Strafzettel: Büssen fürs Budget
Selbst unter Polizisten kursiert der Vorwurf: Verkehrsbussen dienen weniger der Sicherheit auf den Strassen, sondern sollen vor allem leere Kantons- und Gemeindekassen füllen. Doch offiziell bestätigen will das niemand.
Veröffentlicht am 19. Dezember 2000 - 00:00 Uhr
Der Generalsekretär des Polizeibeamtenverbands nimmt kein Blatt vor den Mund. «Der Druck, mit Bussen Geld einzunehmen, ist gross», sagt Jean-Pierre Monti, früher selber Polizist. Die Forderung nach vollen Kassen käme von den Kantonen, Städten und Gemeinden. Und: «Wo Geldstrafen verhängt werden, um die budgetierten Einnahmen zu erreichen, geht das meist auf Kosten der Prävention.» Monti sieht das Problem vor allem auf Gemeindeebene: «Diese Korps verteilen etwa nachts Parkbussen. Das ist wenig aufwändig und bringt viel ein.» Rentabel seien auch Geschwindigkeitskontrollen auf Autobahnen – vor allem im Bereich von Baustellen.
1996 wurden die Bussentarife verdoppelt. Monti: «Wir hofften, dass das den Druck etwas nimmt, was anfangs auch der Fall war.» Doch jetzt seien die alten Forderungen wieder da. «Polizisten sind doch nicht die Parkingmeter der Nation», kritisiert Jean-Pierre Monti.
Auch manche Polizeikommandanten klagen hinter vorgehaltener Hand über den grossen Druck. Offiziell bestätigen mag das aber niemand. «Die Bussen werden sicher nicht verteilt, um die Kassen zu füllen», sagt Hans Leuenberger von der Kantonspolizei Zürich. Auch in Basel muss sich die Polizei offenbar keinen finanziellen Forderungen stellen. «Wir könnten viel mehr Geld einnehmen, als wir das heute tun», sagt Klaus Mannhart, Kommandant der Basler Kantonspolizei.
Da geht es den Baslern offenbar besser als den Bernern. Ein Kantonsparlamentarier wollte in einer Anfrage wissen, ob die Polizei dank Bussen nicht mehr Geld einnehmen könne. «Dagegen haben wir uns mit aller Heftigkeit gewehrt», sagt Beat Hegg, Generalsekretär der Berner Polizei- und Militärdirektion. Die vorgegebenen Einnahmen würden zwar nicht immer erreicht, so Hegg, «aber dafür bestrafen wir die Polizei nicht».
Also alles halb so schlimm? Im Gegenteil. «Ein geschäftstüchtiger Polizist hat die besseren Aussichten auf eine Karriere», sagt Jean-Pierre Monti, «solche Fälle erlebe ich immer wieder.» Nach der Abschaffung des Beamtenstatus könnte es für die Polizistinnen und Polizisten noch unangenehmer werden. Denn neu wird der Lohn der Staatsangestellten nach ihrer Leistung festgesetzt. Monti befürchtet, dass Beamte, die mit Bussen viel Umsatz erzielen, auch noch dafür belohnt werden.
Polizei hält mit Zahlen zurück
Die Vorwürfe, dass sich Polizisten dem politischen Druck beugen, liessen sich einfach widerlegen: Man müsste nur überprüfen, wann, wo und wie oft Strafzettel verteilt werden. Doch schon die simple Frage, was auf den Schweizer Strassen jährlich an Bussgeldern hereinkommt, lässt sich nicht genau beantworten. Das Bundesamt für Strassen hält einen zweistelligen Millionenbetrag für «realistisch». Die Kantonspolizeien selber verfügen nach eigenen Angaben über keine solchen Statistiken.
«Das ist nicht erstaunlich», sagt Jean-Pierre Monti, «denn die Polizeien scheuen den Vergleich. Sie wollen sich nicht der Frage stellen, warum der eine Kanton mehr einnimmt als der andere.»
Immerhin: Auch der Bundesrat nimmt die Befürchtung ernst, Verkehrsbussen würden vor allem verteilt, um die Stadt- und Kantonskassen zu füllen. Ein Vorschlag zu vermehrter Bussentransparenz wurde jedoch vom Ständerat bereits bachab geschickt. Im Nationalrat dürfte es der Vorlage gleich ergehen.
Leon Borer, Kommandant der Aargauer Kantonspolizei, sieht die Lage zwar nicht so dramatisch wie Jean-Pierre Monti. Doch er äussert sich deutlicher als andere Polizeikommandanten: «Ich könnte locker 50000 Franken am Tag einnehmen. Aber ich muss Vernunft walten lassen.» Vor allem die Gemeinden nutzen laut Borer die Bussen als Geldquellen und verteilen auch dort Strafzettel, wo es aus Sicht der Prävention keinen Sinn macht. Der Aargauer Polizeikommandant bestreitet aber den Vorwurf, dass Beförderungen von den Busseneinnahmen abhängen.
Ähnlich tönts bei Jörg Stocker, Chef der Kantonspolizei Luzern: «Wir beurteilen die Leistung eines Polizisten nicht danach, wie viel Geld er einnimmt. Da sind ganz andere Kriterien wichtig – etwa wie einer Rapporte schreibt, wie er einen Befehl umsetzt oder wie er die technischen Geräte beherrscht.» Dazu gehören bekanntlich auch Radaranlagen.