Hätte ich an jenem Tag schnurstracks die Strasse überquert, wäre ich jetzt vermutlich nicht 42'000 Franken ärmer. Es war der 7. Juli 1999: Sie wolle mir die Zukunft prophezeien, beschwor mich eine junge, orientalisch aussehende Frau. Ich zögerte, wollte weitergehen, sagte nur: «Nein danke, kein Interesse!» Doch sie war hartnäckig und weckte schliesslich meine Neugier. Die Frau verlangte 100 Franken, und wir gingen in ein Cafe.

Moussana, so nannte sie sich, zog eine Wurzel hervor und legte los: Ich sei vom Glück begünstigt und hätte eine lange, gute Zukunft vor mir. Ich sei gutmütig und würde noch vielen Menschen helfen – doch ich sei nie ohne Sorge gewesen.

Rosenkranz und magische Fäden
Ich war kritisch, bohrte nach. Die fremde Frau sprach gesundheitliche Probleme an. Tatsächlich litt ich unter Beschwerden. Sie könne mir helfen, sagte Moussana. Noch einmal zeigte sie mir die Wurzel und sagte, sie stamme aus Ägypten. «Ägypten!», entfuhr es mir, «da fahre ich in den Ferien hin. Ich kann doch eine mitbringen.» Die Wurzel sei nicht so leicht zu kriegen, hielt sie entgegen, sie koste mindestens 1000 Franken. Aber das sei ja nichts, wenns um meine Gesundheit gehe.

Die Aufdringlichkeit weckte bei mir Argwohn. Doch ich sagte mir: «Ich habe nichts zu verlieren, kann jederzeit aussteigen.» Und so willigte ich ein, mit Moussana an einen ruhigeren Ort zu gehen. Kaum sassen wir in meinem Auto, gab sie mir zwei Fäden, forderte mich auf, sie sechsmal zu verknoten. Zudem reichte sie mir einen Rosenkranz und eine Rosenknospe.

«Aha, jetzt geht die Zauberei los», dachte ich. Moussana versicherte erneut, sie könne mich von meinen Leiden befreien. Das sei mir sicher 1000 Franken wert. Kurz zuvor hatte ich Geld abgehoben und gab ihr den gewünschten Betrag. Sie hatte mir versprochen, ich könne das Geld wieder haben, falls sich die Knoten nicht von selber lösen würden.

Zauberei mit drei Hühnereiern
Gespannt hielt ich die Fäden in meiner geschlossenen Hand, während sie eine Art Bittgebet murmelte. Als ich nachschaute, staunte ich nicht schlecht: Alle Knoten waren offen, ich war 1000 Franken ärmer. Ich fragte Moussana, wo sie das gelernt habe. Das könne man nicht lernen, das sei eine Gabe, die sie geschenkt bekommen habe, sagte sie selbstbewusst und fügte an: «Eigentlich ist das Lösen jedes einzelnen Knotens 1500 Franken wert.» An mir hafte ein schlechter Zauber. Sie werde die ganze Nacht in der Kirche für mich beten, und ich solle sie morgen wieder treffen. Doch zuvor müsse ich ein Ritual befolgen.

Zu Hause handelte ich wie befohlen: Ich zerrieb die Wurzel und mischte sie dem Badewasser bei. Bevor ich in die Wanne stieg, räucherte ich das Zimmer aus und zündete vier rote Kerzen an. Ein Fläschchen voll mit Badewasser sollte ich Moussana am nächsten Tag mitbringen. Mir kam das nicht eigenartig vor: Ich interessiere mich seit langem für Ubernatürliches und glaube an eine geistige Welt mit positiven und negativen Energien.

Meine Erlebnisse hielt ich schriftlich fest. Natürlich machte ich mir auch Gedanken über das Geld, das ich ausgegeben hatte. 1100 Franken sind schliesslich kein Pappenstiel. «Doch was will ich mit materiellen Werten?», überlegte ich. «Und ausserdem habe ich schon so viel investiert; jetzt auszusteigen wäre schade.» Moussana hatte mich in ihren Bann gezogen.

Die Wahrsagerin erschien tatsächlich zu unserem Treffen. Wie sie mir geheissen hatte, überreichte ich ihr neben der Badewasserprobe drei Hühnereier, zwei Kleidungsstücke von mir und meinem Freund sowie eine Silberkette, die ich besonders gern trug. Wir sassen wieder in meinem Auto. Moussana las aus ihren Tarotkarten, schien einiges von mir zu wissen. Sie rief die Göttin Diana an und klagte, ein böser Bann laste auf mir. Sie sprach von einem dunklen Wesen, das sie vernichten müsse.

Und wieder kam sie aufs Geld zu sprechen: «Hat es gestern weh getan, die 1100 Franken wegzugeben?» – «Nein.» – «Das Geld ist sowieso nicht für mich. Es ist ein Opfer, das erbracht werden muss.» Sie nahm die drei Eier, wickelte sie in mein mitgebrachtes Kleid, drückte das Bündel und schaukelte es hin und her. «Da kann jetzt irgend etwas drin sein, zum Beispiel eine Hand oder eine Katze», warnte sie. Es war unheimlich. Als Moussana das Bündel öffnete, erschrak ich: In der Eiermasse lag ein schwarzes, schleimiges Ding!

Das böse Wesen verlangt Bares
Ich fühlte mich elend, ein Grauen überkam mich. Sie habe etwas Schlimmes aus mir herausgezogen, sagte die Wahrsagerin. Sie steckte das schleimige Etwas in eine Plastiktüte und erwähnte, einige Menschen hätten ihr für eine solche Heilung schon 30'000 bis 40'000 Franken gegeben. Ich müsse wissen: Ohne dieses Geldopfer wirke der Zauber nicht. Ich war dem Verzweifeln nahe. Verwirrt, halb euphorisch, halb wütend stieg ich aus dem Auto und steuerte auf die nächste Bank zu. Ich hob eine hohe Geldsumme ab. «Scheissgeld!», dachte ich, «aber wenns nützt, ist es ja gut.» An etwas anderes wollte ich in diesem Moment nicht denken. Auch nicht an die mögliche Reaktion meines Freundes.

Moussana nahm das Geld an – ohne ein Wort des Danks. Sie gab mir einen Rosenkranz und sechs rote Rosen. Diese seien gesegnet, und ich müsse sie in mein Zimmer stellen. Dann redete die Wahrsagerin von neuem auf mich ein: Das böse Wesen verlange weitere 20'000 Franken. Wie in Trance holte ich noch mehr Geld, belastete sogar den Geschäftskredit. Am Schluss hatte ich Moussana sage und schreibe 42'000 Franken bar in die Hand gedrückt.

Nach der Trance blieb nur Wut
Moussana sagte mir erneut die Zukunft voraus: Ab Januar 2000 werde es mir wieder besser gehen. Auch all das Geld komme wieder zu mir zurück. Sie schenke mir Heilkräfte, und ich könne sogar eine bekannte Heilerin werden! Sie befahl mir, 40 Tage lang keinem Menschen von unseren Treffen zu erzählen. Sie versicherte mir noch, sie werde für mich beten und mich in drei Tagen wieder anrufen. Dann war sie verschwunden.

Aufgeregt wartete ich auf den Anruf. Vergeblich. Moussana meldete sich nicht. Sie hatte mir weder ihre Adresse noch ihre Telefonnummer hinterlassen. Endlich erwachte ich aus dem Trancezustand. Ich hatte eine riesige Wut in mir: alles nur Schwindel! Ich, eine ausgebildete Psychologin, hatte mich dermassen übers Ohr hauen lassen. Wie unbeschreiblich peinlich mir das war – und noch immer ist! Es hat lang gedauert, bis ich die Geschichte jemandem erzählen konnte.

Ein Berufskollege tröstete mich, aber mein Freund rastete beinahe aus. Er ärgerte sich – über meine Naivität und über Moussanas Unverfrorenheit. Wer mit geistigen Kräften heile, nehme dafür kein Geld. Ich sah nur noch den riesigen Schuldenberg, wollte das Geld so schnell wie möglich wieder beschaffen. Ich arbeite heute wesentlich mehr als früher.

Von Moussanas Prophezeiungen hat sich bis heute nichts bewahrheitet. Uber das Erlebte denke ich viel nach. Die teure Erfahrung hat mir die Augen geöffnet. Es mag ja sein, dass Moussana über hellseherische oder gar magische Fähigkeiten verfügt. Tatsache ist: Die Frau geht mit grossem psychologischem Geschick vor.

Inzwischen habe ich von Menschen gehört, die ähnlich bittere Erfahrungen gemacht haben wie ich. Ausgerechnet Personen, die sich gegen solchen Hokuspokus gefeit fühlen, sind anfällig: die fantasievollen, neugierigen, eher weichen Genussmenschen, die gern angeregte Gespräche führen und schlecht Nein sagen können.

Deshalb rate ich allen Leuten, die von einer Person wie Moussana angesprochen werden: Schenkt ihr bloss kein Gehör. Macht euch schleunigst aus dem Staub – bevor es zu spät ist!

* Name von der Redaktion geändert