Henri Castella, 57, Direktor der Baumaterialfirma Glasson Matériaux in Bulle FR, ahnt nichts Böses, als der türkische Zöllner am Flughafen von Antalya mit dem Finger auf den Stein zeigt, den er in seinem Koffer mitführt. «Stone?», fragt der Zollbeamte. «Yes, stone», antwortet Castella. Darauf der Zollbeamte: «Follow me.»

Castella ist viel gereist. Von jeder seiner Reisen pflegt er als Andenken einen Stein mit nach Hause zu bringen. Den Stein, den er diesen Februar im Gepäck mitführt, hat er in einem Pinienwald nahe dem Touristenort Belek gefunden, eine Art Granit, ungefähr faustgross, ohne Wert. Doch die Polizisten am Flughafen sehen das anders. Sie bringen Castella ins archäologische Museum, wo das Alter des Steins bestimmt wird. Zurück am Flughafen, streckt ihm seine Frau einen Pullover und das Necessaire entgegen: «Henri, sie sagen, ich müsse ins Flugzeug steigen. Du bist verhaftet.»

Verhöre – und dann ab in die Zelle
«Ich dachte erst, meine Frau mache einen Witz», sagt Castella. Aber die Polizeibeamten meinen es ernst. Seine Frau muss allein in die Schweiz zurückfliegen, Familienvater Castella bleibt in Polizeigewahrsam zurück. Er muss unzählige Fragen beantworten. Die Papiere, die er unterschreibt, versteht er nicht – sie sind in türkischer Sprache verfasst. Schliesslich wird ihm erlaubt, mit der Schweizer Botschaft in Ankara zu telefonieren. Der Schweizer Konsul, Hans Bachmann, vermittelt ihm einen Anwalt. 2500 Euro soll das Honorar betragen – der Anwalt wird später 7500 Euro verlangen.

Die Nacht verbringt Castella eingesperrt im Untergeschoss des Polizeigebäudes. «Wenn man sich als harmloser Tourist plötzlich in der ungeheizten, nur mit einer schmuddeligen Matratze ausgestatteten Zelle einer türkischen Polizeiwache wiederfindet, gehen die Gedanken mit einem durch. Ich habe kein Auge zugetan», sagt Castella.

Die Verhöre gehen auch am nächsten Vormittag weiter. Die Polizisten haben inzwischen Castellas Fingerabdrücke genommen und Filmaufnahmen von ihm gemacht. Am Nachmittag findet die Gerichtsverhandlung statt. Die Anklage lautet auf Verstoss gegen das türkische Gesetz Nr. 2863 zum Kulturschutz. Dieses verbietet jegliche Ausfuhr von Objekten, deren Alter 100 Jahre übersteigt. Nach der kurzen Verhandlung verkündet der Richter die Strafe: «Ich wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Gegen die Zahlung einer Kaution von mehreren tausend Franken allerdings könne ich das Land verlassen», sagt Castella. Er darf kurz mit Konsul Bachmann sprechen, dann wird er ins Gefängnis von Antalya gebracht: Das Geld für die Kaution und das Anwaltshonorar muss erst über Western Union von der Schweiz in die Türkei transferiert werden.

Die Deutschen haben Verständnis
Castella wird in die Zelle «D 17» gesperrt, jene für die Ausländer. «In der fensterlosen Zelle war es extrem kalt, eine Heizung gab es nicht», sagt Castella. Auch in der zweiten Nacht in Haft ist an Schlaf nicht zu denken. «Alle fünf Minuten ertönt ein extrem schriller und lauter Pfiff. Ich weiss nicht, warum sie das tun.» In «D 17» sitzen drei Mitgefangene, ein Bosnier, ein Russe, ein Aserbaidschaner. Gewalt wird Castella im Gefängnis nicht angetan. Was alles er dort erlebt und gesehen hat, darüber mag er im Detail trotzdem nicht sprechen. Er hat es noch nicht einmal seiner Frau genau erzählt – der Schock sitzt noch zu tief.

Gegen 17 Uhr des nächsten Tages wird Castella aus dem Gefängnis entlassen. Polizisten bringen ihn zum Flughafen. Ziel der Maschine ist Düsseldorf. Warum, sagt ihm niemand. Als die Maschine in Düsseldorf landet, nehmen ihn deutsche Beamte in Empfang – und sind voller Verständnis: Castella ist zwar der erste Schweizer Tourist, der Opfer des türkischen Kulturschutzgesetzes wird. Im vergangenen Sommer aber ging es vielen deutschen Touristen ähnlich. Einige schmachteten bis zu 60 Tage im Gefängnis von Antalya.

Der türkische Botschafter in der Schweiz ist für den Beobachter nicht zu sprechen. Über seine Pressesprecherin Sibel Gal lässt er schriftlich mitteilen, man habe im Gepäck von Herrn Henri Castella ein «architektonisches Marmorstück» entdeckt, das man «nicht ins Ausland mitnehmen» dürfe. Fragen zum Ablauf der Verhandlung, zur drakonischen Strafe und zu den prekären Haftbedingungen bleiben unbeantwortet.

Auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hält sich vornehm zurück: «Wir möchten die Angelegenheit nicht weiter kommentieren. Türkeireisenden empfehlen wir, keine Steine oder antiken Münzen mitzunehmen, auch wenn diese öffentlich zum Verkauf angeboten werden», sagt EDA-Mediensprecherin Daniela Stoffel.

Dann sitzt halt der Vater
Weil nicht alle so viel Diplomatie mit dem EU-Beitrittskandidaten Türkei walten lassen, scheint Bewegung in die Mühlen der Justiz zu kommen: Das Gesetz Nr. 2863 befindet sich laut Konsul Bachmann in Revision. Auslöser sei vor allem der Fall von Linus G. gewesen. Auch in seinem Gepäck fanden die Zöllner einen Stein. Eingesperrt für 31 Tage wurde allerdings sein Vater. Steineschmuggler Linus war zu diesem Zeitpunkt nämlich erst neun Jahre alt.