Miriam Koller und Sandra Fehr* sind seit acht Jahren ein Paar. Schon früh wollten sie zusammen ein Kind. «Wir haben beschlossen, dass wir es nacheinander versuchen, ich als Ältere zuerst», erzählt Koller, 41.
Für die Behandlung reisten sie nach England – in der Schweiz ist gleichgeschlechtlichen Paaren die künstliche Befruchtung verwehrt. Bis Sandra Fehr, heute 36, schliesslich schwanger wurde, dauerte es mehrere Jahre. Im April 2018 kam endlich das ersehnte Kind zur Welt. Fehr ist noch in der Babypause. « Für die Zeit danach haben wir aber beide das Pensum reduziert.» Die zwei Ärztinnen aus der Nordwestschweiz wollen Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit zu gleichen Teilen übernehmen.
«Die ganze Familie ist in einer sehr unsicheren Situation»
«Während der Schwangerschaft haben wir uns mit der rechtlichen Situation in der Schweiz auseinandergesetzt und mit Schrecken festgestellt, wie schlecht abgesichert unsere Familie im ersten Jahr nach der Geburt sein wird», sagt Miriam Koller.
In der Tat: In England wurden beide Mütter als Eltern ihrer Tochter Mia registriert. Hier in der Schweiz wurde jedoch nur die leibliche Mutter, also Sandra Fehr, im Zivilstandsregister eingetragen. Miriam Koller kann Mia erst ein Jahr nach der Geburt adoptieren, erst ab dann besteht eine rechtliche Beziehung zwischen ihr und dem Kind. Deshalb ist die Situation in dieser Zeit und während des Adoptionsverfahrens insbesondere für sie und Mia völlig unsicher – etwa im Falle einer Trennung oder beim Tod der leiblichen Mutter.
«Wieso braucht es bei gleichgeschlechtlichen Eltern ein langwieriges und kostspieliges Adoptionsverfahren?»
Maria von Känel, Geschäftsführerin des Dachverbands Regenbogenfamilien
Bei einer Trennung hätte Miriam Koller kein gesetzliches Recht auf Kontakt zu ihrer Tochter. Und sie könnte nicht einfach für das Kind sorgen, wenn Sandra Fehr sterben würde. Es bekäme einen Vormund . Man kann zwar eine Erklärung zuhanden der Kesb verfassen, wonach Koller als Vormundin eingesetzt werden soll, doch die Kesb ist nicht an diesen Wunsch gebunden.
Mehr zu Eintragung der Partnerschaft bei Guider, dem digitalen Berater des Beobachters
Eine eingetragene Partnerschaft sichert homosexuelle Paare gesetzlich ab. Dennoch gibt es im Vergleich zu heterosexuellen Ehepartnern ein paar Abweichungen. Mitglieder von Guider sehen, welche Rechte und Pflichten eingetragene Partner in Bezug auf Punkte wie Vermögen, Unterhalt, Altersvorsorge oder Wohnung haben.
Aber auch Mia ist schlecht abgesichert: Beim Tod von Miriam Koller hätte sie keinen gesetzlichen Erbanspruch und keinen Anspruch auf Waisenrenten. Wenn Koller invalid würde, bekäme Mia keine Kinderrenten von AHV und Pensionskasse. Und bei einer Trennung hätte sie keinen Kindesunterhalt von Koller zugute.
«Die ganze Familie ist in einer sehr unsicheren Situation. Und das gerade in einer so wichtigen und verletzlichen Phase wie kurz nach der Geburt und im ersten Lebensjahr eines gemeinsamen Kindes», sagt Fehr.
Diskriminierendes Adoptionsverfahren
Maria von Känel, Geschäftsführerin des Dachverbands Regenbogenfamilien, kennt das Problem. «Heterosexuelle Eltern können ein Kindsverhältnis mit Geburt oder Anerkennung begründen. Doch bei gleichgeschlechtlichen Eltern braucht es ein langwieriges, kostspieliges Adoptionsverfahren.» Das sei unbefriedigend und diskriminierend. Die Lösung ist für sie klar: «Wenn die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet würde, wäre der Missstand behoben.»
Die Ehe für alle – sie wird voraussichtlich nächstes Jahr im Parlament diskutiert (siehe Video unten) – biete eine Chance für vollständige Gleichbehandlung aller. Dann könnten auch gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam ein Kind adoptieren und Zugang zu künstlicher Befruchtung erhalten. «Ich hoffe, dass die vollständige Öffnung der Ehe kommt. Und ich bin davon überzeugt, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Gleichstellung will», sagt von Känel.
Die beiden Mütter Miriam Koller und Sandra Fehr haben mehr als die Hälfte der unsicheren Phase überstanden. Sobald Mia ein Jahr alt ist, werden sie einen Antrag auf Stiefkindadoption stellen. «Wie lange das Verfahren dann noch dauern wird, kann niemand genau sagen», so Fehr. «Aber auch diese Zeit werden wir hoffentlich unbeschadet überstehen.»
*Name geändert
Ehe für alle: Was heisst das?
Wie gleichgeschlechtliche Paare heute rechtlich gestellt sind und was die politische Vorlage verlangt, sehen Sie im Video.
Merkblatt «Adoption» bei Guider, dem digitalen Berater des Beobachters
Mitglieder von Guider erhalten mit dem Merkblatt «Adoption» eine umfassende Übersicht zur rechtlichen Situation und zeigt auf, mit welchen Fragen sich Eheleute, Konkubinatspaare und eingetragene Partner bei einer Adoption beschäftigen sollten.
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