Kornkreise: Rätselhafte Zeichen aufs Getreidefeld gezaubert
Die vergänglichen Kunstwerke sind gigantisch. Die Spekulationen reichen vom kreativen Nachtbubenstreich bis zur kosmischen Botschaft. Nur eines ist sicher: Kornkreise sind von atemberaubender Schönheit und Präzision.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
«Das ist übelster Vandalismus!», wetterte der englische Farmer Philipp Sandell. Die Wut des Getreideproduzenten über den Ernteverlust war verständlich. Doch was aus Bodensicht wie ein wüster Vandalenakt anmutete, offenbarte sich vom Flugzeug aus als fantastisches Kunstwerk von vollendeter Schönheit, Präzision und Harmonie: Das «Julia-Set» war eine über 300 Meter lange Spirale, gewunden aus 151 Einzelkreisen – eine fraktalgeometrische Figur, wie sie seit dem Computerzeitalter in mathematischen Lehrbüchern zu finden ist. Als Sandell eine Luftaufnahme des Feldzeichens sah, einem gigantischen Stempel gleich ins Feld gedrückt, schüttelte er nur fassungslos den Kopf: «Und das soll in meinem Getreide liegen?» Innerhalb dreier Wochen pilgerten über 10000 Neugierige zum Zirkelphänomen auf Sandells Feld.
Das Rätsel der Kornkreise ist zum populären Spuk geworden. Alle Sommer wieder liegen die kunstvollen Zeichen in den Getreidefeldern, manchmal auch in Raps-, Mais-, Gras- oder Reisanbauflächen, und sie füllen mit spektakulären Luftaufnahmen die vom Sommerloch gepeinigte Presse.
Den Farmern sind die ominösen Feldpiktogramme ein Dorn im Auge, für die englische Regierung sind sie ein ärgerliches saisonales Zwischenspiel, das sie in Erklärungsnotstand versetzt. Noch immer halten die Behörden offiziell an ihrer längst widerlegten These von «besonders intelligenten Fallwinden» fest. Auch Rotorblätter tief fliegender Helikopter mussten schon zur Erklärung herhalten – ebenso wie balzende Tiere, die bei Paarungsritualen geometrische Figuren ins Getreide drücken würden. Am hartnäckigsten aber hielt sich die Theorie der «Ufo-Landeplätze».
Zu Beginn der Kornkreisgeschichte mögen solche Thesen verständlich gewesen sein, denn die ersten «aktenkundigen» Fälle aus den frühen siebziger Jahren waren nichts weiter als einfache Kreise, wirbelartig ins Feld gestanzt. Doch bald schon traten komplexere Formationen auf, die sich in den neunziger Jahren zu einer wahren Flut an komplizierten, flächendeckenden Piktogrammen aus Kreisen, Linien, Ringen und Spiralen steigerten.
Jedes Bild ein Unikat
Die Kunst im Feld wurde von Jahr zu Jahr verspielter und reicher in ihrem Formenschatz. Auch in anderen Ländern, etwa in Holland, Irland, Schweden, Japan, in den USA und den GUS, trat das Phänomen auf, doch England blieb der absolute Spitzenreiter. Allein im Sommer 1996 wurden über 400 Formationen wie von Geisterhand auf die südenglischen Felder gezaubert. Und jeder «cropcircle» blieb ein Unikat.
Nachtaktive Menschen, die Hand anlegen, oder ein mysteriöser Himmelsgruss? Die Kornbilder regen seit über 25 Jahren die Fantasie an und sind kompatibel mit esoterischen und vielen anderen Spekulationen. Für die einen sind sie ärgerliche Nachtbubenstreiche, für die anderen noch nicht entschlüsselte Botschaften einer unbekannten Intelligenz. Vielleicht ist eine verschwörte Künstlergruppe am Werk, vielleicht legen elektromagnetische Erdstrahlen von unten oder Satellitenlaser von oben die Halme flach. So oder so: Bei den Kornkreismachern handelt es sich um Künstler – darüber sind sich Skeptiker und Liebhaber einig.
Das 20-Minuten-Wunder
Das am 7. Juli 1996 entdeckte «Julia-Set» nahe dem prähistorischen Kultort Stonehenge wurde von eingefleischten Kornkreisforschern als Höhepunkt gefeiert. Vielleicht auch deshalb, weil es nicht wie die meisten Zeichen in der Nacht entstanden war, sondern nachweislich am helllichten Tag: Noch am Sonntagmorgen hatte Sandell sein Feld inspiziert und nichts Aussergewöhnliches festgestellt. Wie der Farmer später der Presse berichtete, soll ein Pilot am Nachmittag um etwa 17 Uhr über das noch unberührt daliegende Getreidemeer geflogen sein. Als er nach 20 Minuten zurückflog, sah er die riesige Formation unter sich im Feld liegen.
Wie hätten die betörten Kornkreisliebhaber ahnen sollen, dass sie nur drei Wochen später eine Formation sehen würden, die alles Bisherige in den Schatten stellen sollte? Das «Dreifache Julia-Set», das ins Feld der Farmerfamilie Butler in Avebury gelegt wurde, ist und bleibt eine der fantastischsten Figuren in der noch jungen Kornkreisgeschichte. Sein Ausmass war gigantisch: Das ästhetische Meisterwerk wies 194 immer grösser werdende einzelne Kreise auf, nahm eine Fläche von über sechs Hektaren in Anspruch und war nur aus der Luftperspektive vollends fassbar.
Doch nicht nur mit ihrer Grösse überraschte diese Formation. Das Verblüffendste war die Art und Weise, in der das Getreide niedergelegt worden war: Die Halme waren weder geknickt noch gebrochen, sondern rund zehn Zentimeter über dem Boden in die Waagrechte gebogen – abwechselnd im Uhrzeiger- und Gegenuhrzeigersinn. Die liegenden Ähren des Kreises endeten in einem Bogen, ohne die stehenden Gewächse zu touchieren, und sorgten so für die messerscharfe Kontur der Figur. Der mysteriösen Biologie nicht genug: Bei Labortests stellte sich heraus, dass die gebogenen Halme gegenüber den nichtgebogenen aus demselben Feld eindeutige Veränderungen in der Zellstruktur aufwiesen.
Quadratur des Kornkreises
Für den Schweizer Kornkreisforscher Werner Anderhub ist klar, dass solch detaillierte Präzision nicht von Menschenhand gefertigt werden kann. «Natürlich gibt es zahlreiche Fälschungen, aber die sind bei Feldbetrachtungen sofort zu erkennen.» Wer von «falschen» Kornkreisen spricht, muss auch an «echte» glauben.
Wer oder was ist also Urheber dieser Kunstwerke? Anderhub zuckt die Schultern. «Je mehr ich mich mit dem Phänomen beschäftige, umso komplexer erscheint mir eine Erklärung.» Anderhub fühlt sich vom Kornkreisphänomen magisch angezogen. Vor sechs Jahren hängte der Sekundarlehrer seinen Beruf an den Nagel, um sich ganz seiner Passion zu widmen. Einst habe er mit der These der Ausserirdischen geliebäugelt. Heute glaubt er, dass mehrere Ursachen möglich sind: fremde Intelligenzen, kosmische Energiefelder oder die mentale, unbewusste Ebene der Menschheit.
Bei seinen Feldforschungen vor Ort erlebt Anderhub immer wieder Unerklärliches: Lichterscheinungen, Sirrgeräusche, und wie die meisten Kornkreisforscher spürt er im Zentrum einer Figur oft körperliche Symptome wie Schwindel, Herzrasen oder gesträubte Haare. Er war es, der den Kornkreis «Korb» entdeckte – ein einzigartiges Flechtwerk, das den Beginn einer neuen Kornkreisära darstellen könnte.
Viel mehr als für das Wie und Wer interessiert sich Anderhub für das Warum. Er ist überzeugt, dass die Kornkreise Botschaften in geometrischer Sprache enthalten. Anderhub glaubt, dass die Lektionen bald entschlüsselt werden können – vielleicht noch von dieser Generation. Wäre das nicht eine Entzauberung? «Möglich, aber wir würden in unserer menschlichen Entwicklung einen riesigen Schritt vorwärts kommen und vielleicht entdecken, dass die Realität weit fantastischer ist, als wir uns das vorstellen können.»