Die Frage ist so einfach wie bestechend: «Warum sparen Sie nicht bei den Erwachsenen statt bei uns Kindern?», will Adrian vom Luzerner Regierungspräsidenten Robert Küng wissen. Küng steht wohlwollend lächelnd auf der Bühne des Jugendkulturhauses und gibt den Kindern eine lange Antwort. Dann nimmt er die «Saure Zitrone» entgegen.

Das Kinderparlament verlieh Küng diesen Preis für Sparen im Bildungsbereich. Dass der Präsident ihn persönlich abholt, zeigt, wie fest verankert das Kinderparlament in der Luzerner Politik nach über 20 Jahren ist. «Es ist nicht mehr wegzudenken», sagt Roger Häfeli, in der Dienstabteilung Kinder, Jugendliche und Familie für Freizeit und Partizipation zuständig.

Das Parlament besteht aus 70 bis 80 Kindern zwischen 8 und 14 Jahren. In Teams kümmern sie sich das Jahr über um Bau-, Finanz- und andere Fragen, die sie betreffen. Drei- bis viermal jährlich versammeln sie sich zur Session. Sie gebieten über ein Budget von 20'000 Franken und dürfen im Stadtparlament Postulate einreichen. «Viele kommen zwar nicht durch, doch die Kinder erhalten immer eine Erklärung. Und die Verantwortlichen der Stadt sind verpflichtet, ihnen Auskunft zu geben», erklärt Roger Häfeli. Kurz: Man nimmt sie ernst.

«Cool, ein wenig zu schauspielern»

Damit gehören die Luzerner Kinder zur Minderheit. Laut einer aktuellen Studie der Kinderrechtsorganisation Unicef dürfen nur 18 Prozent von 5500 befragten Schweizer Kindern und Jugendlichen mitbestimmen, was in ihrer Wohngemeinde passiert. Bei einer ähnlichen Befragung im Jahr 2003 waren es 7 Prozent gewesen. Die Lage hat sich also verbessert. Doch über 80 Prozent der Kinder spüren weiterhin nichts von einer Mitwirkung, obwohl es vielerorts Partizipationsprojekte gibt (siehe «Wo Kinder gefragt sind»). Das kann zweierlei bedeuten: Die Angebote sprechen nur wenige an – oder sie sind weitgehend wirkungslos.

Beides treffe zu, sagt Elsbeth Müller, Geschäftsleiterin von Unicef Schweiz. «Viele Projekte haben primär ein pädagogisches Ziel. Die Kinder sollen lernen, wie Demokratie funktioniert, und sie werden dabei angeleitet von Erwachsenen», sagt sie. Diese Art von Mitwirkung erlebten die Kinder eher als eine von ihrer Lebenswelt entfernte Spielwiese. «Oft bestimmen die Erwachsenen, worüber, wann und wie lange diskutiert und abgestimmt wird.» Hinzu komme, dass das Abstimmen nach dem Mehrheitsprinzip nicht unbedingt kindgerecht sei. «Kinder sind sehr konsensorientiert. Unter sich treffen sie Entscheide lieber auf andere Art, etwa indem mal das eine, dann das andere Kind bestimmen darf. Oder dass sie auslosen, was als Nächstes gespielt wird», sagt Müller.

Die Unicef-Studie führt Projekte auf, bei denen die Kinder sich siezen und Schriftdeutsch sprechen mussten, um einen Parlamentsbetrieb zu imitieren. Kinder durchschauten das Ansinnen, sie Demokratie üben zu lassen, sofort. Und nahmen das Ganze entsprechend wenig ernst. So sagte ein Mädchen, das im Rahmen der Studie interviewt wurde: «Es war cool, ein wenig zu schauspielern.»

«Vernünftige Anliegen»

Annelies Münch, Co-Präsidentin der Kinderlobby Schweiz, besuchte zum Kinderrechtstag mehrere Veranstaltungen, die sich «bei näherer Betrachtung als Scheinpartizipation entpuppten». Die Kinder würden zwar nach ihren Wünschen gefragt, doch leite man sie nicht einmal weiter oder lehne sie schlecht begründet ab.

Münch denkt dabei etwa an jene Realschüler, die mitreden wollten, als es galt, neue Hausregeln aufzustellen. Sie wurden mit der Begründung abgewimmelt, dass sie ja nur ein paar Jahre hier zur Schule gingen und die nächsten Kinder vielleicht wieder andere Regeln wünschten, erzählt Münch. «Dabei sind die Anliegen der Kinder in der Regel sehr vernünftig.»

Das Recht der Kinder auf Mitbestimmung ist Teil der Uno-Kinderrechtskonvention, die auch von der Schweiz anerkannt wird. «Sobald es aber ans Eingemachte geht und Erwachsene Macht abgeben müssten, schwindet die Bereitschaft, Kinder wirklich mitreden zu lassen», beobachtet Elsbeth Müller von Unicef Schweiz. Peter Rieker, Erziehungswissenschaftler an der Uni Zürich, dessen Team die Unicef-Studie durchführte, spricht von einem «hierarchischen Verständnis» im Umgang mit Kindern. «Viele Erwachsene haben das Gefühl, sie wüssten, was Kinder brauchen, und könnten für sie entscheiden. Sie sind kaum bereit, von den Kindern auch etwas zu lernen und sich auf ihre Form der Entscheidungsfindung einzulassen.»

Jugendliche können weniger mitreden

Noch schlechter steht es um die Mitwirkung bei Jugendlichen ab 13 Jahren, zeigt die Studie. Obwohl man annehmen könnte, dass die Mitsprachemöglichkeiten mit steigendem Alter wachsen, ist das Umgekehrte der Fall: 20 Prozent der Kinder, aber nur 16 Prozent der Jugendlichen gaben an, in ihrer Gemeinde mitwirken zu können. «Wir vermuten, dass Jugendliche die von Erwachsenen angeleiteten Formen der Partizipation noch stärker ablehnen als jüngere Kinder», sagt Rieker.

In der Schweiz gibt es zwar rund 60 Jugendparlamente, die fast alle von Jugendlichen selber ins Leben gerufen wurden. Doch letztlich engagiert sich nur ein kleiner Teil der Jugend in solchen Gremien.

«Sobald es ans Eingemachte geht, schwindet die Bereitschaft, Kinder mitreden zu lassen.»
Elsbeth Müller, Geschäftsleiterin Unicef Schweiz

Quelle: Mischa Christen

Die Parlamente leisteten einen «wertvollen Beitrag», so Elsbeth Müller. Aber es brauche eine Kombination neuer Formen, die die Kinder anders auf ihrer Ebene abholten und Jugendliche mehr ansprechen.

«Wichtig ist, dass man die Kinder nicht nur mit Rechten ausstattet, sondern sie befähigt, mitzugestalten. Sie müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen, miteinander zu arbeiten und sich die nötigen Kenntnisse anzueignen», sagt Studienleiter Rieker. Gleichzeitig müssten die Erwachsenen für die Zusammenarbeit mit Kindern qualifiziert werden.

Kinder sind überraschend sparsam

Manchmal braucht das Umdenken einfach Zeit. Das Luzerner Kinderparlament, das heute als vorbildlich gilt, hatte auch Startschwierigkeiten. «Die Vorbehalte waren gross, vor allem von rechtsbürgerlicher Seite», erzählt Walti Mathis, der damalige Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt Luzern, der das Kinderparlament 1993 initiiert hatte. Politisch konnte er sich durchsetzen, das Kinderparlament wurde sogar in der Gemeindeordnung verankert. Das Stadtparlament ist damit rechtlich verpflichtet, Vorstösse aus dem Kinderparlament innert sechs Monaten zu behandeln und die Entscheide zu begründen. Für echte Mitwirkung sei das wichtig, sagt Mathis. «Kinder können gut umgehen mit Absagen. Aber sie wollen verstehen, warum – und sehen, dass ihre Anliegen ernsthaft geprüft werden.»

Über ihre Vorstösse diskutierten die Kinder oft lange und zäh. «Sie sind extrem grün, konservativ und sparsam», sagt Mathis. Das Stadtberner Kinderparlament etwa sprach sich letzten Herbst gegen eine neue Tramlinie aus. Unnötig und zu teuer, lautete das Verdikt der Kinder – sehr zur Freude der lokalen SVP.

Wo Kinder gefragt sind

Viele Gemeinden und Kantone bieten Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Teils handelt es sich um einmalige Einzelprojekte, vielerorts wurden aber auch dauerhafte Anlaufstellen innerhalb der Kinder-, Jugend- oder Quartierarbeit geschaffen, etwa in Form von Kinderbüros in Bern, Basel oder Horgen ZH. Dort können Kinder ihre Wünsche deponieren und bei der Umsetzung mithelfen.

In Luzern, Bern und Schwyz gibt es zudem Kinderparlamente – und schweizweit rund 60 Jugendparlamente, Jugendräte oder Jugendkommissionen. Ihre Budgets und Kompetenzen unterscheiden sich stark. Manche erhalten mehrere tausend Franken jährlich und haben politische Mitbestimmungsrechte, andere finanzieren sich selber und können keine Vorstösse einreichen.

Laut der Unicef-Studie dürfen Kinder in der Romandie am meisten und jene im italienischsprachigen Teil am wenigsten mitbestimmen. Bei den Jugendlichen sind die Möglichkeiten zur Mitwirkung in der Deutschschweiz am geringsten.

Schweizer Kinderparlamente

Mehr zu den Sessionen und den politischen Anliegen der Kinder finden Sie auf den Websites der Kinderparlamente: