Beobachter: Es gibt Momente, in denen wir uns wieder wie ein Teenager fühlen. Zum Beispiel wenn die Mutter an unserem Lebensstil rummäkelt. Wie sind diese «Rückfälle» zu erklären?
Katharina Rast-Pupato: Prinzipiell müssen wir von der Vorstellung ausgehen: «Wir sind alle unsere Lebensalter.» Das heisst: Wir sind von unserem gesamten bisherigen Leben geprägt.

Beobachter: Alle Erfahrungen bleiben auf immer und ewig gespeichert?
Katharina Rast-Pupato: Ja. Nicht alle Altersbereiche sind durch die Erinnerung gleich gut erschlossen, zu frühkindlichen Erfahrungen beispielsweise ist der bewusste Zugang schwieriger. Eltern haben in der Regel aber alle Entwicklungsstufen ihrer Kinder begleitet. Deshalb kann es passieren, dass sie mit Äusserungen unbewusst eine Szene hervorholen. Damit verknüpft sind Gefühlsmuster, die vielleicht schon längst überfällig und unpassend geworden sind.

Beobachter: Micha Lewinsky sagt: «Wir wären doch alle gerne selbständige Menschen mit starken Wurzeln.» Ist das für Erwachsene, die als Kind viel gelobt wurden, einfacher zu erreichen?
Katharina Rast-Pupato: Mir persönlich passt der Begriff Anerkennung besser als Lob. Denn dem Loben haftet auch eine hierarchische Dimension an, als stünden die Eltern über ihren Kindern und schauten auf sie hinunter. So verstanden finde ich Lob nicht förderlich, es kann für die Entwicklung des Selbstwertgefühls sogar hinderlich sein. Lob würde dann bedeuten: «Bravo, du bist uns ein Stück nähergekommen!»

Beobachter: Und Anerkennung bedeutet?
Katharina Rast-Pupato: Das Kind strebt - bei aller Ähnlichkeit und Verbundenheit mit den Eltern - an, sich als einzigartiges Individuum zu entfalten. Dafür braucht es Abgrenzung, aber auch Aufmerksamkeit, es will Reaktionen auf sein Tun. Anerkennung geschieht auf einer gleichwertigen Ebene, sie erfordert ein Staunen für den anderen, Wertschätzung, Respekt.

Beobachter: Wie beeinflusst Anerkennung das Selbstwertgefühl?
Katharina Rast-Pupato: Sie ist zentral. Das fängt schon früh an: Der Glanz in den Augen der Eltern, wenn ihr Kind eine Leistung vollbracht hat, zeigt, dass sie sich einfach freuen. Es sind dann nicht die Eltern, die stolz sind, sondern das Kind selbst ist stolz auf seine Leistung, die Eltern lassen ihm den Platz dazu. Das Kind lernt so, dass es selbst etwas bewirken kann. Dass es mit seinem eigenen Willen zu einem Ziel kommt.

Beobachter: Sind es allein die Erfahrungen im Kindesalter, die das Selbstwertgefühl ausmachen?
Katharina Rast-Pupato: Nein. Anerkennung bleibt ein Leben lang wichtig.

Beobachter: Ist Anerkennung auch die Grundlage dafür, dass jemand später im Leben berufliche Herausforderungen spielerisch angeht, sich traut, Neues auszuprobieren?
Katharina Rast-Pupato: Wichtig sind die Erfahrung und das Gefühl, selbst etwas Positives bewirken zu können. Dazu brauchts die Entwicklung von eigenem Willen und Motivation und die Bildung eines Grundvertrauens mit einer angemessenen Frustrationstoleranz.

Beobachter: Gibt es in der Psychologie einen eigenen Begriff dafür?
Katharina Rast-Pupato: Ganz viele. Mir gefällt der des «inneren Halts» am besten. Er vereint sowohl ein angereichertes Lebensgefühl als auch geeignete Fähigkeiten für eine positive Lebensführung. Der «innere Halt» des Kindes rankt sich am «äusseren Halt» der Eltern und seiner ganzen Mitwelt empor.