Psychiatrie: Zwei Fallbeispiele
Am Anfang standen berufliche Schwierigkeiten: Alex F. wurde drogensüchtig und bedrohte die Familie mit dem Sturmgewehr. Alexandra D. wurde zwangseingewiesen, nachdem sie sich und ihre Kinder töten wollte. Die Therapie eröffnete ihr neue Perspektiven.
Alexandra D.: «Plötzlich riss der Film»
Es war der absolute Tiefpunkt im Leben der 33-jährigen Mutter: Alexandra D. wollte sterben, und die Kinder sollten ihr in den Tod folgen. Sie rief eine Bekannte an und gab ihre Absicht bekannt. Dann brachte sie ihre Kinder ins Bad und warf den Föhn ins Badewasser – es passierte nichts. Als die Polizei ins Haus kam, versuchte sie sich die Pulsadern aufzuschneiden. Man brachte sie in die Klinik, in der sie insgesamt ein Jahr blieb.
«Ich war schon als Kind depressiv», sagt Alexandra D. Die Depressionen nahmen zu, als sie heiratete. Die Ehe war unglücklich, Geldprobleme kamen hinzu. Auch nach der Trennung ging es ihr nicht besser: «Plötzlich riss der Film.»
Sie blieb auch in der Klinik selbstmordgefährdet. Monatelang war sie auf der geschlossenen Abteilung. Sie bekam Medikamente und arbeitete ein bisschen, doch es wurde nicht besser. Niemand suchte das Gespräch mit ihr, sie sprach auch mit niemandem über ihre Gefühle. Während eines Wochenendurlaubs versuchte sie sich erneut umzubringen.
Danach wurde Alexandra D. dreimal wöchentlich zur Gesprächstherapie aufgeboten – seither geht es ihr besser. Sie hat gelernt, über Dinge zu sprechen, über die sie vorher nie gesprochen hatte.
Zurzeit wird Alexandra D. ambulant behandelt. Sie lebt mit ihren Kindern in einem Heim und arbeitet in der Schreinerei der Klinik. Das gefällt ihr gut – fast zu gut. «Ich tue mich schwer mit dem Schritt nach aussen», sagt sie. «Hier gibts keinen Druck.»
Die ungelernte Verkäuferin hatte schon vorher Mühe mit dem Arbeiten. «Jetzt frage ich mich, wie wird es draussen?» Eine Anlehre als Schreinerin würde ihr gefallen oder eine Arbeit in einer geschützten Werkstatt.
Wenige Perspektiven – aber immerhin. Alexandra D. empfindet ihren Klinikaufenthalt und die Therapie als eine neue Chance. «Es ist verrückt», sagt sie, «dass ich erst in der Klinik zu leben beginne.»
Alex F.: «Ich bin völlig am Ende»
Alex F. war ein weltgewandter Geschäftsmann, führte ein Restaurant, hatte ein Einfamilienhaus, eine Frau, zwei Kinder und mehrere Autos in der Garage.
Doch all das war nur die schöne Oberfläche. Unbemerkt bahnte sich das Drama an: Schulden, Verluste, Betreibungen – ein Teufelskreis.
Irgendwann gab Alex F. alles auf und begann, Taxi zu fahren. «Ich war auf jeden Rappen angewiesen», sagt er, «ich wollte unbedingt aus dem Loch herauskommen.»
Stattdessen rutschte er ins Drogenmilieu. In der Ehe kriselte es, und die ständige Geldknappheit machte ihn krank.
Das erste Mal war er wegen der Depressionen neun Wochen in der Klinik. Als er wieder draussen war, suchte er verzweifelt eine Arbeit. «Aber finde mal Arbeit, wenn du gerade aus der "Psychi" kommst.» Seine Frau verlangte die Scheidung. Die Welt brach für ihn zusammen, er konnte das nicht verstehen. F. wollte sie nicht gehen lassen, machte laute Szenen. Seine Frau kam tagelang vor Angst nicht nach Hause.
Irgendwann stand F. mit dem Sturmgewehr in der Wohnung. Der Tochter gelang es, ihm das Gewehr aus der Hand zu reissen und es aus dem Fenster zu werfen.
F. wurde zwangseingeliefert – wegen «Selbst- und Fremdgefährdung». Man diagnostizierte eine Geisteskrankheit; das Vormundschaftsverfahren läuft. In der Klinik rastete der ehemalige Jiu-Jitsu-Kämpfer zweimal derart aus, dass der Alarm losging. «Ich bin völlig am Ende», sagt er. «Mich wundert es, dass es nicht mehr Amokläufer gibt.»