Fünf Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von rund 37,5 Milliarden Franken wurden 2001 in der Schweiz verkauft. Nicht bekannt sind Menge und Wert der Produkte, die bis zum Ablauf der Verkaufsfrist in den Regalen der Läden liegen blieben. Alle angefragten Detailhändler betonen, dass die Retouren in den letzten Jahren vor allem dank der elektronischen Warenbewirtschaftung massiv zurückgegangen sind. Wegen kürzerer Lieferfristen und stärkerer Berücksichtigung lokaler Produzenten sind die Lagerbestände kleiner geworden – und damit auch das Risiko, das Verfallsdatum zu überschreiten.

Stattliche Abschreibungen
Zahlen will aber keiner nennen. «Die Tonnage können wir nicht beziffern», heisst es bei Branchenführer Migros. Ähnlich vage tönt es bei Manor. Und für Denner ist das Ganze ein vernachlässigbares Problem, seit man einen Grossteil der Frischprodukte aus dem Sortiment genommen hat.

Am konkretesten gibt der Branchenzweite Coop Auskunft: «Bei den Backwaren und bei den Früchten und Gemüsen beträgt die Abschreibungsquote rund fünf Prozent», sagt Pressesprecher Karl Weisskopf. «Bei Fleisch und Fisch sind es zirka drei Prozent.» Die Zahlen von Coop dürften in etwa auch für die Konkurrenz gelten.

In Franken nehmen sich die Retouren freilich um einiges stattlicher aus: Coop erzielt sechs Prozent des Food-Umsatzes von 7,7 Milliarden Franken mit Backwaren. Der Verlust durch Überschreiten der Verkaufsfrist beläuft sich somit allein bei den Backwaren auf rund 23 Millionen Franken pro Jahr. Beim Fleisch sind es sogar 39 Millionen Franken jährlich.

Gemäss einer Marktstudie, die die Beratungsfirma McKinsey im Auftrag der Stiftung «Hoffnung für Menschen in Not» durchgeführt hat, beträgt der Verlust im Handel 14 bis 36 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Damit steht die Schweizer Branche nicht schlecht da. Zum Vergleich: In Grossbritannien verfallen 50 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf und Jahr.

Der in der gesamten Schweiz durch abgelaufene Lebensmittel entstandene Verlust dürfte bei schätzungsweise über einer Milliarde Franken liegen. Die Warenverluste liessen sich leicht reduzieren: durch längere Verkaufsfristen. Doch das möchte niemand. «Wir wollen frische Produkte ohne Konservierungsmittel anbieten», sagt Migros-Sprecherin Susan Hoby. Gleichzeitig wolle man dem Anspruch der Kunden genügen, im Laden stets das vorzufinden, was man gerade wünscht. «Die Kunst liegt darin, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage zu optimieren.» Restlos vermeiden liessen sich gewisse Überschüsse allerdings nie.

Um die Retouren möglichst klein zu halten, wird bei Migros, Manor und Coop die Ware kurz vor Ablauf der Verkaufsfrist verbilligt. Das meiste wird dann zum halben Preis abgegeben. Fleisch gibt es bei der Migros, sofern es nicht in den M-Restaurants verkocht wird, ab diesem Zeitpunkt um ein Drittel günstiger. «Die Produkte haben noch eine Konsumationsfrist und damit auch eine Qualitätsgarantie», erklärt Migros-Sprecherin Hoby. Diese Praxis sei bei vielen Kundinnen und Kunden mit schmalem Budget sehr beliebt.

Produkte, deren Verkaufsfrist abgelaufen ist, werden der Migros-Kundschaft nicht mehr angeboten. Diese Lebensmittel kann das Personal zu sehr günstigen Konditionen kaufen. Was immer noch liegen bleibt, wird zu einem symbolischen Preis an die Mitarbeiter abgegeben oder entsorgt. «Verschenkt», so Sprecherin Hoby, «wird generell nichts an Einzelpersonen.»

Vergärte Ware als Treibstoff
Über die Art der Entsorgung entscheiden die zehn Migros-Genossenschaften autonom. Einen Grossteil der Ware erhalten Bauern als Tierfutter, der Rest wird vernichtet. Die Migros Zürich testet derzeit eine Alternative zur Verbrennung: Sie vergärt organische Retouren aus den Filialen zusammen mit Speiseresten aus M-Restaurants und Grünabfällen in einer Biogas-anlage. Mit dem Gas werden Laster betankt, was nicht nur Diesel spart, sondern der Migros auch noch einen Umweltpreis eingebracht hat.

Coop gibt die Nahrungsmittel nach Ablauf der Konsumationsfrist an zertifizierte Schweinemästereien ab; das abgelaufene Fleisch landet in der Verbrennung. Coop lehnt eine Abgabe der übrig gebliebenen Ware an wohltätige Organisationen oder Bedürftige ab. «Die Einhaltung der hygienischen Vorschriften würde einen zu grossen logistischen Aufwand erfordern», erklärt Pressesprecher Weisskopf.

Bei Manor hingegen beliefern die Filialen lokale Organisationen wie Gassenküchen und Heime. Auch die Migros Aare gibt überschüssige Lebensmittel an Bedürftige ab. Die Migros-Genossenschaft ist eine von zwölf Firmen, die den Berner Pilotversuch des Projekts «Schweizer Tafeln» mit Lebensmitteln beliefern. Die Esswaren landen in einem Pool und werden an Gassenküchen, Notschlafstellen und Heime verteilt. Die gesamte Logistik, zu der auch gesponserte Kühlfahrzeuge gehören, wird von der Stiftung «Hoffnung für Menschen in Not» betrieben.

Weitere Gelegenheiten, sich wohltätig zu zeigen, bekommen die Detailhändler voraussichtlich schon bald. Denn die «Berner Tafel» soll nur der Anfang sein. «Wir wollen in jeder grösseren Stadt Tafeln einrichten», sagt Urs Grossenbacher, Geschäftsführer der Murtener Stiftung. Auch die Carisatt-Läden der Caritas  profitieren von überschüssigen Lebensmitteln. Also solchen, die zu viel produziert oder fehlerhaft beschriftet wurden. Abgelaufene Esswaren und Getränke dürfen die Carisatt-Läden aber nicht verkaufen.

Da sie der Lebensmittelverordnung unterstehen, müssen sie gleich strenge Bestimmungen erfüllen wie jeder Supermarkt. «Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum verstrichen ist, brauchen wir eine schriftliche Verkaufs-verlängerung des Lieferanten», erklärt die Caritas-Verantwortliche Maria Egli.