Sie sind sicher nicht fehl am Platz, denn Ihr Mann will ja mit Ihnen zusammenleben. Aber ich verstehe natürlich, dass es für Sie ein Problem ist, dass ein Teil seiner Sexualität in eine Richtung geht, die Sie abstösst. Ohne seine Neigung moralisch zu verurteilen, sollten Sie ihm deshalb Ihre Gefühle offen mitteilen. Möglicherweise haben allerdings seine sexuellen Eigenheiten Suchtcharakter, und er kann sich nicht willentlich von ihnen lösen. Vielleicht finden Sie aber in einem offenen Gespräch doch ein Arrangement, das für beide Seiten akzeptabel ist. Wenn Sie alleine nicht weiterkommen, empfiehlt sich die Konsultation eines Sexualtherapeuten.

Wenn die sexuelle Erregung eines Menschen durch ungewöhnliche Objekte oder Handlungen ausgelöst wird und wenn die betroffene Person oder die Umwelt (zum Beispiel die Partnerin) darunter leidet, spricht man heute nicht mehr wie früher von Perversionen, sondern von Paraphilien (para = grenzüberschreitend, Philie = Liebe). Dazu gehören etwa Exhibitionismus (Erregung durch das Zurschaustellen der eigenen Genitalien), Fetischismus (Erregung aufgrund lebloser Objekte, zum Beispiel Unterwäsche), sexueller Sadismus und Masochismus (Sexualität mit Elementen wie Gewalt, Leiden, Macht, Ohnmacht) und Voyeurismus (Erregung durch Beobachtung nackter oder sexuell handelnder Personen).

Solange die paraphilen Tendenzen im legalen Rahmen bleiben, sind Menschen mit solchen Neigungen am besten dran, wenn sie sie als Teil ihrer Persönlichkeit annehmen können und sozial akzeptierte Wege finden, einen Teil davon auszuleben. Zum Beispiel in einer Partnerschaft, wenn der Partner Verständnis oder ähnliche Wünsche hat, oder in Selbstbefriedigungsphantasien. Schwieriger wird es, wenn solche Wünsche abgelehnt und verdrängt werden, weil sie dem eigenen Ideal und den Moralvorstellungen krass widersprechen. Es entsteht dann oft eine Spaltung in der Persönlichkeit, die Paraphilie bekommt einen suchtartigen Charakter, nimmt zunehmend Energie in Anspruch und wird immer unkontrollierbarer. Dieser quälende Zustand wird auch als Sexsucht bezeichnet.

Als Ursache von Paraphilien wird angenommen, dass die Persönlichkeit dieser Menschen in einer frühen Kindheitsphase stark verletzt wurde, dass sie lange sehr einsam waren oder noch sind. Wenn die Störung schwer ist, steht ja auch kaum sexuelle Energie für eine wirklich liebevolle Begegnung mit einem realen Partner zu Verfügung. Der Zürcher Psychoanalytiker Fritz Morgenthaler hat eine überzeugende Metapher für die Paraphilien gefunden: Er sagt, die Perversion wirke wie eine Plombe, die eine brüchige, früh geschädigte Persönlichkeit zusammenhalte. Würde man die Plombe sprengen, kämen unerträgliche Gefühle der Leere und Sinnlosigkeit zum Vorschein.

Ein guter Therapeut sollte also nie versuchen, die Paraphilie wegzutherapieren. Er sollte vielmehr helfen, dass die betroffene Person zu einer liebevollen Akzeptanz dieses Schattenaspekts gelangen kann. Wenn dieser Prozess gelingt, verwandelt sich die Plombe allmählich in einen Verband, unter dem die eigentliche Wunde heilen kann. Möglicherweise wird dadurch der Verband eines Tages sogar überflüssig, das heisst, die Paraphilie verschwindet teilweise, zeitweise oder ganz.