»

Am meisten stört den Juristen jedoch die totale Kontaktsperre, die der Untersuchungsrichter über die drei Häftlinge verhängt hatte. «Die Kinder schickten Briefe mit Zeichnungen ins Gefängnis – sie kamen nie an.» In ihrer Not wandten sich die Mütter ans Psychiatriezentrum Oberwallis, das sich für eine Aufhebung der Kontaktsperre einsetzte. Nach den «traumatischen Erfahrungen in ihrem Ursprungsland» bedeute die Abwesenheit der männlichen Familienmitglieder «eine besondere Härte» für die Frauen und Kinder, heisst es im Arztbericht. Die jungen Mütter seien «zunehmend an ihre physisch-psychischen Grenzen» geraten und litten unter «Schlaflosigkeit, Panikattacken und Gewichtsverlust». Doch der Untersuchungsrichter blieb hart. Erst nach drei Monaten erlaubte er den Frauen, ihre Männer zu besuchen – eine halbe Stunde pro Woche, getrennt durch eine Glasscheibe.

Peter Volken konnte seinen Mandanten zwar ein paar Mal besuchen, wurde aber mit Informationen zum Verlauf der Untersuchung nur spärlich bedient. Nahm die Polizei eine Befragung vor, wurde der Rechtsvertreter weder informiert noch beigezogen. Gesuche um Haftentlassung und Familienbesuche blieben unbeantwortet. Mehr als ein halbes Dutzend Eingaben schickte der Anwalt ins «Palais de Justice» nach Sion – ohne jeden Erfolg.

Dass Häftlinge ihre Anwälte nicht beiziehen dürften, widerspreche «den elementaren strafprozessualen Grundsätzen und der Menschenrechtskonvention», protestiert Peter Volken. Auch den Entscheid zur Ausschaffungshaft habe der zuständige Einzelrichter gefällt, ohne den Rechtsbeistand beizuziehen oder zu informieren. «Das Protokoll der Sitzung musste mir mein Klient aus dem Gefängnis zustellen. Ich habe in 20 Jahren Anwaltspraxis selten eine so undurchsichtige und leidvolle Geschichte miterlebt.» Der Walliser Anwalt gelangte mit einem Rekurs ans Bundesgericht. Dieses sprach sich jedoch gegen die Aufhebung der Ausschaffungshaft aus; Volkens Klient befindet sich weiterhin im Gefängnis.

Justiz beruft sich aufs Amtsgeheimnis
Untersuchungsrichter Yves Cottagnoud begründet das harte Regime gegenüber den drei Roma mit Verdunkelungs- und Fluchtgefahr. «Die getroffenen Massnahmen sind verhältnismässig.» Weiter will Cottagnoud keine Auskunft geben und beruft sich aufs Amtsgeheimnis: «Das Verfahren ist noch hängig.»

Der Verdacht steht im Raum, dass die Roma mit der russischen Mafia kooperierten. Auf dieser Vermutung basierte auch der Entscheid des Kantonsgerichts, die U-Haft zu verlängern. «Dafür fehlt bis jetzt jeglicher Beweis», bemängelt Volken. «Man wirft die Roma ohne Grund mit Diebesbanden in einen Topf.» Der Umgang mit den Zigeunerfamilien bestätige «sämtliche Vorurteile, die es diesbezüglich in der Justiz noch immer gibt. Ich habe den schweren Verdacht, dass man Zigeuner unnötig leiden lässt, um sie dann ohne regulären Prozess abzuschieben.»