Die Fluchthelfer
Sie horten Dosenkäse, Geigerzähler und Saatgut. Prepper wissen, wie man ohne Zündhölzer Feuer macht, und vielleicht sogar, wie man im Ernstfall den hungrigen Nachbarn mit der Armbrust niederstreckt. Vom nahenden Ende der Welt – und von ihren Errettern.
Veröffentlicht am 31. Juli 2014 - 15:13 Uhr
Für Prepper – vom englischen Verb «to prepare», «sich vorbereiten» – ist klar: Das Ende der Welt, wie wir sie heute kennen, ist nah. Ob es nun Seuchen sind, die zur Bedrohung werden, der Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems oder eine Umweltkatastrophe, darüber gehen die Meinungen auseinander. Sicher ist, was danach passiert: Kälte, Hunger, Krankheiten, Krieg. Und: Überleben wird nur, wer vorgesorgt hat.
In den USA zählen mehrere Millionen Menschen zur Prepperszene, in der Schweiz, so schätzt man, sind es ein paar tausend. Öffentlich über seine Vorsorge sprechen will keiner. Diskretion ist oberstes Gebot im Geschäft ums Überleben. Denn jeder, der weiss, dass man Dinkelkörner und Wasserfilter im Keller hat, ist ein potenzieller Plünderer.
«Der Mensch», sagt Gion De Salugo, «ist nicht mehr als ein von der Zivilisation gezähmtes wildes Tier. Schon wenn er weniger zu essen hat als normal, wird mancher aggressiv.» De Salugo, früher diplomierter Servicefachangestellter und Handwerker, arbeitet heute als Survivaltrainer. Tagelang zieht der 33-Jährige mit Bürolisten, Managern und Hausfrauen durch den Wald und bringt ihnen bei, wie man mit dem Vorrat im Fluchtrucksack überlebt. Oder gar völlig ohne Hilfsmittel. Denn wenn es in der Stadt gefährlich wird, weil eine Seuche wütet, muss man laut De Salugo das Fortbestehen im Wald beherrschen.
Während man Hardcore-Preppern wahrscheinlich, ohne ihnen unrecht zu tun, einen Hang zur Paranoia unterstellen darf, sind De Salugos Kunden, wie er sagt, «ganz normale Menschen». Rambos und Verschwörungstheoretiker hätten in seinen Kursen keinen Platz. «Die Szenarien, auf die ich meine Kunden vorbereite, sind absolut realistisch.»
Tatsächlich wächst das Bedürfnis nach Absicherung auch bei Otto Normalverbraucher. Reto Schätti, Inhaber der Sichersatt AG, profitiert davon. Schätti verkauft gefriergetrocknetes Getreide, Hightechnahrung im Beutel, Butterpulver und Gläser zum Sprossenziehen auf dem Fenstersims. Nach Schreckensmeldungen wie jenen aus Fukushima oder der Ukraine verfünffachen sich die Tagesumsätze der Firma im zürcherischen Wald.
Und am Tag, an dem Armeechef André Blattmann in den Medien über die im Keller gelagerten Wasservorräte sprach, ging der Server in die Knie, auf dem Schättis Onlineshop gehostet wird. Bis zu 100 Pakete liefert seine Firma täglich aus. An Alleinstehende, die für 190 Franken Komplettnahrung in Riegeln für einen Monat einkaufen. Oder an Familienväter, die sich das Luxusprogramm für vier Personen leisten: sechs Monate Komplettversorgung, inklusive Getreidemühle, Kocher und Kurbelradio, für 6990 Franken. Geliefert wird in neutraler Verpackung, der Datenverkehr ist permanent verschlüsselt, und grössere Lieferungen übernimmt Schätti persönlich, denn: «Jede weitere involvierte Person kann ein Sicherheitsrisiko sein.»
Auch bei Survivaltrainer Gion De Salugo ist Verschwiegenheit oberstes Gebot. «Rede mit keinem über deine Vorbereitungen, auch nicht mit deinem besten Freund», rät er. Denn in der Not könne sogar der zum Gegner werden. De Salugos Survivalkurse boomen. Seit zwei Jahren bietet er sie in der Schweiz an, heute sind sie Monate im Voraus ausgebucht. Die Idee, autark in der Natur überleben zu können, fasziniere viele Leute, sagt er. Leute, die mit offenen Augen durch die Welt gingen. Banker zum Beispiel, die sähen, wie es um das Finanzsystem stehe, Ärzte, die in die Pandemievorsorge involviert seien, aber auch Lehrerinnen und Lehrer. «Das sind Leute, die wissen, warum sie sich absichern.»
Es reiche ein längerer Stromausfall in einem Wintermonat, sagt Gion De Salugo, «und schon käme der grösste Teil der Bevölkerung absolut an die Grenze». Man müsse keine Verschwörungstheorien wälzen, um sich die Katastrophe auszumalen, wenn Heizungen versagten, Bancomaten streikten und WC-Spülungen nicht mehr funktionierten. «Hierzulande», ist De Salugo überzeugt, «werden die Leute sehr schnell egoistisch und rabiat. Der Schweizer wird ja schon wütend, wenn der Nachbar den Gartenhag in einer anderen Farbe streicht.» Nicht ohne Grund sei dieses Volk bereits im Mittelalter berühmt gewesen für seine aggressive und kämpferische Natur.
Unruhen aufgrund längerer Stromausfälle, Finanzkrisen und Cyberattacken sind auch für die Sicherheitsexperten des Schweizer Rückversicherers Swiss Re realistische Szenarien. Und den jährlich am World Economic Forum (WEF) erstellten «Global Risks Report» führt 2014 eine mögliche weitere Finanzkrise an. Weiter sieht die Wirtschaftselite die wachsenden sozialen Unterschiede als Gefahr und ebenso das Knapperwerden der Ressource Wasser (siehe Grafik).
Was tun? «Wir helfen uns selbst, denn sonst hilft uns niemand!», sagen sich die Betreiber der Finca Bayano. Sie bietet Schweizer Kunden Agrarland in Panama an, rät, auszuwandern und in die Selbstversorgung einzusteigen, solange das noch möglich ist. «Die Welt ist überbevölkert, die Verschmutzung unglaublich, Regenwälder und Meere sterben, und wir sind Peak Everything ein ganzes Stück näher.» Peak Everything ist der Tag, an dem die wichtigsten Rohstoffe zur Neige gehen.
Beworben wird die Finca auf der Plattform Survivalforum.ch. Hier diskutieren Schweizer, Österreicher und Deutsche darüber, was im Ernstfall zu tun wäre: «Ist die Jagd mit einer Armbrust legal?» – «Warum ist Knäckebrot nur drei bis sechs Monate haltbar?» – «Was gehört in den BOB?» Schnell wird klar: Prepper pflegen ein eigenes Vokabular. Der BOB (bug-out bag) ist die Tasche, die man sich schnappt, wenn man unerwartet abhauen muss. Sie soll alles enthalten, was man braucht, um nach dem WTSHTF zu überleben. Der WTSHTF (When the shit hits the fan) ist der Tag, an dem die Katastrophe eintritt. «Zombies» sind in den Foren keine Untoten, sondern Leute, die nicht auf Krisen vorbereitet sind.
Fragen von Journalisten duldet man auf dem Survivalforum nicht. Man habe schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht, schreibt der Betreiber der Website auf Nachfrage. «Leider meint es niemand so richtig ernst mit uns Preppern.»
Man muss also andere über sie reden lassen. Etwa Denis Duclos, Ethnologe und Forschungsdirektor am Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Paris. Duclos schreibt in der Zeitung «Le Monde diplomatique»: «Prepper kommen aus allen sozialen Milieus, besonders stark vertreten sind junge Menschen und überschuldete Vorstädter.»
Laut Duclos sind die meisten Prepper vor allem zwanghafte Konsumenten, vergleichbar mit den Leuten, die vor Feiertagen die Supermärkte leer kaufen. «Sie wählen nur andere Waren, erwerben in Voraussicht einer Invasion Waffen, Grundnahrungsmittel oder Medikamente (die drei Bs: bullets, beans, band-aids – Pistolenkugeln, Bohnen, Verbandszeug).»
«Materialisierte Lebensversicherung» nennt das Katrin Fischer, Psychologieprofessorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Laut Fischer ist es oft die Angst vor Kontrollverlust, die Menschen dazu bringt, sich auf Katastrophen vorzubereiten. Darum seien bei den Preppern Leute übervertreten, die in Bereichen arbeiten, in denen sie selber wenig beeinflussen können. Sich Notvorrat anzuschaffen oder Survival-Skills zu erwerben sei dann eine Art kompensatorische Handlung. Sie gebe den Menschen das Gefühl, wenigstens daheim das Leben im Griff zu haben.
Nicht zu unterschätzen ist laut Fischer auch die Rolle der Medien. Berichte über Naturkatastrophen erinnerten an die eigene Sterblichkeit. Wer sich einrede, solche Tragödien fügten nur Menschen Schaden zu, die selbst dazu beitrügen, etwa weil sie schlecht, unvorsichtig oder dumm wären, erzeuge die Illusion, die Ereignisse beeinflussen zu können.
Überlebenstrainer Gion De Salugo sagt: «Wenn du weisst, dass du besser vorbereitet bist als 99 Prozent der Bevölkerung, schläfst du ruhiger. Dieser Vorsprung gibt dir ein Gefühl von Sicherheit.» Wie gross dieser Vorsprung sein muss, ist Ansichtssache. Reto Schätti von der Firma Sichersatt hält sich darum mit Ratschlägen zurück: «Es gibt Leute, die fühlen sich sicher, wenn sie ein paar kalorienreiche Riegel und etwas Wasser im Keller haben, andere machen einen Plan und bestellen jeden Monat für 100 oder 200 Franken etwas dazu.» Bloss Waffen gibt es bei seiner Sichersatt AG nicht. «Damit will ich nichts zu tun haben», sagt der gelernte Koch, «mein Fachgebiet ist Langzeitnahrung.»
Anders sieht das Gion De Salugo. Für ihn gehört die Ausbildung an der Waffe zu einer umfassenden Vorsorge. «Wenn man davon ausgeht, dass in der Schweiz Millionen von Leuten eine Waffe im Haus haben, ist es naiv, zu meinen, man könne sein Heim ohne diese verteidigen.» De Salugo ermöglicht seinen Kunden in Privattrainings, verschiedene Waffen auszuprobieren und sich dann im Gebrauch der gewählten Waffe auszubilden. Auf Wunsch auch im militärischen Nahkampf. «Das ist nur möglich dank der Zusammenarbeit mit Profis», sagt er. Da seien Chirurgen, die Leuten zeigten, wie man Wunden versorge und im Notfall auch selber vernähe. «Dazu habe ich auch ein Netzwerk von Leuten, die in der Security arbeiten: Polizisten oder Spezialisten aus der Armee.»
Neu ist das Phänomen der Prepper nicht. Seine Wurzeln reichen zurück bis zum Zusammenbruch der US-Börse 1929 und zur darauffolgenden Weltwirtschaftskrise. «Survivalists» nannten sich fortan Leute, die einen Notvorrat anlegten.
Während sie sich damals vor allem auf einen weiteren Versorgungsengpass einstellten, gibt es heute kein Szenario, das keine Prepper findet. So bereitet sich eine steigende Zahl Menschen mehr oder weniger ernsthaft auf eine Invasion von Untoten vor. Auf der Filmeplattform Youtube präsentieren sie ihre Survival-Kits, die ihnen das Überleben nach der Zombieapokalypse sichern sollen. Inspiriert sind die meisten von der populären US-Serie «The Walking Dead», die seit 2010 auch im deutschsprachigen Fernsehen läuft.
Aber auch wer für andere, realistischere Katastrophen gewappnet sein will, findet in TV-Formaten wie «Doomsday Preppers» Inspiration. Oder bei Bear Grylls. Der Ex-Elitesoldat und ehemals jüngste britische Everest-Besteiger zeigt, wie man in der Wildnis oder im Grossstadtdschungel allein überlebt. Er isst Piranhas, übernachtet in der Haut frisch erlegter Tiere und trinkt seinen eigenen Urin. Mit Erfolg, ziert doch das Label «Bear Grylls» inzwischen ganze Survival-Produktlinien. Und sogar das beschauliche Schweizer Fernsehen setzt auf Survival. Im Frühling endete die dritte Staffel der Abenteuerserie «Das Experiment».
Profiüberleber Gion De Salugo warnt vor solchen Serien. «Aus meiner Sicht macht Bear Grylls schon in den ersten Minuten grundlegende Fehler», sagt er. Grylls springe dauernd irgendwo ins Wasser und renne dann mit nasser Kleidung durch den Dschungel. «Das führt zu Unterkühlung und Energieverlust.» Auch esse er Insekten, ohne sie vorher zu erhitzen und damit von Parasiten zu befreien. In solchen Sendungen, sagt De Salugo, gehe es primär um Action. Im richtigen Leben aber, «da geht es um Leben und Tod».