Reisende, die mit den SBB unterwegs sind, freuen sich normalerweise, wenn die Bahn zügig fährt. Schliesslich sind auf die Minute pünktliche Züge im immer stärker ausgelasteten Netz nicht mehr Selbstverständlichkeit, sondern zunehmend ein überholtes Klischee. Keine Freude an einer rasanten Fahrt hatten aber Passagiere des Interregio 2475 am Abend des 11. August. Der Lokführer hatte den fahrplanmässigen Halt in Gelterkinden BL übersehen und brachte den Zug erst eine Station später, in Tecknau, zum Stehen. Ein unfreiwilliger Zwischenhalt im siebenmal kleineren Nachbarort, der gerne leicht abschätzig als «Tunneldorf» bezeichnet wird, weil es dort nichts zu sehen gibt ausser Gleisen, die im Hauenstein verschwinden.

Dass ein Lokführer einen Halt vergisst, passiere äusserst selten, erklärt die SBB-Medienstelle: im Schnitt nur jedes 170'000. Mal. Da ist selbst die Chance höher, im Lotto zu gewinnen. Ein einmaliger Ausrutscher also? Mitnichten. Zumindest wenn Gelterkinden im Spiel ist, lässt sich so viel Pech mit keiner Wahrscheinlichkeitsrechnung erklären. Diesen Sommer verpassten dort innerhalb weniger Wochen gleich vier Lokführer den Halt und Reisende ihren Anschluss. Drei Züge fuhren durch, einer kam erst nach dem Perron zum Stehen.

Die Signale stehen auf freie Fahrt

Das hat Tradition: 1998 musste Gelterkindens berühmtester Sohn, Caspar Baader, als frisch gewählter Nationalrat beim offiziellen Festakt zu seinem Amtsantritt wegen einer Panne auf dem Schotter aussteigen. Die Dorfmusik spielte tapfer weiter – man ist sich gewohnt, wie die Provinz behandelt zu werden. Inzwischen ist Baader altgedienter SVP-Fraktionspräsident, doch die Bahn lässt sein Dorf immer wieder rechts liegen.

Die Signale in den Bahnhöfen sind heute üblicherweise auf Grün gestellt, egal, ob ein Zug halten muss oder nicht. Ein Lokführer, der durchfährt, begeht deshalb nicht den gefürchteten Sündenfall: ein rotes Signal zu überfahren. Statt Versetzung in den Rangierdienst droht lediglich eine Ermahnung. Die Lokführer aber sind sich einig: Anfällig ist Gelterkinden, weil nur der Interregio von Basel nach Luzern halten muss, jener Richtung Zürich, der bis dort exakt dieselbe Strecke fährt, jedoch nicht.

Statt verpassten Anschlüssen nachzutrauern, müssten die Oberbaselbieter den vergesslichen Lokführern eigentlich dankbar sein. Denn diese haben einen Schwachpunkt des Fahrplans zutage gefördert, was Gelterkinden mehr Anschluss an die Bahn bringen könnte: Würden nämlich alle Interregio-Züge dort einen Halt einlegen, käme keiner mehr auf die Idee, durchzufahren. Dann wäre auch der Anschlag in der Causa Gelterkinden im Basler Lokdepot unnötig: «Den Halteorten gemäss Fahrordnungen ist grösste Beachtung zu schenken.»