Das nötige Röstzeug
Renato Ferrari brutzelt die Nüssli noch über dem Kohlenfeuer, Sergio Giovanelli jagt sie täglich tonnenweise durch den Durchlauferhitzer: zwei Erdnussröster - zwei Welten.
Veröffentlicht am 15. November 2006 - 11:42 Uhr
Minutenlang bewegt er sich nicht. Renato Ferrari steht nur da und starrt konzentriert auf das Thermometer, das die Temperatur in der Rösttrommel anzeigt. Die erloschene Pfeife hängt schief im linken Mundwinkel. Der 77-jährige Röstmeister trägt Hemd und Krawatte, darüber einen roten Wollpullover. Wollpullover? Es ist heiss im Raum, obwohl die Fenster offen stehen. In Wellen kommt die Hitze aus dem gusseisernen Ofen, in dem sich die Trommel knarrend über dem Feuer dreht. «Der Pullover ist meine Arbeitsuniform. Davon habe ich noch einen ganzen Stapel zu Hause im Schrank liegen. Jeder hat eben sein Mödeli», sagt er.
Ferrari schüttelt unzufrieden den Kopf. Mit der Schaufel schippt er Kohle nach. Endlich hebt er die Hand: «140 Grad, jetzt könnt ihr sie reinlassen!» Es hört sich an, als spreche er den Satz zum tausendsten Mal, der Wiederholung allmählich überdrüssig. 35 Kilo Erdnüsse rutschen durch den Trichter in die Trommel. Wie Regen, der auf ein Blechdach prasselt.
Erst die Hitze nimmt der Nuss die Feuchtigkeit, macht sie knackig. Roh würde sie nach Erbsen schmecken und leicht bitter. Und sie wäre weich wie al dente gekochte Spaghetti.
«Jetzt kann ich nur warten», sagt Ferrari. Er dreht die Sanduhr, die an der Wand hängt. Es ist dieselbe Bewegung wie seit 36 Jahren. Damals übernahm er die Rösterei Caffè Ferrari in Dietikon ZH von seinem Vater. Die Angst, die Nüssli könnten verbrennen, habe ihn ganz kribbelig gemacht. Deshalb die Uhr. Wenn der Sand nach einer Viertelstunde durch sei, müsse er Acht geben und erste Proben nehmen. «Hast ist nicht gut. Die Nüsse bestimmen die Zeit, und ich muss mich daran halten.»
Im November produziert er 400 Kilo Nüsse pro Tag, die er grossteils im Lädeli direkt neben der Rösterei verkauft. Zweimal in der Woche feuert Ferrari den Ofen an, immer um sieben Uhr früh. Vor dem Abendessen, ab fünf, lässt er das Feuer langsam ausbrennen.
Der alte Röster hat zwei Mitarbeiter. Wenn es viel zu tun gibt wie jetzt, helfen vier Frauen aus dem Dorf aus. Nüsse macht er nur im Winter, bis Januar. «Dann haben die Leute langsam genug davon, und ich röste auf der Maschine wieder nur Kaffee.» Seine Hände ruhen auf dem Rand des Kühlsiebs, in dem die frisch gerösteten Erdnüsse kurz zwischenlagern werden. Handwerkerhände, knorrig und breit, die Adern wie Schnüre unter der Haut.
Vor dem Chlaustag ist Hochbetrieb
Sergio Giovanelli ist wortkarg. Aber wenn er spricht, sind seine Sätze wie Hammerschläge, die einen Nagel in die Wand treiben. «Im November rösten wir rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, 30 Tonnen Erdnüsse innert 24 Stunden. Abgepackt wird in zwei Schichten, 7 und 19 Uhr. Laufend kommen und gehen Camions. Wir beliefern Grossverteiler in der ganzen Schweiz: Carrefour, Migros, Denner, Manor, Spar und so weiter. Der Kunde bestellt abends um sechs. Morgens um vier hat er es in seiner Zentrale.» Der 36-Jährige ist Geschäftsführer der Erdnussrösterei Gerelli AG, 2003 in Frauenfeld TG gegründet.
Er empfängt im Sitzungszimmer. Fleckiger Spannteppich, Topfpflanzen. Der Konferenztisch ist leer, bis auf eine Rechenmaschine. In der Röstanlage verstehe man das eigene Wort nicht, meint Giovanelli. Der Rundgang folge später. «Es ist schon eindrücklich, mittendrin zu stehen, wenn es tobt und lärmt.» Er lächelt fast unmerklich und streicht sich über den sorgfältig ausrasierten Kinnbart. Die Erdnüsse kommen aus Ägypten, mit dem Schiff nach Rotterdam, dann über den Rhein nach Basel. «Die Rohware beziehen wir in Containern. 900 Tonnen im Jahr», sagt der Unternehmer. Laut Zollstatistik von 2005 ist das fast ein Drittel der «zur menschlichen Ernährung» importierten Rohnüsse. Neben Gerelli rösten in der Schweiz nur noch Migros, Coop und Real-Kaffee in Uznach SG im grossen Stil Erdnüsse.
Giovanelli wartet misstrauisch die nächste Frage ab. Er kommt nicht ins Erzählen. Er liefert Zahlen. «700 Tonnen verarbeiten wir allein von Anfang November bis zum Chlaustag. Mit einer Rösttrommel wäre das nicht möglich. Wir arbeiten mit Durchlaufröstern. 175 bis 190 Grad. Die können wir permanent beschicken, ohne lästige Pausen.» Sei die Hochsaison vorbei, könne er die «überschüssigen Personalressourcen», zehn bis elf Mitarbeiter, in der familieneigenen Fruchtimportfirma einsetzen, die direkt an die Rösterei grenzt. So lohne sich das Erdnussbusiness für ihn.
«Die sind mir noch zu blond»
Renato Ferrari klopft seine Pfeife über dem Kohlenhaufen aus. Der obere Kolben der Sanduhr ist fast leer. Mit dem Probezieher holt Ferrari einige Erdnüsse aus der Rösttrommel und zerbröselt die Schale zwischen den Fingern. Einen Augenblick lang wirkt er wie ein Bauer, der einen Klumpen seiner Erde prüft. «Die sind mir noch zu blond», meint er und schmeisst die Nüsse durch die offene Ofenklappe ins Feuer.
Sergio Giovanelli hat sich eine Fleecejacke übergezogen. Mit schnellen Schritten durchquert er die Lagerhalle. Es ist kühl. Wie riesige Trennwände unterteilen die mit Erdnüssen voll gepackten Paletten den Raum. «Unsere Anlage ist eine der modernsten in Europa. Eine Maschine ist ganz neu, aus Deutschland importiert. Die andere, ältere, haben wir total revidieren lassen. Gesamtinvestitionswert: zwei Millionen Franken.» Der Röstprozess sei standardisiert, alle Abläufe seien fixiert. Er wirft einen kurzen Blick über die Schulter, ob die Journalistin auch Schritt halten kann. Dann lacht er unvermittelt und laut: «Jeder könnte auf dieser Maschine rösten, sogar Sie.»
Vor der weissen Tür mit der Aufschrift «Maschinenraum» bleibt Giovanelli stehen. Hinter der Tür befindet sich die Röstanlage. Er hält kurz inne, holt Luft. Dann bittet er hinein. Man hat das Gefühl, Anlauf nehmen zu müssen, um den Lärm der Motoren und Gebläse zu durchbrechen. Steil aufsteigende Förderbänder. Eine dröhnende Höhle. Ein Bergwerk. Nur dass hier alles grell erleuchtet ist und die Luft angenehm warm.
«Die Maschine ist ein Teil von mir»
In Dietikon schiebt Renato Ferrari die Auslaufklappe hoch. «Langsam bekommen sie Farbe. Wenn sie gelb sind, sind sie gut.» Die Erdnüsse strömen in das Kühlsieb und verbreiten ein seltsames Duftgemisch von Holz und frischem Eiweiss. Mit den Händen pflügt er durch die hellbraune Masse.
Noch nie habe ihn die Maschine mit Baujahr 1895 im Stich gelassen. Ferrari weiss nicht, wie er es sagen soll. Er führt die Hände an die Brust, lässt sie wieder fallen. Die Finger zupfen am Bund des Pullovers. «Sie ist ein Teil von mir. Wenn es ihr nicht gut geht, hör ich das.» Er lächelt, halb schüchtern, halb schelmisch - weil er weiss, dass ihm die Rolle des schrullig-sympathischen Patrons gut steht. Hier sei einer, der nicht buckelt vor ökonomischen Massstäben, soll man das Gefühl haben. Einer, der seine Sache noch mit Herz und Seele macht. Der kommerziellen Röstung mit Durchlauferhitzer fehle die Leidenschaft: schnell, eintönig, reibungslos. Ferrari sagt es ohne Anklage in der Stimme, eher in einem nachsichtigen Ton.
Sergio Giovanelli klopft sich gelben Erdnussstaub von den Jeans. Die Führung durch den Röstraum ist beendet. Was als Erinnerung bleibt, sind Fragmente: die komplizierten Schalttafeln im Steuerschrank; die verschlungenen Röhren des Heissluftkreislaufs; die Stahlträger und die riesigen Silos, aus denen ohne Unterbruch Erdnüsse in die Röstanlage fliessen; der gelbe Staub überall - und vor allem die Menschenleere.
«Es braucht moderne Röster wie uns. Wer sonst soll die hohe Nachfrage stillen?», sagt er. Ein fester Händedruck zum Abschied. Erst beim Verlassen des Gebäudes fällt mir die Tafel auf, die mich persönlich begrüsst: «Herzlich willkommen Yvonne Staat.»
In seinem Dreimannbetrieb steht Renato Ferrari an der Tür und hebt die Hand: «Kommen Sie wieder!» Dann fällt ihm noch eine Geschichte ein - «die letzte, garantiert». Er erzählt, wie er früher mit seiner Frau oft auf Reisen ging. Nach Brasilien, nach Indien. Das Schönste sei jedoch immer gewesen, am Morgen nach der Heimkehr in den Röstraum zu kommen und den Ton der Maschine wieder zu hören. «Ich muss das Geräusch in meinen Ohren haben, bis an mein Lebensende.»