Der Vorwurf eines ehemaligen Kadermitglieds der Pro Juventute wiegt schwer: Wegen ständiger Querelen im Zürcher Zentralsekretariat und wegen seiner unklaren Ausrichtung habe das Hilfswerk einen hohen zweistelligen Millionenbetrag an zugesagten Erbschaften und Legaten verspielt.

Dies bestreiten indes die Verantwortlichen. «Diese Behauptung ist falsch», sagt der Pressesprecher von Pro Juventute, Daniel Fleuti. Unbestritten hingegen ist, dass Pro Juventute solche Millionen gut gebrauchen könnte. Der Revisor der Stiftung schlägt im letzten Jahresbericht Alarm. Er fordert «Massnahmen zur Abwendung der Illiquidität des Zentralsekretariats». Will heissen: Über Pro Juventute, dem Hilfswerk mit 240 bezahlten und 8000 ehrenamtlichen Mitarbeitenden und vielfältigen Aktivitäten in der Jugend- und Familienarbeit, kreist der Pleitegeier.

Um etwas Luft zu bekommen, wird nun das Tafelsilber veräussert. Verschiedene Immobilien werden verkauft. Die «Erfolgsrechnung» der letzten beiden abgeschlossenen Geschäftsjahre belegt die Misere. Das Minus betrug 1,2 beziehungsweise 3,6 Millionen Franken. Ohne Auflösung von Rückstellungen wäre das Defizit noch um rund zwei Millionen Franken höher ausgefallen. Auch die Zahlen für das Geschäftsjahr 2003/04 sollen dem Vernehmen nach tiefrot sein. Rasche Besserung ist nicht in Sicht: Brigitte Zünd, bis Juni 2004 Vorsitzende der Geschäftsleitung, hatte sich erst für «das Jahr 2006/07 eine ausgeglichene Rechnung zum Ziel gesetzt».

Während der Aufwand für den eigentlichen Stiftungszweck wie Einzel-und Familienhilfe, Erziehung und Bildung sowie Freizeit und Jugendarbeit einen Rückgang verzeichnet, kostet die Administration – Stäbe und Verwaltung, gesamtschweizerische Stiftungsaufgaben – immer mehr. Diese beiden Positionen legten innert Jahresfrist um 1,3 Millionen auf 6,6 Millionen Franken zu. Der Anstieg lässt sich mit der von Zünd ins Feld geführten Neuverteilung der Kosten nur zu einem kleineren Teil erklären.

Wer erwartet, dass Pro Juventute energisch Gegensteuer gibt, sieht sich getäuscht. Im Gegenteil: «Das Zentralsekretariat ist durch einen missglückten Reorganisationsprozess vollkommen blockiert», sagt Uschi Bodmer, die frühere Personalchefin der Stiftung. Bodmer hat nach zehn Jahren gekündigt, weil sie nicht mehr hinter der Organisation stehen konnte.

Tatsächlich scheint es im Zentralsekretariat an der Seehofstrasse in Zürich drunter und drüber zu gehen. In nur drei Jahren verschliss die Pro Juventute drei Finanzverantwortliche, gekündigt haben zudem der Leiter Fundraising, der Leiter Kommunikation und mehrere Abteilungs- und Bereichsverantwortliche.

Kein Zutritt für Jugendliche


Seit Jahren bastelt man an einer Reorganisation, die dem Hilfswerk ein klareres Profil geben soll. In der Öffentlichkeit wird Pro Juventute vor allem als Briefmarkenverkäuferin und nicht als Meinungsführerin in jugendrelevanten Fragen wahrgenommen. Nur ein einziges Mitglied des 55-köpfigen Stiftungsrats ist jünger als 30. Weil man sich über eine grundsätzliche Neuorientierung nicht einigen kann – weg vom Gemischtwarenladen wie bisher hin zu einer Art «Greenpeace» für die Jugend –, verliert man sich in Scheinreformen.

So wurde ein mit externen Beratern entwickeltes Organisationshandbuch in der Vernehmlassung von der Basis massiv kritisiert. Stellvertretend die Antwort von Bruno Etter, Präsident der Bezirkskommission der Pro Juventute Werdenberg SG: «Ich vermisse eine klare Vision, die der Gesamtstiftung inhaltlich wieder eine Daseinsberechtigung bringen würde.»

Das Missmanagement zeigt sich an verschiedenen Stellen. Wichtige Aufgaben der Organisation bleiben unerledigt. Von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz bekam Pro Juventute vor drei Jahren den Auftrag, ein Kompetenzzentrum zur Förderung der Konfliktfähigkeit von Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Das Projekt «jung&stark» hatte dafür ein Budget von 1,65 Millionen Franken zur Verfügung. Eine externe Bewertung verlief positiv, und eine Verlängerung des Mandats schien beschlossene Sache. Doch im Frühjahr 2004 wurde das Projekt von der Geschäftsleitung überraschend auf Eis gelegt. Ob es mit «jung&stark» weitergeht, soll erst Anfang 2005 entschieden werden. Drei Mitarbeitende verloren ihre Stelle. Ihr Know-how ist verloren. Ex-Abteilungsleiter Michael Baumgartner kann nur den Kopf schütteln: «Ein solch miserables Management habe ich nirgends sonst erlebt.»

Im Juni 2004 trat die umstrittene Geschäftsleiterin Zünd – der mit 166000 Franken Jahreslohn dotierte Posten war auf ihr Betreiben hin auf Juli 2002 neu geschaffen worden – entnervt zurück. Günstlingswirtschaft, lautete einer der Vorwürfe gegen Zünd. Mehrere Stellen seien unter der Hand mit ihren Vertrauten besetzt worden. Zünd relativiert dies: Nur die Anstellung ihrer Sekretärin und ihres Assistenten seien ausserhalb des üblichen Verfahrens erfolgt. Intern habe man keine geeigneten Kandidaten gefunden. Erstaunlicherweise ist Zünd in Personalunion auch Präsidentin der Stiftungskommission und kontrolliert sich so praktisch selbst.

Ihr und dem langjährigen Zentralsekretär Heinz Bruni wird die Hauptschuld am Chaos bei Pro Juventute angelastet. «Die Verantwortungslosigkeit gegenüber den Mitarbeitenden und die fachliche Inkompetenz und Führungsschwäche der Geschäftsleitung von Pro Juventute sind frappant», kritisieren zwei frühere Kaderleute in einem Brief an die Präsidentin des Stiftungsrats der Pro Juventute, die ehemalige Berner Ständerätin Christine Beerli.

Beerli ist jetzt gefordert, denn dem Führungsduo Zünd und Bruni ist es nie gelungen, das schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen. «Der Rücktritt von Zünd ist die einzige sinnvolle Entscheidung. Man kann nicht gegen die Interessen der gesamten Basis operieren», sagt Armin Schmidt, Präsident der Pro Juventute Bern. Zünd kontert die Anwürfe selbstbewusst: «Den Reorganisationsprozess habe ich zielorientiert, sachbezogen, kostenbewusst und sozialverträglich und somit kompetent geleitet und durchgeführt.» Auch Bruni zeigt sich unbeeindruckt: «Grundsätzlich gibt es immer Mitarbeitende, die mit ihren Vorgesetzten nicht einverstanden sind.»

Unterwegs – und wohin diesmal?


Laut Bruni habe man nun eine Vision, ein Leitbild und Grundsätze und sei «heute auf dem richtigen Weg». Einmal mehr. Das Gleiche behauptete Sekretär Bruni schon vor Jahren in einem Beobachter-Interview (Nr. 16/1986). Bereits damals gab es unzufriedende Mitarbeitende und Krach ums Konzept. Pro Juventute, so scheint es, ist dauernd unterwegs, kommt aber keinen Schritt weiter.

Nun wächst der Druck. Die inzwischen zurückgetretene Stiftungsrätin Erika Brademann hat bei der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht gegen die Organe von Pro Juventute Aufsichtsbeschwerde eingereicht. Brademann kritisiert darin die mangelnde Transparenz und fordert die Mitglieder des Stiftungsrats auf, der Geschäftsleitung an der Sitzung vom 25. September (nach Redaktionsschluss des Beobachters) wegen des Finanzdebakels die Entlastung zu verweigern. Ein Eklat scheint programmiert. Die Verantwortlichen der Pro Juventute würden in diesem Fall ziemlich alt aussehen.

Quelle: Igor Kravarik