Die Liebe ist eben die intensivste Erfahrung, die wir im Leben machen können, und manchmal erfasst sie uns mit Leib und Seele. Es ist kein Kraut dagegen gewachsen. Dank unserem Willen sind wir aber grundsätzlich frei, uns auch gegen starke Bedürfnisse zu entscheiden. Wenn Sie das wirklich wollen – etwa aus Rücksicht auf Ihren Lebenspartner –, können Sie dem anderen Mann konsequent aus dem Weg gehen. Natürlich würden Ihr Begehren und Ihre Liebe nicht so schnell erlöschen, aber die Gefühle könnten nicht mehr handlungswirksam werden.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass Ihre Einstellung zu dieser Beziehung eher ambivalent ist. Das heisst, dass Sie den Zustand nur halbherzig beenden wollen. Das Quälende ist ja auch kein ausreichender Grund. Denn wie das Wort «Leidenschaft» ausdrückt, gehört zu einer sehr intensiven Beziehung sehr oft eben auch Leiden.

Grundsätzlich besteht die Welt aus Polaritäten: Man kann nie nur das eine haben, es existiert immer eine Kehrseite. Es ist eine Illusion zu glauben, es gäbe andauerndes Glück ohne Unglück, Erfolg ohne Misserfolg, Wachstum ohne Zerstörung, Leben ohne Tod. Wer heftig liebt, wird deshalb meist auch heftig leiden. Wer sich dafür entscheidet, in Bezug auf die Liebe ein spontanes und leidenschaftliches Leben zu führen, muss eben den Preis dafür zahlen.

Man kann sich auch anders entscheiden. Schon der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, wies darauf hin, dass es naiv sei, das Glück in der Liebe zu suchen. Zwar könne man dort grossartige Momente erleben, aber man sei auch nirgends so verletzlich. Meine Beratungsarbeit zeigt in der Tat, dass die Liebe vielen Lesern Kummer macht. Der ist allerdings oft «hausgemacht» und müsste nicht unbedingt sein. Das hängt mit dem in unserer Kultur vorherrschenden Bild der «idealen Liebesbeziehung» zusammen.

Das Koreanische kannte lange kein Wort für «Liebe»
Unsere Vorstellung von romantischer Liebe weckt häufig unrealistische Erwartungen. Dass man die Welt nicht nur so sehen muss wie wir, zeigt ein Vergleich mit der koreanischen Sprache. Für das englische Wort «love» existierte dort bis ins 20. Jahrhundert keine Entsprechung. Es gab aber viele verschiedene Wörter für «Nähe-Beziehungen». Die Sprache spiegelt also die Vorstellung, dass man sich verschiedenen Menschen in unterschiedlicher Weise nah fühlen kann: dem Lebenspartner anders als den Kindern, einem Freund, einem leidenschaftlich Geliebten.

Wahrscheinlich ist diese Sicht der Dinge der Wirklichkeit eher angepasst. Von keiner Blume im Strauss der vielfältigen Beziehungen wird alles erwartet, deshalb sind Enttäuschungen seltener. Vielleicht können wir daraus etwas lernen.