Auch als Krankenpflegerin kann man mitunter einen saftigen Bonus für die geleistete Arbeit kassieren. Anna Meier und Berta Bütikofer (Namen geändert) betreuten eine 89-jährige Frau in ihrem Zuhause ein Jahr lang bis zu deren Tod. Die Frau aus Meilen ZH hinterliess ein Vermögen von 8,5 Millionen Franken. Sie hatte keine direkten Nachkommen und vermachte Anna Meier 700'000 Franken und Berta Bütikofer 200'000 Franken. Die beiden Vermächtnisse hatte die betagte Frau erst sieben Wochen vor ihrem Tod ins öffentlich beurkundete Testament eingefügt. Ausserdem hatte sie das Testament so abgeändert, dass ihr Vermögensberater, der das Testament auch gleich noch vollstrecken sollte, eine Million Franken erbt. Einen Neffen, dem sie ursprünglich 50'000 Franken vermachen wollte, hat sie kurzerhand aus ihrem letzten Willen gestrichen.

Als der Finanzberater davon hörte, dass er eine Million erhalten solle, schrieb er ans Bezirksgericht Meilen und an die Erben, dass er die Erbschaft nicht annehme. Er könne dies nicht mit seiner Rolle als Berater und Willensvollstrecker der Erblasserin vereinbaren. Die beiden Krankenpflegerinnen hingegen verzichteten nicht.

Die handschriftlichen Änderungen der alten Frau seien ungültig, argumentierten die religiösen Organisationen, die im Testament zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt waren, und reichten Klage ein: Zu diesem Zeitpunkt sei die Frau nicht mehr urteilsfähig gewesen. Die Erben einigten sich mit Anna Meier und Berta Bütikofer aussergerichtlich: Meier erhielt 300'000 Franken, Bütikofer 150'000 Franken. «Diese Summen sind gerechtfertigt», sagt Barbara Müller, Geschäftsführerin des Fonds für Entwicklung und Partnerschaft in Afrika, einer jener Organisationen, die als Erben eingesetzt sind. «Schliesslich sind die beiden Pflegerinnen von der Erblasserin im Testament berücksichtigt worden, weil sie sich für die alte Frau, die partout nicht in ein Spital wollte, sehr eingesetzt haben.»

Wegen Sittenwidrigkeit ungültig
Und doch bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack: Wenn Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger so hohe Vermächtnisse oder Geschenke annehmen dürfen, besteht die Möglichkeit, dass sie reiche Pflegebedürftige anders behandeln als arme. Besteht zudem nicht die Gefahr, dass Krankenpfleger sich bewusst an reiche Betagte heranmachen? «Doch», meint Beatrice Mazenauer, Zentralsekretärin der Spitex Schweiz. «Deshalb untersagt die Grosszahl aller kantonalen Spitex-Verbände die Annahme von Geschenken oder testamentarischen Zuwendungen.» In den Kantonen Solothurn und Nidwalden können Spitex-Mitarbeiterinnen sogar entlassen werden, wenn sie sich nicht daran halten.

Nicht nur Krankenpflegerinnen kommen ins Dilemma von beruflichem Engagement und testamentarischer Begünstigung, auch Anwälte und Anwältinnen werden oft zu Vertrauenspersonen und mitunter zu Alleinerben gemacht.

So geschehen im Fall der millionenschweren Hildegard Kirchbach, die zwei Jahre vor ihrem Tod den Zürcher Rechtsanwalt Werner Stauffacher als Alleinerben ihres Vermögens einsetzte. Stauffacher sollte die Kunstsammlung der Frau im Wert von mehreren Millionen Franken erben, mit Bildern von Franz Marc, Ferdinand Hodler und Emil Nolde. Der Wirtschaftsanwalt hatte die alte Frau juristisch beraten, um ein Haus zurückzufordern, das in der ehemaligen DDR enteignet worden war.

Nach dem Tod Kirchbachs hat der Deutsche Eckbert von Bohlen und Halbach, Spross der Krupp-Dynastie, das Testament vorläufig erfolgreich angefochten. Das Basler Zivilgericht erklärte das umstrittene Testament in seinem Urteil vom 24. Oktober 2001 gleich in dreifacher Hinsicht für ungültig: Erblasserin Kirchbach sei im Moment des Schreibens nicht urteilsfähig gewesen, habe ihren Willen nicht frei gebildet, da sie unter dem Einfluss Stauffachers gestanden habe, und Stauffachers Verhalten sei sittenwidrig gewesen.

Erstmals hat damit ein Gericht in der Schweiz ein Testament auch wegen Sittenwidrigkeit für ungültig erklärt. Unter anderem entscheidend für das Gericht war, dass Stauffacher von Kirchbach noch vor ihrem Tod Geschenke wie Goldbarren angenommen, nach ihrem Tod aber für seine Aufwendungen 482,15 Arbeitsstunden in Rechnung gestellt habe. Zu einem Stundenansatz von 700 Franken. «Der Beklagte hat dadurch eine eigentliche Bereicherungsabsicht kundgetan», befand das Gericht. Der hohe Stundenansatz sei eindeutig unangemessen. Und: «Ein solches Testament nicht für ungültig zu erklären würde dem mindesten Anstandsgefühl – dem auch das Recht und die im Rechtswesen tätigen Personen verpflichtet sein sollten – in krasser Weise widersprechen.»

Entscheid sei «absolutes Fehlurteil»
Stauffacher hat das Urteil des Basler Zivilgerichts angefochten. Der Wirtschaftsanwalt, der unter anderem im Vorstand des Verbands schweizerischer Erbschaftsberatungsstellen sitzt, bezeichnet gegenüber dem Beobachter das Urteil des Basler Zivilgerichts als «absolutes Fehlurteil». Die ihm unterstellte Bereicherungsabsicht und die angebliche Verletzung des Anstandsgefühls seien moralisierende, gänzlich unbewiesene Mutmassungen: «Richtig ist einzig, dass ich für Frau Kirchbach als Anwalt tätig war und hierfür zu ihren Lebzeiten erwiesenermassen im üblichen Umfang bezahlt wurde», schreibt Stauffacher.

Sie habe ihn in insgesamt drei aufeinander folgenden Testamenten als Erben eingesetzt – gesetzliche Erben seien keine vorhanden. «Von diesen Testamenten hatte ich bis kurz vor ihrem Tod keine Kenntnis, und Frau Kirchbach hatte mich auch nie für ihre erbrechtliche Beratung beigezogen. Eine Gefahr der Beeinflussung ihres Willens bestand somit nie.» Gemäss Stauffacher ist das Testament Ausdruck der «langjährigen, persönlichen und freundschaftlichen Vertrauensbeziehung».

Im Unterschied zur Krankenpflege gibt es für Anwälte keine Pflicht, testamentarische Zuwendungen auszuschlagen. Weder der Zürcher noch der schweizerische Anwaltsverband haben eine solche Regelung erlassen. «Wir haben das intensiv abgeklärt, sehen aber keine Möglichkeit, Verbandsvorschriften zu erlassen, die im Widerspruch zum Zivilgesetzbuch stünden. Das ZGB regelt die Frage der Erbberechtigung abschliessend», so Mirko Ro˘s, Präsident des Zürcher Anwaltsverbands.

Der Paragraf ist bloss ein Papiertiger
Anders sieht dies die Standesorganisation der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH. Nachdem sich ein Zürcher Arzt in den neunziger Jahren von seiner Patientin, einer 86-jährigen Witwe, als Alleinerben von 10 Millionen Franken einsetzen liess, hat die FMH eine Norm ins Standesrecht aufgenommen, die es Ärztinnen und Ärzten verbietet, testamentarische Zuwendungen von Patienten anzunehmen. Doch gilt dieses Verbot nicht, wenn Ärzte erst nach dem Tod eines Patienten erfahren, dass sie etwas erben werden. Kein Wunder, dass der Paragraf ein Papiertiger geblieben ist.

«All diese Regelungen sind schön und gut, deren Wirkung ist aber noch ungewiss», sagt der Basler Rechtsanwalt Daniel Abt, Erbrechtsspezialist. «Hilfreich wäre eine neue Regelung im Zivilgesetzbuch, die alle Personen, die von Berufs wegen in einem Vertrauensverhältnis zum Erblasser stehen, für erbunfähig erklärt.» Nur so könne die Sache klar geregelt werden, und nur so könnten Erblasser vor Erbschleichern wirksam geschützt werden.

Ärzte, Krankenschwestern, Anwältinnen, Sterbehelfer und andere kämen gar nicht in Versuchung, auf ein allfälliges Erbe zu spienzeln. «Es erstaunt, dass das Schweizer Recht diese Frage mit keinem Wort regelt. In Frankreich, Deutschland und Österreich bestehen detaillierte Regelungen, die versuchen, Erbschleicherei zu unterbinden», so Abt.

Das Problem wird in den nächsten Jahren nicht kleiner. So beträgt die Gesamtsumme der Privatvermögen in der Schweiz gemäss einer Berechnung des VZ Vermögenszentrums 1922 Milliarden Franken und gehört zu einem grossen Teil den älteren Semestern: Jeder achte Steuerpflichtige im Rentenalter ist Millionär.

Nachtrag

Dr. iur. Werner Stauffacher weist darauf hin, dass Jean Nicolas Druey, emeritierter St. Galler Professor für Zivil- und Handelsrecht, in einem Gutachten das Urteil des Basler Zivilgerichtes grundlegend in Frage stellt. Die Stauffacher vorgeworfene «mandatswidrige Passivität» könne keine Sittenwidrigkeit des Testaments bewirken. Das Gutachten Druey, das von den Anwälten von Dr. Werner Stauffacher in Auftrag gegeben worden war, überzeugte die Richter des Basler Appellationsgerichts am 22. Dezember 2004 aber nicht. Sie erklärten Dr. Werner Stauffacher für erbunfähig. Der Entscheid ist nicht rechtskräftig. Beschwerden sind vor Bundesgericht hängig.

Nachtrag vom 23.12.2004:
Das Basler Appellationsgericht hat am 22.12.2004 gegen Dr. iur. Werner Stauffacher entschieden: Das Gericht befand Stauffacher als «erbunwürdig». Da Staufacher gleichzeitig Begünstigter und Anwalt der Witwe sei, habe ein interner Konflikt bestanden. Stauffacher hätte das Testament nicht annehmen dürfen oder aber auf den Beizug einer Drittperson drängen müssen. Nach der Urteilseröffnung kündigte Stauffacher an, mit dem Erbschaftsfall an das Bundesgericht zu gelangen.

Nachtrag vom 20. März 2006

Das Bundesgericht hat am 6. Februar 2006 den Entscheid des Appellationsgerichts vollumfänglich bestätigt (Urteil 5C.121/2005).