Dieser Mann tut Ihnen gut
Eben hat Thomas Zeltner, Chef des Bundesamts für Gesundheit, wieder mal höhere Zigarettenpreise angekündigt. Wer ist dieser Vorzeigebürokrat, der dem Laster stets einen Joggingschritt voraus ist?
Veröffentlicht am 18. Februar 2008 - 15:03 Uhr
Auf der Bühne steht ein magerer Christbaum. Sogar Pflanzen scheinen sich hier, unter lauter Gesundheitsexperten, dem Gebot der Drahtigkeit und Fitness zu unterwerfen. Ein Kongress im Dezember in Bern. Thomas Zeltner hält einen Vortrag, in dem es um nichts weniger als die Zukunft der Schweizer Gesundheitsversorgung geht. Für den sogar im Winter nicht bleichen Chef des Bundesamts für Gesundheit eine Routineübung. Er streift seine Uhr vom Handgelenk und legt sie vor sich auf das Stehpult, auf das er sich mit gestreckten Armen abstützt.
«Evidenzbasiert, meine Damen und Herren.» «Evidenzbasiert» scheint eines seiner Lieblingswörter zu sein. Er liest ab, aber so geschickt, dass man es nicht merkt. Sein Kopfhaar ist für einen eben 60 gewordenen Mann beneidenswert dicht. Er trägt einen tadellos sitzenden Anzug, Hemd, Krawatte, einen Ehering und einen etwas aus der Mode geratenen Schuhbürstenschnauz. Und schwarze polierte Schuhe. Wer sie einmal erblickt, kommt kaum mehr von ihnen los. Die Schuhe sind ständig in Bewegung, wippen, schmiegen sich eng aneinander. Dann legt der Redner das ganze Körpergewicht auf die Absätze - um die Schuhspitzen 45 Grad in die Luft pfeilen zu lassen. Das hat etwas Lausbubenhaftes. Als ob überschüssige Energie sich in seinen Schuhspitzen sammelte. Zeltner redet schnell, aber deutlich, ohne Räuspern, ohne Ähs, ab und zu ein den Lateiner markierendes «post festum» im Redestrom versenkend. Man möchte fast sagen: ein prachtvoller Redner.
Und ein einflussreicher. Die Zeitschrift «Bilanz» platziert den Medizinprofessor in ihrer Hitliste des politischen Einflusses regelmässig ganz vorne, sogar noch vor einzelnen Bundesräten. Nur ist er nicht so bekannt wie diese. Seit 1991 im Amt, warnt er uns vor Alkohol, Cholesterin, Grippeviren, Dioxin - und immer wieder: Tabak, Tabak, Tabak. In seiner Amtszeit wurden wohl zehnmal die Zigarettenpreise erhöht. Ganz im Sinne Zeltners. Das Tabakpräventionsprogramm ist sein persönlicher Erfolg. Übelmeinende nennen ihn deshalb verächtlich einen «Lebensfeind» oder «Ayatollah». Journalisten wollten ihn mit schöner Regelmässigkeit aus dem Amt schreiben. Wohlmeinende feiern ihn dagegen als Leuchtturm, als Menschenfreund, als Superzeltner, der die Tabakindustrie in die Knie gezwungen und der Schweiz das Rauchen abgewöhnt hat.
So tadellos wie sein Auftritt ist seine Karriere. Medizinstudium in Bern. Weiterbildung zum Pathologen und Gerichtsmediziner am Berner Universitätsspital Insel (wo er wie auch der damals noch unbekannte Assistenzarzt Daniel Vasella ein Jahr lang Leichen seziert). Dann untersucht er Gewebeproben für Spitäler: Sind sie von Krebs befallen? Bösartig? «Das war eine unglaubliche Disziplinierungsübung. Letztlich entschied mein Ja oder Nein über einen Lebensweg.»
Gleichzeitig dient er sich in der Armee zum Obersten hoch, und an der Universität holt er sich im Sauseschritt (in nur sechs Semestern) noch einen Abschluss als Jurist. Als 38-Jähriger erhält er einen Lehrauftrag an der renommierten Harvard School of Public Health in Boston, USA. Zeltners Werkzeug ist nun nicht mehr das Skalpell - fortan beschäftigen ihn Studien und Statistiken zur Volksgesundheit. Er hätte um fünf Jahre verlängern können, zog jedoch, auch seiner Frau zuliebe, die Heimat vor. Doch, fügt Zeltner im Gespräch an, er habe die Wissenschaftskarriere auch vorbeiziehen lassen, weil er dafür schon zu alt gewesen sei und er es höchstens in die einfache «A-Klasse» geschafft hätte. Ein Zeltner möchte mindestens ein «Triple A». Er heuert dann als Direktionsmitglied des Berner Inselspitals an, eine Stabsstelle zwischen Direktion und Ärzteschaft. Mit 44 Jahren wird er 1991 von Bundesrat Flavio Cotti zum Chef des Bundesamts für Gesundheit ernannt. Auch dort ist er in einer Scharnierfunktion tätig, zwischen Politik und Verwaltung. Diese Vermittlerrolle, anerkennen sogar Kritiker, sei Zeltner wie auf den Leib geschneidert.
«Gegessen ist gegessen»
Prof. Dr. med. et lic. iur. Thomas Zeltner doziert vor seinem Publikum in Bern mittlerweile über die Kosten im Gesundheitswesen, den Anstieg etwas linkisch mit dem Handteller in die Luft malend. Für diesen, wie Freunde und Bekannte ihn schildern, Blitzgescheiten, Belesenen, Kunstinteressierten, Polyglotten, Witzigen, Einfühlsamen und unverbesserlich Gutgelaunten müssten eigentlich solche Vorträge über Kosten, Prämien und Bruttosozialprodukt die pure Langeweile sein. Jedoch: Wer wie er auf dem Nachttischchen Bücher mit dem Titel «Consumer driven health care» liegen hat, scheint durchaus auch eine Leidenschaft für solch trockene Materie zu haben. Seine Hauptbeschäftigung aber gilt den Risiken. Und weil Risiken etwas Abstraktes sind, etwas in der Zukunft, ist das Reden über sie stets ein Stochern im Nebel. Darf man beim Rindsentrecôte zugreifen - oder droht BSE? Welche Folgen hat der Verzehr dioxinverseuchten Geflügels? Zeltners entwaffnend simple Antwort: «Dazu muss ich leider sagen: Gegessen ist gegessen. Damit hätte diese Person ihr Krebsrisiko ganz minim erhöht, im Promillebereich.»
Zeltner ist ein ausgezeichneter Kommunikator. Im Gespräch hört er aufmerksam zu, geduldig wartend, dem Redner immer wieder geradezu aufmunternd zulächelnd. Dann sagt er: «Dyr heit rächt» - das Gegenüber freut sich, nicht ahnend, dass er kurz darauf das Gegenteil auftischt: «U dyr heit urächt.» Diese Volten, immer verpackt in vollendeter Höflichkeit, macht ihm so schnell keiner nach.
Weil Zeltner stets die Katastrophe verhindern muss, kann er nie beweisen, dass er recht hatte, weil diese, wenn er erfolgreich ist, ja gar nicht eintritt. Es ist das Los des Präventivmediziners. Handelt er wie im Jahr 2003 an der Schmuckmesse in Basel, als er 2500 Schmuckvertreter aus Asien kurzerhand wieder nach Hause schickte, um die Ausbreitung der Lungenseuche Sars zu verhindern, wirft man ihm Übereifer vor. Aber nicht auszudenken, wenn er passiv geblieben wäre und die Seuche sich ausgebreitet hätte. Ein frustrierender Job, um den man ihn nicht beneidet. Dafür ist in seinem Lohn von rund 250'000 Franken pro Jahr die Leidensprämie grosszügig berücksichtigt.
Der Bürokrat, das unbekannte Wesen
Ist er ein Ehrgeizling und Machtmensch, wie ihm Gegner vorwerfen? Natürlich, sonst wäre er nicht da, wo er heute ist. Eine praktische Eigenschaft ist auch, dass Kritik an ihm abperlt wie Regentropfen auf einer frisch lackierten Motorhaube. So leisteten seine körpereigenen Abwehrkräfte beste Arbeit, als er mit Entscheiden in Sachen BSE und Sars unter heftigen Beschuss geriet. Aber Immunität und Ehrgeiz sind nicht seine einzigen Erfolgsgeheimnisse. Zeltner ist nicht nur gescheit, sondern auch schlau. Ein Kritiker meint, es sei schon erstaunlich, wie man drei charakterlich so unterschiedlichen Chefs wie Flavio Cotti, Ruth Dreifuss und Pascal Couchepin dienen könne. Wie schafft man das? Absolute Loyalität, strategisches Geschick und Wendigkeit, wenn es um parteipolitische Standpunkte geht. Als Zeltner für Cotti arbeitete, hiess es, er sei CVP-nah, als er für Dreifuss arbeitete, hiess es, er sei SP-nah, und seit er für Couchepin arbeitet, heisst es, er sei FDP-nah.
Treffender könnte man kaum illustrieren, dass Thomas Zeltner die Idealbesetzung für diesen Typus des hochrangigen Bürokraten ist, der weiss, wo die politischen Grenzen seines Amtes gezogen sind. Der Preis ist eine gewisse persönliche Farblosigkeit: Man wisse nie, wo der Mensch Zeltner eigentlich selber steht, kritisiert einer, der mit ihm arbeitete. Er legt ihm das als Opportunismus aus. Die Arbeit habe sich in diesen 16 Jahren in ihn hineingefressen, die Rolle des Übersetzers und Vermittlers ihn verändert.
Vielleicht ist es auch der Neid, der aus diesen Worten spricht. Superzeltner ist einer der wenigen Amtsdirektoren, den man ausserhalb des Bundeshauses überhaupt kennt. Mehrmals hat er es sogar ins deutsche Nachrichtenmagazin «Spiegel» geschafft. Anlass war seine Kampagne für eine liberale Drogenpolitik ganz zu Beginn seiner Amtszeit, was wahrscheinlich noch etwas mutiger war als sein Kampf gegen die Tabakindustrie.
Aber, Herr Zeltner, ist es überhaupt Sache des Staates, den Bürgern das Rauchen abzugewöhnen? Solche Anwürfe ist sich Zeltner, der selber nie regelmässig geraucht hat, gewohnt, und er kontert sie mit aufreizender Gelassenheit. Ja, es sei Aufgabe des Staates, die Leute über gesundheitsschädigendes Verhalten aufzuklären. Wenn sich dann jemand immer noch zu Tode rauchen wolle, sei das seine Sache. «Es ist nicht verboten, süchtig zu sein.»
Thomas Zeltner glaubt letztlich an die Erziehbarkeit des Menschen, an seine Vernunft. Und er glaubt offenbar, als oberster Gesundheitsbeamter mit gutem Beispiel vorangehen zu müssen. Er joggt zweimal die Woche über Mittag eine Stunde, isst zum Frühstück frische Früchte mit Joghurt und steht jeden Morgen Schlag halb sieben auf.
«Ist er eine Maschine?»
Der Glaube an die Erziehbarkeit des Menschen, sagt der PR-Profi Klaus J. Stöhlker, sei Zeltners grosser Irrtum: «Er unterschätzt die anarchistischen Kräfte im Menschen. Der möchte auch mal rauchen oder einen doppelten Whisky trinken.»
Sogar die eigene Krebserkrankung vergangenen Sommer kommentiert Zeltner mit dem nüchternen Blick des Pathologen - als ob von der Krankheit eines Fremden die Rede wäre: «Ich kann das relativ cool nehmen, habe einen realistischen Approach auch zu eigenen Gesundheitsproblemen.» Jeder zehnte Mann in seinem Alter erkranke an Prostatakrebs. Eine Risikofrage eben. Ein Bekannter fragt sich schon fast besorgt: «Ist er eine Maschine?»
Kürzlich gönnte sich Zeltner eine Mütze zusätzlichen Schlafs. Oder besser: ein Mützchen. Weil er mit seiner Gattin am Vorabend Geburtstag gefeiert und bis in die Nacht hinein geplaudert hatte, liess er für einmal sieben gerade sein - und schlief aus. Es wirkt wie ein Geständnis, als er das sagt. Statt wie üblich um 6 Uhr 30 erhob er sich - zehn Minuten später. Wenn er schon kein Ayatollah ist, so ist er doch ein Preusse.