Bei gewissen Stichworten kann der Ruag-Pressesprecher Bruno Frangi ganz schön grantig werden. «Allenbach» ist ein solches Wort, aber auch «Fahrzeugliquidation» oder «Unregelmässigkeiten». Dann klingt seine Stimme genervt. Sehr genervt sogar: «Es ist halt interessanter, gegen einen grossen Konzern zu schiessen, als die Sache seriös abzuklären. Gewisse Herren versuchen jetzt die Medien zu orchestrieren, weil Gerichtstermine anstehen. Aber wir sehen diesen gelassen entgegen. Unsere Abklärungen haben gezeigt, dass es bei uns keine kriminellen Geschichten gibt.»

Wenn sich Frangi da bloss nicht irrt. In der so genannten Ruag-Affäre sind nämlich – in der Tat kurz vor dem ersten Gerichtstermin – neue Hinweise über seltsame Vorgänge bei der bundeseigenen Firma aufgetaucht. Vorgänge, die mit den bereits bekannten Vorwürfen gegen leitende Angestellte der Ruag Components weitgehend übereinstimmen.

Vorwurf der Korruption
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Anfang April publizierten diverse Medien ausführliche Artikel über die Verkäufe von ausgedientem Armeematerial und ausrangierten Militärfahrzeugen an verschiedene Grosshändler. Dabei sollen unter anderem Posten unter ihrem effektiven Wert verkauft, tadellose Fahrzeuge als Schrott deklariert und einige Händler systematisch bevorzugt worden sein. Nahrung erhielten die Vorwürfe, die sich gegen leitende Angestellte der Ruag Components und insbesondere deren Abteilung Liquidationen richtete, durch die Aussagen des Armeefahrzeughändlers Ernst Rast aus dem luzernischen Schenkon. Er gab zu, dass er, um den Zuschlag für bestimmte Posten zu erhalten, habe «nachhelfen müssen».

Publik wurden die Unregelmässigkeiten durch den Ruag-Angestellten Bernhard Allenbach, der, nachdem er mit internen Hinweisen bei der Ruag und beim VBS abgeblitzt war, an die Medien gelangte. «Mir blieb keine andere Wahl», sagt Allenbach heute. Die Aufdeckung der Ungereimtheiten brachte ihm zwar eine Nomination für den Prix Courage ein, vor allem aber jede Menge Ärger: Er verlor seinen Job und hat ein Verfahren wegen Geschäftsgeheimnisverletzung am Hals. Auch gegen die Ruag-Verantwortlichen läuft eine Strafuntersuchung. Eingereicht hat die Anzeige ein Fahrzeughändler aus Burgdorf. Die Vorwürfe: Begünstigung, unlauterer Wettbewerb, Korruption.

Die Anzeige beeindruckt die Beteiligten kaum, schon gar nicht die involvierten Händler. Es geht um Millionen, und dieses Geschäft lässt man sich nicht so schnell kaputtmachen. Rast etwa bietet zurzeit über die Website eines Mittelsmanns in Deutschland rund 300 Fahrzeuge an, darunter 50 Lastwagen des Typs Steyr 680A: «Die Fahrzeuge sind fahrbereit und kommen aus der Instandsetzung direkt von der Schweizer Armee und sind daher in einem sehr guten Zustand. Keine Auktionsware von Thun!» Auch Rasts grösster Konkurrent, der Luzerner Händler Urs Studer, gemäss Nachrichtenmagazin «Facts» unter anderem Lieferant von Schützenpanzern und rund 2000 ausgemusterten Armeefahrzeugen ins Bürgerkriegsland Angola, bietet auf eine verdeckte Beobachter-Anfrage hin 50 Steyr 680A an.

Das sind erstaunliche Offerten, zumal in den letzten zweieinhalb Jahren laut Ruag-Sprecher Frangi von der Armee keine solchen Fahrzeuge zur Liquidation freigegeben wurden. Ein Augenschein zeigt aber: Die angepriesenen Fahrzeuge sind vorhanden, nicht auf Rasts Firmengelände zwar, sondern im Armeemotorfahrzeugpark (AMP) Rothenburg bei Luzern. Noch Anfang Oktober seien sie bei der Truppe im Einsatz gewesen, sagt Rast, und die beiden Beobachter-Redaktoren, die unter falschem Namen als Interessenten auftreten, könnten auf der Stelle aus rund 50 Stück auswählen. In der nächsten Zeit erhalte er zudem 80 von rund 200 Stück, die liquidiert würden, erzählt Rast freimütig und mit verschwörerischem Augenzwinkern: «Die Fahrzeuge werden unter zwei Händlern aufgeteilt, und ich bin einer davon.»

Das stimme «in keiner Art und Weise», widerspricht Ruag-Sprecher Frangi. Von einer «Aufteilung» könne keine Rede sein. Ausserdem würden die 200 Fahrzeuge erst in den kommenden Monaten etappenweise unter den akkreditierten Händlern versteigert. Das heisst aber letztlich nichts anderes, als dass zumindest Rast im Internet und auf konkrete Anfragen Fahrzeuge anbietet, die nicht ihm, sondern dem VBS und somit dem Bund gehören.

Während Urs Studer über seinen Anwalt ausrichten lässt, ihm stünden «zehn defekt eingekaufte und wiederhergestellte Modelle der Schweizer Armee» sowie «150 Stück und mehr aus einem ausländischen Armeebestand zur Verfügung, was jederzeit schriftlich belegt werden kann», wird Rast bei einer Nachfrage wortkarg. Hatte er beim Treffen mit den vermeintlichen Interessenten im AMP Rothenburg noch von bis zu 150 Lastwagen gesprochen, die er beschaffen könne, will er nun von einem Angebot nichts mehr wissen und sich auch zu anderen Fragen nicht mehr äussern. Vier Tage später ist das Steyr-Angebot von der Website verschwunden.

Beim VBS wiederum sieht man in Rasts Offerte nichts Unrechtes: «Die Wiederverkäufer, die ein breites Beziehungsnetz haben und das Gras wachsen hören, testen natürlich die Marktchancen, sobald sie wittern oder hören, dass neue Fahrzeuge – wie eben die 204 Steyr – auf den Markt kommen», erklärt Pressesprecher Martin Bühler. «Ihre ‹Angebote› sind absolut spekulativ und auf eigenes Risiko.» Eine interessante Antwort hat Ruag-Sprecher Frangi bereit: «Das ist für mich ein heikler Punkt. Ich will doch nicht einen langjährigen Kunden desavouieren.»

Und einen guten Kunden obendrein. Dokumente, die dem Beobachter vorliegen, zeigen, dass Ernst Rast und Urs Studer zwischen Herbst 2002 und Frühling 2004 immer wieder Lastwagen von der Ruag Components beziehen konnten. Dies, obschon «die Restbestände an alten Militärlastwagen (Saurer 2 DM, Steyr 680A und Unimog S 1,5 t) durch den Generalstab im Zusammenhang mit der Armee XXI noch nicht zur Liquidation freigegeben worden» seien. Diesen Bescheid erhielt die Direktion für Sicherheitspolitik des VBS im September 2002 schriftlich von Erwin Rufer, Chef der Abteilung Liquidationen bei der Ruag. Eine «lückenlose Ersatzteilversorgung» sei «nicht mehr gewährleistet». Im Übrigen führe die Ruag Components im April 2003 die traditionelle Fahrzeugversteigerung in Thun durch: «Sollten weitere Lastwagen in nächster Zeit zur Liquidation bewilligt werden, müssten diese in 1. Prio für die Sicherstellung der Versteigerung reserviert werden.» Dem Beobachter vorliegende Faktura-Listen zeigen jedoch: Die «1. Prio» lag ganz woanders. Allein bis zur erwähnten Versteigerung konnte Händler Ernst Rast 16 Kleinlaster des Typs Unimog S und einen grösseren Lastwagen erwerben. Sein Kon- kurrent Urs Studer erwarb in der gleichen Zeit zwei Unimog S und vier Lastwagen. Die bezahlten Preise – für Unimog S wurden Beträge bis zu 4182 Franken in Rechnung gestellt – lassen darauf schliessen, dass es sich dabei mitnichten um «Unfallfahrzeuge» handelte. Ruag-Sprecher Frangi will sich dazu nicht äussern. Es handle sich dabei um «eine politische Frage, die nicht in unsere Zuständigkeit fällt».

Eindeutig zuständig hingegen fühlte sich die Ruag, konkret Liquidationschef Erwin Rufer, bei einem anderen Geschäft. Am 2. Dezember 2003 kaufte Händler Urs Studer von der Ruag Components einen Sanitäts-Pinzgauer. Auf der Rechnung ist deutlich vermerkt: «Dies ist ein Unfallfahrzeug ohne jegliche Garantie.» Entsprechend tief fiel der Preis aus: Studer bezahlte nur 2000 Franken für das Fahrzeug, bei dem laut Wagenpapieren, dem so genannten Liquidationsantrag, der Lenkstock klemmte und undicht war und das zudem eine eingedrückte Kabine und bei zwei Achsen ein defektes Differenzial aufwies.

Studer erstand darauf im Technikshop der Ruag Ersatzteile und liess das Fahrzeug in einer Garage im Kanton Schwyz auf Vordermann bringen. Die Rechnung der Garage datiert vom 31. Januar 2004 und beträgt 5850 Franken. Am 5. Februar erhielt Studer auch die Rechnung für die Ersatzteile präsentiert: Sie betrug nicht etwa 11879 Franken, wie vom zuständigen Mitarbeiter korrekt ausgewiesen, sondern lediglich 4200 Franken, mit der Bemerkung, dies sei ein «Pauschal-Spezialpreis gemäss Herrn E. Rufer».

Die Begründung dafür lieferte Rufer schriftlich nach: «Deklaration von diesem Unfallfz nicht zutreffend», schrieb er von Hand auf einen Zettel. «Im Sinn eines ‹Garantieanspruchs› des Käufers wurde eine spezielle Regelung getroffen.» Warum Studer auf das «Unfallfahrzeug ohne jeglichen Garantieanspruch» plötzlich doch einen Garantieanspruch hatte, wollte Rufer auf Anfrage nicht persönlich begründen. Ruag-Sprecher Frangi wiederum verweist auf die «Verkaufsbedingungen für den Erwerb von Fahrzeugen», in denen für Grossisten – und ein solcher ist Studer zweifellos – tatsächlich ein Mengenrabatt festgelegt ist. Dieser beträgt jedoch gemäss Verkaufsbedingungen 30 Prozent und keinesfalls 65 Prozent wie bei den Ersatzteilen für den San Pinzgauer 6x6 M+ 44 001.

«Willkürliche Parteibehauptungen»
Studers Anwalt weist jeden Verdacht, es handle sich um einen unzulässigen Freundschaftspreis, vehement zurück und droht mit rechtlichen Schritten. Die Ruag habe sich aufgrund eines erst von der Garage entdeckten «verdeckten Mangels», einem Defekt der kompletten Vorderachse, am «dadurch entstandenen Mehraufwand beteiligt». Mangel und Mehrkosten könnten schriftlich belegt werden. Die Belege liegen dem Beobachter vor. Seltsam bloss: Von einer «kompletten Vorderachse», die angeblich ersetzt werden musste, ist weder auf der Ersatzteilrechnung der Ruag noch auf der Rechnung der Garage etwas zu lesen.

Händler, die Ware anbieten, ohne sie zu besitzen, nicht vorhandene Lastwagen, die trotzdem angeboten werden, Garantieansprüche, wo keine sind – der Verdacht, dass dem Bund, an den die Ruag einen Teil ihres Erlöses abliefern muss, Millionenbeträge verloren gehen, erhärtet sich. Klärung könnte der Bericht des Berner Untersuchungsrichters Jörg Rösler bringen, der für Mitte November angekündigt ist. Er habe «mehrere Personen einvernommen und eine Vielzahl von Akten edieren lassen», antwortet Rösler auf die Kritik, dass von den in der Strafanzeige des Burgdorfer Fahrzeughändlers erwähnten Zeugen bisher nur eine Person angehört wurde. Der Händler selber hat mittlerweile bis vor Bundesgericht darum gekämpft, in dem Verfahren als Privatkläger zugelassen zu werden – und verloren.

Bis Redaktionsschluss stand nicht fest, wann Rösler beim zuständigen Staatsanwalt die Überweisung an das Gericht beantragt. Nicht auszuschliessen ist jedoch auch, dass das Verfahren eingestellt wird. In einer Vernehmlassung, die dem Beobachter vorliegt, äussert Rösler nämlich Zweifel an den «in den Raum gestellten Korruptionsvorwürfen». Diese seien «willkürliche Parteibehauptungen», und alle überprüften Sachverhalte hätten «schlüssig widerlegt werden» können. Eine von Röslers Quellen für diese Feststellungen, aus der er in seiner Stellungnahme ausführlich zitiert, ist ein Ruag-interner Revisionsbericht. «Die interne Revision», so heisst es dort wenig überraschend, «ist bei ihren Analysen und Stichproben auf keine Hinweise bezüglich Begünstigung jeglicher Art gestossen.»