17_99_augenzeuge.jpgAn den Flohmärkten kennen mich die meisten Verkäufer. Sie rufen mir jeweils zu: «Luäg da, mir händ no Röck!» Heute kann ich damit umgehen. Früher war es schwieriger, da traute ich mich lange nicht, so zu leben. Dabei hatte ich schon als kleines Kind den Wunsch, einen Jupe zu tragen. Die Frage ging mir nicht aus dem Kopf: Warum dürfen Frauen Röcke tragen und Männer nicht?

Wann ich das erste Mal in einen Rock schlüpfte, weiss ich nicht mehr genau. In der Öffentlichkeit jedenfalls zeigte ich mich erstmals so vor eineinhalb Jahren. Vorher habe ich einfach zu Hause Röcke getragen, im Geheimen. Ein Jupe ist einfach viel bequemer! Im Sommer sind mir Hosen ohnehin zu warm. Ich habe auch mal gelesen, dass zu enge Hosen nach Angaben von Medizinern zu Schädigungen der Hoden führen können.

Mit Röcken kann man auch mehr abwechseln als mit Hosen: Es gibt sie knielang, wadenlang, bodenlang. Man kann in der Weite variieren, im Muster. Jupes zu kaufen ist für mich viel einfacher Hosen sind mir immer viel zu lang. Zudem kommt ein Jupe, in der Frauenabteilung gekauft, um einiges billiger als Hosen.

Designer kreieren Männerröcke

Mittlerweile finden sich auch in der Männerkonfektion Röcke. Bei H&M etwa gab es bis vor kurzem noch solche. Und verschiedene Schweizer Designer kreieren Männerröcke. Ein massgeschneidertes Stück kostet zwischen 300 und 600 Franken. Ich habe auch zwei solche Exemplare zu Hause. Einmal bestellte ich einen «Adventure Travelling Skirt» in den USA übers Internet, ein ganz geniales Teil. Mit ein paar Handgriffen lässt es sich in eine Art Hose verwandeln. Sehr angenehm zu tragen.

Negative Erlebnisse gibt es nur ganz wenige. Wenn, dann sind es meistens Gruppen von Männern, fast immer jüngere, die sich nicht mit meinem Rock abfinden können oder neidisch sind. Einmal rief mir einer «schwule Sau» nach. Ich bin aber nicht homosexuell.

Meine Reaktionen auf den Spott sind unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um eine Gruppe oder um eine einzelne Person handelt. Bei Gruppen setze ich Scheuklappen auf und gehe weiter. Da weiss ich genau, es hat keinen Sinn. Einzelne hingegen spreche ich an und frage sie nach den Gründen.

Bei vielen sind Vorurteile und Klischees im Spiel. Fragt man nach, kommt meist nichts mehr, dann ist tote Hose. Ich kann ihnen dann erklären, warum ich einen Rock trage. Ich bin der Meinung, dass heute im Zeitalter der Gleichberechtigung Männer und Frauen dasselbe tragen dürfen. Im Prinzip war der Rock früher ja ein Männerkleidungsstück. Bei den Schotten beispielsweise oder den Arabern.

Lange glaubte ich, ich sei der Einzige, der Röcke trägt. Seit ich aber einen Internetanschluss habe, merke ich, dass es ja noch viele andere gibt. In vielen Foren im Internet wird über Röcke diskutiert. Ich verbringe sicher mehr als eine Stunde pro Tag im Netz. Uber die gängigen Suchmaschinen findet man Hunderte von Internetseiten über Männer in Röcken.

Das hat mir den Mut gegeben, schliesslich selber mit einem Jupe auf die Strasse zu gehen. Es war gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Seitdem trage ich in der Freizeit nur noch Röcke. Im Winter ziehe ich allerdings auch Hosen an.

Viele Männer haben aber noch Angst davor, es mir gleichzutun, darum habe ich einen Klub oder eine Art Selbsthilfegruppe gegründet, wo man zusammenkommen und gemeinsam Röcke tragen kann. Vorgesehen wäre alle Monate ein Treffen. Bis jetzt ist der Zulauf allerdings noch nicht so gross.

Frauen reagieren offener

Ich glaube, dass sich Männer in Röcken durchsetzen könnten. Es braucht einfach seine Zeit. Bei den Frauen dauerte es ja auch 60 Jahre, bis die Hose voll etabliert war. Bei der Oberbekleidung können Männer heute schon fast alles tragen, aber unter der Gürtellinie ists stinklangweilig, uniform. Fast so, als ob sich da in den letzten 100 Jahren nichts verändert hätte.

Vielen Leuten merke ich es an, ob sie Röcken gegenüber positiv oder negativ eingestellt sind. Insbesondere Frauen reagieren oft begeistert: toll, chic, mal etwas anderes! Ich habe keine Angst, dass meine Vorliebe für Jupes die Frauen abstossen könnte. Trotzdem bin ich immer noch auf der Suche nach einer Freundin. Aber ich fand bisher noch keine, die in jeder Beziehung zu mir passt. Und wenn es dann einmal charakterlich stimmen würde, dann raucht sie bestimmt, oder sie ist schon verheiratet.

Die Frauen schauen den Männern übrigens auch auf die Beine. Sie sind in dieser Hinsicht nicht besser als wir Männer. Eine sagte mir sogar einmal, sie würde jetzt am liebsten unter meinen Rock gucken. Lustig war auch ein ähnlicher Vorfall in Hannover. Dort fand unser erstes internationales Treffen statt. Als wir eine Rolltreppe hinauffuhren, stand hinter einem Mann mit Kilt eine Frau, die sich bückte und darunter schielte. Wir konnten uns kaum mehr halten vor Lachen. Mir ist das allerdings noch nie passiert. Minis trage ich aus Prinzip nicht. Meine Röcke sind meist knielang oder länger.

Klar fällt es auf, wenn man ein bisschen anders als die anderen daherkommt. Aber in Zürich kann ich mit meinem Rock hingehen, wo ich will, da dreht keiner den Kopf. Auf dem Land schauen sie noch eher.

Am besten ist es, wenn sich die Leute langsam mit meinen Röcken auseinandersetzen können. Sie müssen wissen, warum ich das mache. Zur Arbeit ziehe ich immer noch Hosen an. Bei meiner letzten Stelle wagte ich es einige Male, einen Jupe anzuziehen. Die Reaktionen hielten sich im Rahmen. Zwei oder drei sagten «Spinner», ich merkte aber, dass sie es nicht ernst meinten. Sie fanden es lustig. Als ich später wieder mit Hosen kam, fragten sie mich: «Du, wo häsch dä Rock?»

Bierbäuche sind nichts für Röcke

Die Ästhetik ist Männern in Röcken wichtig. Es gibt Männer, zu denen passt ein Jupe wirklich überhaupt nicht. Anderen wiederum stehen Hosen nicht. Es kommt immer auf die Person selber an. Bierbäuche sind eben nicht gerade geeignet für Röcke. Hier wäre ein Gewand, zum Beispiel ein Arabergewand wie das Galabija, vorteilhafter. Aber wenn einer unbedingt einen Jupe tragen will, warum nicht. Denn jeder soll das tragen, was er will.

Quelle: Paolo Friz