Als «Munitionsdepot der Schweizer Armee» beschreibt ein einheimischer Bergführer den von Metallsplittern übersäten Fieschergletscher zwischen Finsteraarhornhütte und Rotloch. Als er ihn letzten Winter überquerte, stiess er alle 50 Meter auf Geschossreste. Darunter waren auch zahlreiche Blindgänger, allesamt raufgeböllert vom Fliegerabwehr-Schiessplatz Gluringen-Reckingen. «Und irgendwann verschwindet dieser Schrott dann im Eis.»

Bei militärischen Schiessübungen werden jährlich Tonnen von Munition in die Alpen gejagt. 2002 etwa sammelte die Armee 150 Tonnen Schrott ein und sprengte über 350 Blindgänger. Im Schnitt meldeten Wanderer der Blindgängerzentrale in Thun in den letzten fünf Jahren jährlich fast 1000 nicht explodierte Geschosse – die Berge als explosive Abfalldeponie.

«Das ist tatsächlich ein Problem»
Auf dem Fieschergletscher glitzern die Munitionsrückstände der Fliegerabwehr silbern im Sonnenlicht. Die eisbedeckte Fläche liegt im Gebiet des Unesco-Weltnaturerbes Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn. 2001 wurde die Landschaft zwischen Rhonetal und Berner Alpen als «Gebiet von aussergewöhnlicher natürlicher Schönheit» mit dem Label der Weltgemeinschaft ausgezeichnet. Damit verbunden sei «die zwingende Verpflichtung, die Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn-Landschaft für kommende Generationen zu schützen und zu bewahren», mahnt Bundesrat Moritz Leuenberger auf der offiziellen Website des Unesco-Weltnaturerbes.

Derselben Ansicht ist Edith Nanzer, Gemeindepräsidentin von Naters, einer der 15 angrenzenden Gemeinden: «Das Aletschgebiet soll kein Reservat sein, aber ein Naturwunder, mit dem sorgsam umzugehen ist.» Der behutsame Umgang wird auch in einem Unesco-Grundlagenpapier statuiert. Nur «im Einklang mit den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung» liessen sich «die unermesslichen Reichtümer, mit denen die Natur uns beschenkt, erhalten und an unsere Nachkommen weitergeben».

Die Schweizer Armee spickt das Weltnaturerbe indes unverdrossen mit Munitionsrückständen. Der Schrott, den das Militär in den kurzen Sommermonaten nicht wegräumen kann, fällt in Spalten oder bleibt liegen und wird im Winter zugeschneit. Die Munitionsteile «verschwinden» zunächst spurlos im Gletscherbauch, kommen aber irgendwann wieder zum Vorschein. «Das ist tatsächlich ein Problem», räumt Brigitte Rindlisbacher, Umweltfachfrau des Militärdepartements (VBS), ein. «Es führt dazu, dass heute Munitionsrückstände aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert gefunden und entsorgt werden müssen.»

«Wir haben Millionen von Franken in die Ausbildungsanlagen im Goms investiert», sagt Jules Christen, Oberst im Generalstab. Ein Schiessstopp komme nicht in Frage. Zumal die Armee im Zuge der Reformen und dank dem Einsatz von Schiesssimulatoren bereits viele der rund 300 Schiessplätze in den Alpen aufgegeben habe. Und Brigitte Rindlisbacher ergänzt: «Das Weltnaturerbegebiet ist kein Nationalpark, wo militärische Sperrzone ist.» Der Fieschergletscher wird also munter weiterbeschossen.

Der Gletscherrückgang im letzten Jahrhundertsommer hat viel Material zutage gefördert. «Mit Aufräumen kamen wir gar nicht mehr nach», sagt Christen. Im Schnitt wird nur alle zwei Jahre eingesammelt. Im August war es wieder so weit. Der Fieschergletscher ist nun wieder blitzblank – an der Oberfläche.

Absolutes Schiessverbot gefordert
Umweltorganisationen wie Mountain Wilderness oder der Schweizer Alpen-Club (SAC) protestieren gegen die Nutzung der Schweizer Eislandschaft als militärischer Übungsplatz: «Unsere Berge und Alpen sollen keine Munitionshalden sein», postulieren die SAC-Umweltrichtlinien. Schiess- und Flugübungen müssten auf wenige, unsensible Gebiete konzentriert werden – auch des Lärms wegen. Die Umweltschutzorganisation Mountain Wilderness geht noch einen Schritt weiter und fordert ein absolutes Verbot, auf die weissen Riesen zu schiessen. Bei einer Kundgebung Mitte September auf dem Fieschergletscher verlangte die Organisation zudem, dass Munitionsrückstände auf allen Schweizer Gletschern umfassend geräumt werden müssten.

Auch den 15 Anliegergemeinden ist der Beschuss des Weltnaturerbes zu explosiv. Sie wollen das Militär ebenfalls aus dem Gebiet verbannen und haben als gemeinsames Ziel formuliert, dass sich die «Armee aus dem Perimeter zurückzieht».

Am VBS prallen diese Forderungen aber ab. «Ein generelles Schiessverbot steht zurzeit nicht zur Diskussion», sagt VBS-Chef Samuel Schmid klipp und klar. Denn «wirkliche Alternativen» für die Übungen stünden keine zur Verfügung. Insbesondere Fliegerabwehr und Luftwaffe seien auf solch grosse, unbewohnte Zielgebiete angewiesen. Dass dabei Geschosse auf Gletscher gelangten, sei «nicht zu verhindern».

Dass dies ein Thema mit grosser Sprengkraft sein könnte, scheint man auch im Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) noch nicht erkannt zu haben. «Es gibt keine spezifische Gesetzgebung, die das Beschiessen eines Weltnaturerbes regelt», sagt der im Buwal für das Weltnaturerbe zuständige Meinrad Küttel. Für ihn ist der Schrott im Eis eher ein «ästhetisches Problem», zumal die Menge der Rückstände und somit die Dimension der Verschmutzung nicht klar sei. Buwal-Vizedirektor Willy Geiger bestätigt, dass das Problem neu sei und sein Ausmass abgeklärt werden müsse.

«Gewaltiger Interessenkonflikt»
Für viele Politikerinnen und Politiker ist es aber höchste Zeit, das Feuer einzustellen. «Dem umfassenden Schutz des Weltnaturerbes muss höhere Priorität beigemessen werden als dem Herumböllern in Friedenszeiten», fordert die Grüne St. Galler Nationalrätin Pia Hollenstein. Auch Ulrich Siegrist, SVP-Ratskollege aus dem Aargau und Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, findet: «Das VBS kann sich vor seiner Verantwortung der Umwelt gegenüber nicht drücken und die Augen verschliessen vor den Munitionsrückständen, die zurückbleiben und in den Gletscherspalten verschwinden.» Es sei unhaltbar, dass das VBS den Ball der Politik zuspiele und sage, das Ganze gehe es nichts an. «Hier liegt ein gewaltiger Interessenkonflikt vor, der gelöst werden muss.»

Für die Berner FDP-Jungnationalrätin Christa Markwalder ist es «mit dem Nachhaltigkeitsgedanken nicht zu vereinbaren, dass künftige Generationen unseren Schrott zusammenlesen müssen». Und der Tessiner SP-Vertreter Fabio Pedrina fordert einen rücksichtsvollen Umgang mit den Gletschern. Das findet auch die Berner Grüne Franziska Teuscher: «Im Aletschgebiet hat die Natur Vorrang – nur schon aus Imagegründen.» In einem parlamentarischen Vorstoss, den sie in dieser Herbstsession einreicht, fordert sie ein absolutes Schiessverbot. «Früher beschoss die Armee schützenswerte Moorgebiete, bis man diesem Treiben einen Riegel schob, heute hat sie Gletscher im Visier.»