Freitagabend, kurz nach 23 Uhr. Mit einem Salsahit lockt der kubanische DJ die Männer und Frauen auf die Tanzfläche. Diana und Antonio wiegen die Hüften zu den karibischen Rhythmen und blicken sich erhitzt in die Augen. Der junge Mann zieht seine blonde Tanzpartnerin noch ein bisschen näher an sich heran. Diese lacht und fällt aus dem Schritt. Zwei vertraute, verliebte Menschen geniessen den Beginn des Wochenendes, könnte man meinen. Fehlanzeige! Diana und Antonio kennen sich erst seit gut drei Stunden.

Begonnen hat alles um 19.15 Uhr. Rund 20 Frauen und Männer, alle um die 30, treffen nach und nach im Zürcher «Mellow-Club» ein. Die Frauen werden angewiesen, in der Sofaecke auf der Galerie Platz zu nehmen, die Männer begeben sich an die Bar im grossen Klubraum. Spannung baut sich auf. Monika* wagt einen Blick auf die Männerrunde. «Der dort war schon einmal hier», stellt sie fest, zeigt mit dem Finger auf einen mittelgrossen, dunkelhaarigen Mann mit Stirnglatze und stöhnt: «So ein Schwätzer!»

Die 28-jährige Direktionssekretärin besucht bereits zum vierten Mal ein Speed-Flirting. Sie sucht nicht eine schnelle Romanze, sondern «ernsthaft einen festen Partner». «Einfach schauen, was dabei herauskommt», will hingegen die 26-jährige Musiklehrerin Diana. Sie ist bloss «zum Plausch» hier – dank Antonio wird sie später eine Menge davon haben.

Seit vorletztem Sommer veranstalten Daniel Schinz und Nikolaus Ganz schweizweit Speed-Flirtings. Das Konzept für die Anbandelabende haben die beiden Abgänger der Hochschule St. Gallen in den USA abgeschaut. Speed-Flirting wurde Mitte der neunziger Jahre von einem New Yorker Rabbi erfunden. Die Idee: Dank organisierter Treffen sollen heiratsfähige Frauen und Männer gleichen Glaubens leichter zueinander finden. Speed-Flirting wurde rasch von Hetero- und Homosexuellen anderer Glaubensrichtungen aufgenommen und entwickelte sich in den USA zum Kult.

«Einfach ein bisschen Spass»
Das Konzept des Speed-Flirting ist bestechend: In einer Stunde lernt jeder Single sieben andere Alleinstehende seiner Altersgruppe kennen. Mit jeder Person kann er sich sieben Minuten lang unterhalten. Bei gegenseitiger Sympathie erhalten beide von den Organisatoren Telefonnummer und E-Mail-Adresse des Gegenübers.

Daniel Schinz bittet die Frauen in den grossen Klubraum herunter. Dort stehen die Flirtwilligen noch etwas schüchtern herum und mustern sich gegenseitig. Ursula macht zum dritten Mal bei einem Speed-Flirting mit. Sie möchte herausfinden, wie sie auf andere Leute wirkt. Robert ist zum ersten Mal hier. Was erwartet der 35-jährige Kaufmann von diesem Abend? «Einfach ein bisschen Spass. Wenn meine Traumfrau dabei ist – umso besser.»

Elton John will heute Abend vor allem flirten. «Ich will mit den Möglichkeiten spielen, den Zauber spüren, vieles offen lassen, lachen und schauen, wie die Frauen reagieren.» In der heutigen Zeit sei es schwierig geworden, jemanden kennen zu lernen, sagt der 32-jährige Informatiker. «Frauen wollen nicht angebaggert werden und reagieren meistens abwehrend, wenn man sie anspricht.» Die Männer an der Bar nicken, und Elton John betont, es sei ihm wichtig, dass er «hier und heute niemanden abwimmeln muss: Ich werde keine Körbe verteilen und erhalte keinen, weil alles ganz unverbindlich ist.» Robert stimmt zu: «Deshalb sind die normalen Blind Dates so mühsam. Ich verbrachte schon mal ein ganzes Abendessen mit einer Frau. Dabei wusste ich bereits nach wenigen Minuten, dass nichts daraus würde.»

1972 untersuchte der amerikanische Psychiater Leonard Zunin, wie sich Paare kennen lernen. In seinem Buch «Kontakt finden» zeigt er, dass die ersten vier Minuten einer Begegnung Dreh- und Angelpunkt für alles Weitere sind. Die deutsche Psycholinguistin Christiane Doermer-Tramitz geht noch einen Schritt weiter. Sie erklärt in ihrem Buch «…auf den ersten Blick», dass zwei Menschen nur 30 Sekunden brauchen, um zu spüren, ob sie sich sympathisch oder unsympathisch sind.

Die Spannung steigt. Veranstalter Daniel Schinz erklärt den Ablauf des Abends. Die Frauen setzen sich einzeln an einen Tisch; die Männer ziehen ein Los mit der Nummer des Tisches, an dem sie ihren Rundgang starten. Auf den Zweiertischen gibts rote Kugelschreiber, Kartonherzchen mit Name und Adresse der veranstaltenden Firma und eine rote Plastikrolle mit einer Reihe von Fragen, die man stellen könnte, sollte das Gespräch ins Stocken geraten. Bei ihrer Ankunft im Klub haben alle Teilnehmenden eine Flirtkarte erhalten, auf der sie den Namen oder Übernamen der sieben Frauen beziehungsweise Männer, die sie kennen lernen werden, eintragen können. Für Personen, mit denen man weiteren Kontakt wünscht, gibts ein Kreuz unter «Ja», für die anderen ein «Nein».

Unbewusste Körpersprache
Speed-Flirting-Assistentin Samantha greift zum Mikrofon und gibt das Signal zum Start der sieben Blind-Date-Runden. Wenn es bei einem Paar funkt, vergehen die sieben Minuten in Windeseile – ein gutes Zeichen. Wer sich hingegen nichts zu sagen hat, quält sich durchs Gespräch und greift auch mal zur Rolle mit den «hilfreichen» Fragen. Doch alle Anstrengungen sind umsonst, wenn zwei sich wortwörtlich nicht riechen können.

Punkto Flirten ist Antonio ein alter Hase. Der 34-jährige Sozialarbeiter ist bereits «zum dritten oder vierten Mal» an einem Speed-Flirting dabei. Kontakte sucht er auch via Internet. Aber über den schriftlichen Austausch hinaus ist es ihm wichtig, Frauen rasch auch persönlich kennen zu lernen – zu erleben, wie sie reden, sich bewegen, welches Parfüm sie tragen und wie sie auf seine Sinne wirken. Entscheidungen und Verhalten werden nur zu einem kleinen Teil bewusst gesteuert; das ist aus der psychologischen Forschung längst bekannt. Das Unbewusste treibt den Menschen mindestens ebenso stark an wie der Verstand. Oft sind es Kleinigkeiten, die man nicht genau benennen kann; manchmal sind es Signale, die man bereits in frühester Kindheit zu deuten lernte.

«Die Körpersprache unserer Partner steuert uns mit», sagt Daniel Schinz, während er die plaudernden Paare an den Zweiertischchen beobachtet. Meist könne man bereits aufgrund der Körperhaltung beurteilen, ob es zwischen zwei Speed-Flirting-Teilnehmenden zu einem Match, also zu zwei «Ja»-Kreuzen, komme.

Hans und Surprise werden beide bestimmt ein «Nein» ankreuzen. Während er gequält lächelt und mit dem Kugelschreiber spielt, sitzt sie sieben Minuten lang mit gekreuzten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen abgewandt am Tisch.

Bei Diana und Antonio hingegen prickelt es von Beginn weg. Die beiden beugen sich während des intensiven Gesprächs einander zu. Diana neigt den Kopf zur Seite und spielt mit der linken Hand im Haar, und Antonio betrachtet sie fasziniert.

«Speed-Flirting spricht eher offene Menschen an, die wenig Probleme mit der mündlichen Kommunikation haben», sagt Veranstalter Nikolaus Ganz. «In der Deutschschweiz scheint die Hemmschwelle allerdings grösser zu sein als in der Romandie, in einem organisierten Rahmen jemanden kennen zu lernen.» Ob und wie es für zwei Menschen nach der ersten Kontaktaufnahme weitergeht, wissen die Veranstalter nicht. «Bis ein Paar wirklich zusammenkommt, ist es ein weiter Weg; darauf haben wir keinen Einfluss. Wir erhalten auch nur sporadisch Rückmeldungen.»

«Wie unterm Weihnachtsbaum»
77 Franken kostet ein Speed-Flirting-Abend. Für die Teilnehmenden im «Mellow-Club» hat sich der Einsatz offensichtlich gelohnt. «Lässig» sei es hier, finden die meisten Frauen und Männer nach sieben mal sieben Minuten Gespräch. Zudem sei es ein angenehmes und beruhigendes Gefühl, sich beim Speed-Flirting unter anderen Singles aufzuhalten und zu wissen, worauf man sich einlasse. «Ich kam mir vor wie unter dem Weihnachtsbaum», sagt der attraktive Elton John. «Ich packte Geschenke aus und überlegte mir, ob ich sie gebrauchen könne.»

Auch Leo, ein 30-jähriger Banker, geniesst es sichtlich, dass er auffällt – aber das reicht ihm nicht. «Ich will noch weitere Frauen kennen lernen, denn jede ist ganz anders und besonders», sagt er. Und gibt dann offen zu: «Es haut mich total um, wenn eine Frau mir sagt, ich sei schön. Ich koste das richtig aus. Vielleicht bin ich von solchen Bestätigungen sogar ein bisschen abhängig.»

Singles wurden lange Zeit als eigenständige Lebensform ignoriert. Erst in den siebziger Jahren erhielten sie eine eigene Bezeichnung. Heute ist das Singledasein Inbegriff des modernen urbanen Lebens. Gemäss einer Studie der Sozialpsychologin Beate Küpper («Sind Singles anders?») sind Singles jedoch weit «weniger glücklich und weniger lebenszufrieden als Paare, sie fühlen sich häufiger einsam und isoliert von anderen».

Die jungen Frauen und Männer, die an diesem Freitagabend in Zürich beim Speed-Flirting mitmachen, scheinen Küppers These zu widerlegen. Die bisher längste Beziehung der bildhübschen Carola dauerte sechs Monate. Statt mit einem langweiligen Mann zusammenzuleben, bleibe sie lieber Single, sagt die 29-Jährige selbstbewusst. «Meine Lebensqualität muss sich verbessern durch eine Beziehung, sonst schicke ich den Mann wieder weg.»

Anschliessend zum Tanzkurs
Auch unter den sieben Männern, die sich im Lauf der vergangenen Stunde an ihren Tisch gesetzt haben, scheint die Dentalhygienikerin ihren Traumprinzen nicht gefunden zu haben. Mit einem Achselzucken wechselt sie hinüber zur Bar und bestellt sich einen Drink.

Inzwischen hat Daniel Schinz die Flirtkarten eingesammelt. Bevor er sich verabschiedet, ermutigt er die Frauen und Männer, nicht gleich nach Hause zu gehen, sondern an der Bar weiterzuplaudern oder am anschliessenden Salsakurs des «Mellow-Club» teilzunehmen. Diese zusätzliche Flirtmöglichkeit kommt den meisten gelegen. «Eins, zwei, drei, Pause» lernen auch Diana und Antonio. Den leuchtenden Blicken und den zärtlichen Gesten nach zu urteilen, scheint das Speed-Flirting für sie der Anfang einer wunderbaren Liebesgeschichte zu sein.

*Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Speed-Flirting stellen sich jeweils mit dem Vornamen vor oder geben sich einen Übernamen, einen so genannten «nickname».