«Es isch doch so eifach. So eifach!» Hans Ulrich Balmer, 67 Jahre alt, in Farmerhemd und Jeans, klopft auf den Tisch. Mit grossem Ernst überreicht er mir sein Buch «Das bereinigte Weltbild. Die heutige Situation»: zwölf Seiten, eng bedruckt. «Hier steht alles drin.»

Leichter Schnee liegt auf den Wiesen des Stübis. Hier, oberhalb von Schöftland, lebt und schreibt der Autor, das aargauische Suhrental, den Titlis und den Pilatus vor sich. Südlich vom Stübis liegt eine Weide namens «Aexerzierplatz»; nördlich davon liegt der Acker namens «Im Chrieg». Balmer, von schmächtigem Körperbau, ist scheu. Und er ist entschlossen.

Auf dem alten Hof, den Balmer mit drei Hunden bewohnt, gibt es keinen Boiler. Die Glühbirne über dem Küchentisch ist nackt. Gäste hat Balmer eher selten; für sich kocht er Kartoffeln, Gemüse, manchmal etwas Fleisch.

Ein Neues Zeitalter eröffnen
Im Vorwort zu seinem Hauptwerk, das «Die neue Weltordnung» heisst, lesen wir: «Dieses Buch wird ein völlig neues Zeitalter eröffnen. Alle Menschen werden sich unter eine einzige, universelle Ordnung stellen. Sie wird das gesamte bestehende nationale und internationale Recht und alle Staatsverträge ersetzen.» Balmer sieht seine Arbeit als «Endprodukt der bisherigen Menschheitsgeschichte». Das einzige Problem: Das Buch will niemand lesen.

Hier ist sein Lebenslauf: «Balmer vom Stübis. Ich wurde am 23. Februar 1935 in Wilderswil geboren. Meine Eltern stammten aus Bergbauernfamilien. Während meiner Schulzeit nannten mich die Kameraden ‹Moses›. Mein Vater schalt mich, ein Träumer zu sein.» Was ihn am stärksten verändert hat? «Nichts. Gar nichts. Ich bin immer derselbe geblieben.»

Balmer hat nie davon geträumt, Bauer zu werden. Doch Vater hiess ihn den Hof übernehmen; nach dessen frühem Tod bewirtschaftete er den Stübis mit seiner Mutter. Allein, das wusste er, würde er es nie schaffen. «D Mueter traut sich nie vom Stübis ewäg», dachte er sich. Aber dann traute sie sich halt doch. Sie heiratete ein zweites Mal.

«Der Bundesvertrag ist ein Ordnungs- und Organisationsvertrag für die ganze Menschheit. Bevorzugt wird niemand. Alle Menschen werden Bürger und Bürgerinnen ein und desselben Staates.» Das Projekt, schreibt Balmer, «ist ausgereift und bis ins letzte Detail durchdacht».

Im Büchergestell seines Arbeitszimmers, das auch Stube ist, befinden sich Ringiers Jahrbücher von 1980 bis 2001, der Duden, ein Weinbuch, die Schweizerische Bundesverfassung, «Der hinkende Bot» des Jahres 2003.

«Ich wusste: Ich werde nie etwas machen können aus diesem Hof», sagt er. «Das Geld fehlte.» 1966, nach dem Wegzug der Mutter, rechnete er aus: Die Verkaufserträge von Vieh und Wald würden seine Weiterbildungskosten decken; ein paar Monate ohne Einkommen lägen wohl auch noch drin. Doch dann, an einem dunklen Wintertag, blieb er wie versteinert in seiner Scheune stehen: «Ich hatte etwas vergessen. Die Grundstückgewinnsteuer! Mir wurde mit einem Schlag klar: Fast die Hälfte meines Gewinns gehört dem Staat!» Die rettende Idee kam sogleich. «Jetz muesch halt aafaa dichte», schoss es ihm durch den Kopf.

Im Herbst 1967 verkaufte Hans Ulrich Balmer seine 20 Mastrinder, das Zugpferd, den Traktor, den Ladewagen. Er war 32 Jahre alt.

«Mit miim Buech sind all Problem uf ein Chlapf glööst! Das ist sicherer als der Sonnenaufgang.» Die Vision sei ausführungsreif, sagt er. Sie lasse sich mit nichts vergleichen.

Artikel 1 des neuen Weltrechts lautet: «Die Menschen und alle Völker der Erde bekunden hiermit ihre Bereitschaft und ihren Willen, ein unauflösbares und immer währendes Bündnis einzugehen und fortan in gesetzlich geordneter Gemeinschaft miteinander zu leben und das menschliche Bedürfnis nach Frieden, Sicherheit und Geborgenheit allein und ausschliesslich mit den Mitteln von Recht und Ordnung zu befriedigen.»

Das Schreiben fiel Balmer nicht leicht. Nach seiner neuen Arbeit in der Sägerei, dann im Kunststoffspritzwerk sass er oft stundenlang am Stubentisch – und brachte keinen Satz zustande. «Ich spürte, warum sich die Menschen nicht verstehen. Dass sie in gigantischen Irrtümern leben. Ich wusste, was ich sagen musste. Die Frage war bloss: Wie erkläre ich das?» Unentwegt kritzelte er abends Papiere voll. Las das Geschriebene wieder. Warf es in den Papierkorb. Was blieb, war nur eines. Die Überzeugung.

Rudolf Bolliger, Landwirt, war 13 Jahre Gemeindeammann von Schöftland. Er kennt «den Hansueli» seit seiner Jugend. «Balmer ist ein grundehrlicher Mensch. Es wäre toll, wenn es mehr davon gäbe», sagt er. Zu Weihnachten schenkte er ihm eine Tageskarte der SBB. «Nimm den ersten Zug nach Genf», sagte er zu Balmer, «steig dort ins Schiff, fahr nach Montreux, nimm dort den Zug ins Oberland. Gönn dir einen schönen Tag, Hansueli.» Balmer fuhr nicht nach Genf und stieg nicht ins Schiff. Er blieb auf dem Stübis.

«Viertes Bundesgesetz. Das Gesetz bezeichnet und regelt: Zeitbestimmung, Zeitrechnung, Masse, Gewichte sowie Mittel und Methoden zur Ortsbestimmung. Für die Wahl der Weltsprache im Weltstaat sollte nicht deren momentane Verbreitung das Kriterium sein. Vielmehr sollten Aussprache, Grammatik, Erlernbarkeit entscheiden.»

Das ganze Vermögen eingesetzt
Die Schreibmaschine bereitete Balmer zuerst «etwas Mühe». Das Blindschreiben, das ein Kurs nahe legte, schaffte er «nie». Stillschweigend ist er zum bewährten «System Adler» zurückgekehrt. Die Hermes 3000 musste einem Pentium III, Marke Point, weichen. Auf Balmers Homepage www.balmer-vom-stuebis.ch, wo auch sein Werk bestellt werden kann, findet sich «Die Friedensordnung für die Menschheit: Der Entwurf».

Wir lesen: «Die Bundesarmee sollte aus zehn Heereseinheiten bestehen, verteilt auf die einzelnen Bundesverwaltungskreise. Jede Einheit könnte jenem Bundesdirektor unterstellt werden, in dessen Verwaltungskreis sie stationiert ist. Zu ihren Aufgaben gehören: der Warndienst, die Luftraumüberwachung, die Katastrophenhilfe, die Überwachung des Weltraumes.»

Vor einigen Wochen sackte die Jauchegrube von Balmers Hof zusammen. Durch die Dachrinnen frisst sich Rost. Ein Teil des Dachs stürzte kürzlich ein. Doch Balmers Einkünfte fliessen ausnahmslos in die Finanzierung «der Idee». Für Büromaterial, Inserate, Druck- und Versandkosten hat er bis heute «rund eine Viertelmillion Franken» ausgegeben. Auf Druck des Gläubigers musste er auch noch den elterlichen Wald verkaufen.

«Der Landanzeiger» der Druckerei Suter AG kommt gratis ins Haus. Balmer lebt ohne Fernseher, ohne Tageszeitung. Bücher kauft er sich nicht; manchmal greift er sich ein altes heraus, etwa «Don Camillo und die Rothaarige» oder «Es muss nicht immer Kaviar sein». Das Standardwerk des verstorbenen ETH-Professors Daniel Frei, «Kriegsverhütung und Friedenssicherung», kannte er einst «fast auswendig». Er hat es seit Jahren nicht mehr angerührt.

«Ja, es gab sie, die grosse Liebe», sagt Hans Ulrich Balmer. Sein erstes Geschenk zu Weihnachten habe sie ihm aber nach Neujahr zurückgeschickt. Als Bauer sei er halt ohne Chance gewesen. Und als Autor erst recht. Er hebt kurz die Arme: «Wie hätte ich einer Frau meine Ideen erklären sollen?» Elisabeth, Hansuelis jüngste Schwester, die einige Kilometer nördlich wohnt, besorgt ihm ab und zu die Wäsche. Nein, einsam fühle er sich nicht.

«Es ist unbedingt notwendig, Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems zu kennen, um sich verständigen zu können», lesen wir in der «Neuen Weltordnung». Weiter: «Wahn- oder Fantasievorstellungen sind wertlos.» Dass er selbst ab und zu für einen Wahnsinnigen gehalten wird, stört ihn nicht. «Schon manch ein Spinner hat später ein Denkmal erhalten.»

«Wisset, die Menschheit hat nicht die geringste Überlebenschance ohne mich und mein Werk», schrieb Balmer den «geschätzten Herren Bundesräten»: Die heutige Welt sei eine Welt des Zerfalls. Sein Rat: «Ihr beschäftigt euch fortan nur noch mit euren regulären Amtsgeschäften. Die dadurch gewonnene Zeit gilt dem Studium meines Buches.»

Der Bundesrat erteilte eine respektvolle Absage.

Im Schaufenster der Buchhandlung Rimoldi, Schöftland, liegen Friedrich Waltis «Wahre Schmunzelgeschichten» und der Mondkalender des Jahres 2003. Am anderen Ende des Dorfes, im zweiten Untergeschoss der Firma Rudolf Stäuble Draht- und Metallverarbeitung, ruhen drei geschnürte Paletten: nahezu 2000 Stück der «Neuen Weltordnung» – die gesamte Auflage, fast.

Hans Ulrich Balmer verbringt viel Zeit im Wald. Über achtzig Ster Brennholz hat er hinter seinem Hof geschichtet – «das reicht weit über seinen Tod hinaus», schätzt ein Freund. Bei ihm verrichtet Balmer Hofarbeiten, frühmorgens meist. Balmer arbeitet im Stundenlohn. Neuerdings ist der Job an eine Bedingung geknüpft. Beim anschliessenden Frühstück wird nicht über «das Buch» gesprochen.