Und sie rosten in Unfrieden
Franz Messerli ist Schrotthändler im Berner Gürbetal. Hunderte von seltenen Autowracks liegen auf seinem Gelände. Ein magischer Ort? Oder schlicht eine Sauerei?
Veröffentlicht am 24. Juli 2007 - 13:34 Uhr
Franz Messerli, Autoabbruch GmbH Kaufdorf, empfängt den Kunden wie einen Bittsteller. Er sitzt, der andere steht. Der Kunde ist auf der Suche nach der hinteren Sitzbank eines alten Peugeot 403. Inspektor Columbo hatte so einen in der gleichnamigen Fernsehserie. Eine Rarität. Messerli führt mit der Rechten die Brille zum Mund und kätscht am Bügel, um nach einem Moment des Nachdenkens mit der freien Linken in einer raschen Bewegung das schüttere, lange Haar nach hinten zu werfen. Ja, so einen habe er. Der Bittsteller strahlt wie ein Kind. Aber, schiebt der König nach, er verkaufe nicht. Der Kunde will nicht begreifen, versuchts mit flehendem Blick. Nein, nichts zu machen. Seine Majestät hat gesprochen, die Audienz ist beendet.
Was für ein merkwürdiger Händler, wie eine Glucke sitzt er auf seinem Autoschrott. Franz Messerli hat nämlich einen Traum: Er möchte aus dem «Park» ein Freilichtmuseum machen. Deshalb verkauft er nicht. Beim «Park» handelt es sich um mehrere hundert Autowracks, die sein Vater seit den fünfziger Jahren in einem hinteren Teil des Schrottplatzes Stossstange an Stossstange geparkt und sich selbst überlassen hat. Sozusagen ein Freilandversuch mit alternden Autos. Mittlerweile sind daraus Oldtimer geworden, verrostet; Moos, Farn, Spinnen, Schmetterlinge und Füchse holen sich den Platz zurück. Amateurfotografen pilgern hierher, ein Brautpaar möchte den Ort als Kulisse für seine Hochzeitsfotos benutzen, Kunstschüler zeichneten dort, das Fernsehen war auch schon da, für Autofreaks ist es schon fast ein Betsaal, wie hymnische Dankesbriefe an den Eigentümer bezeugen. Eine Autozeitschrift nannte den Ort «magisch».
Doch auch ein magischer Ort hat sich an das Gesetz zu halten. Oder an die Verfügungen der «Obrigkeit», wie es Messerli formuliert. Das Gericht verlangt nämlich, dass er Teile seines Autofriedhofs räumen und umweltgerecht sanieren muss, einschliesslich des «Parks». Messerli sitzt in seinem Office. Bald wird er 60, gerne hätte er noch bis zur Pensionierung weitergemacht. Er trägt Socken mit Sandalen, kurze braune Hosen und ein rotes Poloshirt. Unablässig rattert der Fax und schellt das Telefon. Alles Bittsteller auf der Suche nach Antennen, Heckleuchten, Zündverteilern, Türen, Antriebswellen, Achsschenkeln oder eben einer Sitzbank. Messerli nimmt scheinbar nach Lust und Laune ab, nach einem System, das nur er durchschaut. Als Ersatzteilkönig kann er sich das leisten.
Messerli ist ein Kenner. Für sein Leben gern würde er einmal in «Wetten, dass...?» auftreten. Seine Wette: Man stelle ihm 70 Türfallen hin, und er nennt das dazu passende Modell. Manchmal, sagt er, tauche die Polizei bei ihm auf mit einem Sack voller Blinkerscherben und bitte ihn, den dazu passenden Autotyp zu verraten. Meist sucht die Polizei einen Autofahrer, der einen Parkschaden verursacht und sich aus dem Staub gemacht hat. Das Geschäft werde «gäng schwieriger» wegen der Japaner. Nur noch Plastik. Plastik interessiert Messerli nicht.
Der Pfefferspray steht griffbereit
In einer Ecke hängt eine schwarze Jacke am Haken, mit gelben Zierstreifen auf den Rücken gestickt: «Messerli». Darunter, in Form einer auf dem Rücken liegenden Banane: «House of Corvette». Die Jacke hat er sich in Bangkok schneidern lassen, als er noch Schnauz trug und den Motor der weissen Corvette, die nebenan in der Werkstatt Staub ansetzt, noch auf Touren brachte. Das ist lange her. Auch ein Rolls-Royce Silver Cloud steht in einer Ecke, mit Leintüchern verhüllt. Hinten werkelt ein Angestellter in der Garage und streckt manchmal den Kopf herein: «Soll ich den Motor ausbauen?» Der König nickt. Ein Motor bringt 500 bis 1000 Franken, viel mehr, als er für den reinen Altmetallpreis erhalten würde. Messerli lebt vom Ausweiden ausrangierter Autos und dem Verkauf der Einzelteile. Es liegen ausgebaute Tachometer herum, Autoradios, Schalensitze. Es stapeln sich graue Autopapiere auf dem Pult, Autozeitschriften vergilben, auch eine Mahnung der Steuerbehörde. Ein Pfefferspray steht griffbereit, seit ihn vor zwei Jahren an einem dunklen Januarabend vor dem Haus ein Einbrecher abgepasst und ihm eine Heugabel «in den Ranzen» gestossen und ihn ausgeraubt habe.
«Autoabbrücheler» seien wie einst die Viehhändler, man müsse «gäng Geld im Sack» haben. Daher habe wohl jeder das Gefühl, er sei «steinreich». Daher wohl der schlechte Ruf der Schrotthändler. «Wenn einer im ‹Tatort› eine Leiche verschwinden lässt, wo passiert das?», fragt er und gibt die Antwort gleich selber: «Wahrscheinlich auf einem Autoabbruch.»
Studebaker, Chevrolet, Opel Rekord
Im «Park» zwitschern Vögel, man wähnt sich in einer Voliere, eine Weinbergschnecke zieht ihre Bahn auf dem Dach eines Simca Monaco. Ein Oldsmobile Cutlass hat das Lackkleid gegen eines aus Moos getauscht. Kirchturmhohe Pappeln, Fichten und Laubbäume geben dem Ort etwas Andächtiges, das Blätterdach dämpft das Licht wie in einer Kirche. Als wäre die Zeit stillgestanden: Borgwards, Studebakers, De Sotos, Vauxhalls, Valiants, Buicks, Chevrolets, Dodges. Automobile aus Zeiten, als das Design noch über die Funktion triumphierte, als Europa Rock’n’Roll tanzte und Amerika überhaupt sehr schick war, als der Spritverbrauch noch keine Rolle spielte, als man noch ungeniert und ohne schlechtes Gewissen Auto fuhr.
Auch Europäer ruhen auf diesem Friedhof: Ford Taunus, NSU, Opel Rekord. Einem Simca kullern die Scheinwerfer aus dem Lampengehäuse. Und dort hinten, tatsächlich, Columbos Peugeot 403, damals ein französischer Exportschlager, die Form entworfen vom italienischen Designer Pininfarina. Graben Archäologen in 1000 Jahren an dieser Stelle, werden sie wohl auf einen ausgeprägten Autokult im 20. Jahrhundert schliessen. Was ja nicht ganz falsch wäre. Man kann durchaus die Meinung vertreten, dieser Ort sei «magisch». Oder ein Kunstwerk. Andere sehen darin schlicht eine verdammte Sauerei.
So mag derjenige gedacht haben, der Messerli kürzlich einen Strick schickte. Auch Bauern hat er gegen sich aufgebracht, die fällten ihm mal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion sechs Pappeln am Rande des «Parks». Der Schattenwurf hatte sie gestört. Mit den Bauern habe er heute keine Probleme mehr, er vermutet die heutigen Kritiker eher unter den Neuzuzügern. Was ist mit auslaufendem Öl? Immerhin stehen die Autowracks auf Naturboden. Messerli winkt mit generöser Geste gab. «Das wäre schon längst ausgelaufen.» Da sei nichts mehr drin in den Tanks, allenfalls dickflüssige Melasse.
Messerli streitet schon jahrelang mit der Gemeinde. Schon sein Vater tat das. Der Vater lernte Zimmermann, begann Velos zu flicken und baute schliesslich Autotraktoren mit 17 Mitarbeitern. Er fuhr Autorennen, bis ihn ein Unfall 1952 halbseitig lähmte. Die Mutter schmiss den Laden, bis der Sohn 1975 übernahm. Der «Park» wurde sich selbst überlassen und verwilderte. Dass ihm die «Obrigkeit» erst jetzt auf die Pelle rückt, geht auf die landesweit bekannt gewordene Schlägerei zweier Schrotthändler im Simmental zurück. Die prügelten sich vor einigen Jahren mit einem Fernsehteam des Schweizer Fernsehens, weil es bei ihnen drehen wollte. Der begleitende Umweltdetektiv landete im Gerangel in der nahe gelegenen Simme und wäre fast ertrunken. Diesen Zwischenfall nahmen die Berner Behörden zum Anlass, alle Schrotthändler im Kanton auf die Umweltschutzrichtlinien zu überprüfen. Messerli blieb im Netz hängen. Jetzt muss er räumen.
«Der Staat bin ich»
Eine Räumung des «Parks» wäre für König Messerli vergleichbar mit «Ballenberg anzünden». Auch wenn die Leute sagen, jetzt sei er «total durchgeknallt»: Er werde nicht räumen. Wie sagte einst der französische Sonnenkönig Louis XIV: «L’état c’est moi», «der Staat bin ich». Diese Renitenz würde auch der Königinmutter gefallen. Letztes Jahr ist sie mit 91 Jahren gestorben, nicht zuletzt vor lauter Gram über diese Geschichte mit der Obrigkeit, wie der Sohn anmerkt. «Abbruch-Grosi» hiess sie in der Todesanzeige.
Im Büro schellt schon wieder das Telefon. Messerli nimmt ab: «Ein Clio? Wie viel Kubik?» Und auch der Bittsteller, der sich für den Columbo-Peugeot interessiert, ist wieder da. Er durfte, der König erlaubte das, im «Park» einen Augenschein nehmen. Anschauen ja, kaufen nein. Eine besonders grausame Foltermethode, wie sie eben nur einem Monarchen einfallen kann. Der Kunde schlägt einen Handel vor: Er will den ganzen Wagen kaufen, die Sitzbank ausbauen und das Autowrack wieder in den «Park» zurückstellen. Der Bittsteller geht mit einem Nein nach Hause. Messerli sagt, nachdem er gegangen ist, manche versuchten es Dutzende Male. Dann fährt der König in die Mittagspause - mit einem Smart.