Studers Glück war von kurzer Dauer. Von seinem Reichtum hat er nichts gehabt. Nichts, ausser Ärger. Heute ist Markus Studer ein trauriger Millionär. Ein ehemaliger.

Sein Leben lang war Markus Studer Hilfsbuchhalter gewesen. Zuerst bei einer kleinen Treuhandfirma, dann bei einer grossen Versicherung, dann bei einer Krankenkasse. Dann wird er arbeitslos. Ein neuer Chef sei gekommen, man habe ihn rausgeekelt, erzählt er. Er spitzt den Mund, nimmt vorsichtig einen Schluck von seinem Milchkaffee.

Es war schlimm. Aber Studer wusste: Eines Tages würde er seine eigene Firma haben. Die Beratungs AG, Steuern und Finanzen. Zusammen mit seinem Freund Xeno Abt (Name geändert). Bei der kleinen Treuhandfirma hatte man sich kennen gelernt. Sie seien gute Kollegen gewesen, zusammen joggen und ab und zu ein Bier trinken gegangen, erzählt ein Kollege aus gemeinsamen Tagen.

Die Beratungs AG – Studer wollte keine grossen Gewinne verbuchen. Sein Ziel war, keine Verluste zu machen. Den Menschen etwas bieten und dafür nicht zu viel verlangen. Nur genug. Freund Xeno Abt hatte andere Träume. Studers Beratungs AG blieb ein Traum.

1992 starb Studers Vater. Er war Angestellter bei der Suva gewesen. 1998 traf es die Mutter. Die Eltern hinterliessen ihm den Reichtum sparsamer Menschen: je ein Mehrfamilienhaus in Einsiedeln und Luzern, ein paar Wertschriften, Sparbücher, etwas Bargeld.

Wohin mit dem plötzlichen Wohlstand? Häuser, Wertschriften, Sparbücher, Bargeld im Wert von insgesamt 1'738'000 Franken überantwortet Hilfsbuchhalter Studer seinem Freund Abt zur Verwaltung – eigenes Geld verwalten ist eine schwierige Disziplin. Der würde schon wissen, was damit zu tun sei, schliesslich sei er Treuhänder, hatte sich Studer gesagt.

Als «Sicherheit» wertlose Aktien
Eines Tages macht ihm Xeno Abt den Vorschlag, das treuhänderische Verhältnis in ein Darlehen zu verwandeln. Studer willigt ein. Die Auszahlung erfolgt in drei Tranchen zwischen August 1998 und März 1999, die Modalitäten werden in drei Verträgen geregelt, einer davon undatiert. «Ich hoffe, Ihnen hiermit gedient zu haben», schreibt Xeno Abt auf die Empfangsbestätigung. Als Sicherheit dienen Aktien von Abts nicht börsenkotierter Firma. Wertloses Papier, wie sich herausstellen sollte.

Studers Augen werden fiebrig. Er redet und redet. Kommt vom einen ins andere. Erzählt seine Geschichte, die er schon tausendmal erzählt hat, wirr, als hätte er es längst aufgegeben, sie verstehen zu wollen.

«Ich habe ihm mein Geld nicht leichtsinnig anvertraut», sagt Studer trotzig. Will nicht wahrhaben, dass es anders ist. Als wenig später die Zins- und Rückzahlungen ausbleiben, schreibt Studer Briefe. Er ruft an. Schreibt Mahnungen. Veranlasst die Betreibung. Das Blut schiesst ihm in den Kopf. Was ist passiert? Wo ist mein Geld? Und wo ist Xeno Abt? Bis heute hat Studer keine Antworten auf seine Fragen. Er sitzt vor seinem Kaffee und rauft sich die schütteren Haare.

Dann kam das Steueramt. Da hat einer noch eben ein Vermögen von fast zwei Millionen Franken versteuert – und nun will er nichts mehr besitzen? Trotz Beteuerungen folgten Betreibungen, der Pfändungsbeamte klingelte an der Tür. Zu pfänden gab es nichts mehr.

Heute ist Markus Studer 52 Jahre alt, Sozialhilfeempfänger. Er lebt in einer Genossenschaftswohnung in Zürich-Oerlikon und verdient sich mit dem Verkauf von Strassenmagazinen ein Sackgeld. Zweieinhalb Jahre lang hat er das «Surprise» verkauft. In Thalwil, Wädenswil, Stäfa, Meilen, in Oerlikon. Hat sich einen Neun-Uhr-Pass gekauft, hat sich eine treue Kundschaft aufgebaut. Hatte wieder ein biss- chen Hoffnung, die Füsse auf den Boden zu bringen. Bis ihm die «Surprise»-Leitung bloss noch einen einzigen Standplatz zugestehen wollte. Und alles fällt wieder zusammen. «Ich kann doch nicht wochenlang dasselbe Produkt verkaufen», ereifert sich Studer. Seine haarlosen Hände zittern, sein Gesicht ist gequält. Es sind die Hände eines Kindes und das Gesicht eines Greises. Jetzt verkauft Studer das Konkurrenzprodukt «Taxi».

Drei leere Ordner. Sonst nichts
Auch in der Ehe fand Studer kein Glück. Man habe sich auseinander gelebt, sagt er. Plötzlich sei sie mit einem anderen gegangen, Scheidung. Vor etwa 15 Jahren sei das gewesen. So genau weiss er es nicht mehr. Er nennt nicht einmal ihren Namen. Es ist eine Anekdote aus einem anderen Leben, das lange vergangen ist. Aus dem Kopf verbannt. Abgestreift wie eine Haut. Studers Haut ist dünn geworden.

Am 27. Oktober 2000 erstattet Studer Strafanzeige gegen seinen Freund Abt. Zusammen mit seinem Kollegen Marcel Wieser deponiert er beim Untersuchungsrichteramt ein Dossier mit Kopien aller belastenden Dokumente. Tage zuvor hatte der Betreibungsbeamte die Räume von Abts Treuhandbüro öffnen lassen. Alles war geräumt worden. Kein Abt, kein Geld, keine Akten. Drei leere Ordner, sonst nichts.

Nun schlägt sich Millionär Studer mittellos durchs Leben und hofft. Hofft auf eine glückliche Wendung. Er hofft lange. 20 Monate nach Erstattung der Strafanzeige wird er skeptisch. Am 2. Juli 2002 wendet sich Studer in einem Brief an das Untersuchungsrichteramt und äussert seine Verwunderung darüber, dass er noch nicht einmal als Zeuge befragt worden ist.

Die Antwort der Untersuchungsrichterin Ursula Brasey, Thurgauer FDP-Politikerin und nachmalige Ständeratskandidatin, ist kurz und niederschmetternd. «Bezug nehmend auf ihr Schreiben, teile ich Ihnen mit, dass diese Angelegenheit nach Durchführung der gebotenen Vorermittlungen mit Nichteintretensverfügung vom 4. Mai 2001 erledigt wurde», schreibt sie. Im Klartext: Der Fall Studer war nicht weiterverfolgt worden.

Studer gerät ins Stottern. Gläubigerschädigung, Betrug, Unterlassung der Buchführung, Verweigerung der Revision, betrügerischer Konkurs – was heisst denn «Durchführung der gebotenen Vorermittlungen», wenn weder der Geschädigte noch der Beklagte je zur Sache befragt worden sind? «Da ist doch etwas faul, da wurde doch überhaupt nichts unternommen», sagt Studer erbost. «Ich kann das absolut nicht bestätigen», sagt Brasey knapp. Überhaupt wundert sich die Untersuchungsrichterin über all diese Fragen – vier Jahre nach Einstellung des Verfahrens. «Wieso hat er sich denn nicht gewehrt? Er hätte doch Beschwerde führen können», sagt sie. Konnte Studer nicht. Eine Beschwerde hätte Kostenfolgen gehabt. Studer aber war blank. Bereits bei der Durchführung des Konkursverfahrens gegen Xeno Abt hatte Studer passen müssen, hätte er doch die Verfahrenskosten von 4000 Franken vorschiessen müssen. Zudem waren die Fristen der Rechtsmittel zu jenem Zeitpunkt längst abgelaufen. Vater Rechtsstaat hatte für Studers Not kein Gehör.

Und warum wurde der Anzeigeerstatter nicht rechtzeitig über die Nichteintretensverfügung informiert? «Normal», sagt Brasey. Studer sei nicht als Zivilkläger aufgetreten und somit nicht am Verfahren beteiligt gewesen. «Womit hätte ich denn einen Rechtsanwalt bezahlen sollen? Mit Hosenknöpfen?», ruft der Betrogene.

Das Amt schiebt Studer die Schuld zu
In der Freizeit löse er gern Kreuzworträtsel, erzählt Studer. Er schnappt sich ein Guetsli, das jemand auf dem Unterteller am Nebentisch hat liegen lassen, kaut es genüsslich. Er schaue fern. Oder gehe zum Preisjassen. Wenn es das Budget zulässt. Auch Jassen ist teuer geworden.

Immer wieder schiessen Studer Braseys Aussagen durch den Kopf. «Ich kann das absolut nicht bestätigen», hatte sie gesagt. Und: «Wieso hat er sich denn nicht gewehrt?» – «Untersuchen die Behörden denn nur, wenn man sich wehrt und beschwert?», fragt Studer erschüttert. Das sei doch eine Einladung für andere, auch «solche Sachen zu machen», sagt er. Und wird schliesslich still.

Studer sei ein lieber Kerli, sagt Marcel Wieser. Lieb, naiv und gutgläubig. Er habe nicht auf ein Netzwerk zurückgreifen können. Diese Geschichte sei eine Tragödie. – Und Xeno Abt? Recherchen des Beobachters haben ergeben: Er ist umgezogen. Hat sich an seinem bisherigen Wohnort im St. Gallischen abgemeldet, ohne einen neuen Wohnsitz anzugeben. Er ist ins Luzernische gezogen. Lebt unbehelligt. Ein unbeschriebenes Blatt für Vater Rechtsstaat. Es ist Recht, nicht Gerechtigkeit.