Wild durcheinanderliegende Kinderschuhe im Treppenhaus – ein untrügliches Zeichen: Hier wohnt eine Familie. Also siehts hinter der Wohnungstür auch so chaotisch aus? Nein! Küche und Wohnzimmer sind blitzblank. Der sechsjährige Marco und die dreijährige Marie gestatten einen Blick in ihr Zimmer. Auch hier ist alles aufgeräumt: Bauklötze in der Kiste, Spielzeugautos im Regal, Puppen im Bett.

Sind diese beiden Kleinen so diszipliniert? Kaum. Das wäre dann doch etwas lebensfremd. Kleine Kinder sind nämlich noch gar nicht in der Lage, ohne klare Anleitung die Ordnung wieder hinzukriegen. Ein Appell wie «Räum jetzt endlich dein Zimmer auf!» wird in der Regel keinen Erfolg bringen. Das Kind ist damit überfordert. Es braucht überschaubare Strukturen, präzise Arbeitsanweisungen – und auch ein bisschen Hilfe: am besten in spielerischer Form.

Wann sollen Eltern helfen?

Aber auch für grössere Kinder ist es happig, wenn Freunde zum Spielen da waren und sie hinterher mit dem entstandenen Schlachtfeld allein klarkommen sollen. Zu viel Durcheinander kann sie überfordern.

Die Mutter von Marco und Marie sagt denn auch, dass sie das Chaos selber beseitigt hat, damit der Besuch nicht in Ohnmacht fällt oder die Kinder nicht in einem schiefen Licht erscheinen. Ordnung gilt eben nach wie vor als eine wichtige Tugend – oder zumindest als eine nützliche. Aber: Wenn Eltern ins Chaos ihrer Kinder eingreifen, erweisen sie ihnen einen Bärendienst. Denn Kinder sollen lernen, selber für Ordnung zu sorgen. Ein bestimmtes Quantum Chaos brauchen die Sprösslinge jedoch, um Kreativität, Konzentration und Ausdauer im Spiel zu entwickeln.

Also: Eltern, lasst die Bauklötze liegen! Gebt den Kindern verschiedene Dinge zum Spielen! Fordert nicht jeden Abend, dass das Zimmer picobello aufgeräumt wird. Kinder müssen sich in ihrem «Reich» wohl fühlen. Dazu gehört, dass Erwachsene die Vorstellungen und Vorlieben der Kinder respektieren und ihnen zugestehen, in Sachen Ordnung eigene Strategien zu entwickeln.

Der gewohnte Platz kann nun halt am Boden sein

Kinder mögen es genauso wie Erwachsene, die persönlichen Dinge am gewohnten Platz vorzufinden. Aber: Dieser Platz kann auch der Fussboden oder das Fensterbrett sein. Kuscheltiere oder das Plastikauto sind für Kinder wie Freunde, die gerade heute nicht in einer dunklen Spielzeugkiste übernachten wollen.

Ein Spiel ist für Kinder nach dem Zvieri meist nicht zu Ende. Sie wollen es fortsetzen und lassen deshalb gern alles so liegen, wie es ist. Hinter dem kindlichen Durcheinander steckt oft System, auch wenn es für Erwachsene nicht immer nachvollziehbar ist.

Natürlich gibt es unter den Kindern auch Ordnungsfanatiker. Der inzwischen 17-jährige Raphael sortierte als kleiner Bub seine Legosteine immer nach Grösse, Farbe und Form. Nichts ausser Legosteinen durfte auf dem Fussboden liegen. Aber nun, in der Pubertät, sind all seine Kleider im Zimmer verstreut. Aus dem ordentlichen Jungen ist scheinbar ein Chaot geworden.

Warum tut er das? Entwicklungspsychologen erklären, Raphael ziehe Grenzen um seine Privatsphäre. Der mit Kleidern übersäte Boden signalisiert den Eltern: Das ist mein Zimmer, und weil es meins ist, sieht es anders aus, als ihr es gern hättet. Ausserdem ist Aufräumen lästig und kostet Zeit, die sich anders besser nutzen lässt. Immerhin: Es besteht Hoffnung, dass sich Raphael als Erwachsener wieder seines früheren Ordnungssinns bewusst wird – spätestens dann, wenn er sich nicht mehr gegen die ordnungsliebenden Eltern abgrenzen muss.

So halten Kinder mehr Ordnung

  • Dreijährige schaffen es noch nicht, allein aufzuräumen, aber sie können mithelfen. Wenn die Eltern ein Spiel daraus machen, entwickeln Kinder nicht selten Freude am Sortieren und Ordnen und sind motiviert, eigene Ideen einzubringen.

  • Fünf- bis Siebenjährige können schon einiges allein an die Hand nehmen. Hilfe brauchen sie aber trotzdem. Am besten beginnen die Kleinen aufzuräumen, und nach einiger Zeit beteiligen sich die Eltern. Loben nicht vergessen, wenn es klappt.

  • Ältere Kinder können selbständig für Ordnung sorgen, allerdings hilft ihnen eine Grundordnung im Zimmer. Deshalb sind genügend Stauraum, stapelbare Kisten, Schubladen und Regale von Vorteil. So hat alles seinen festen Platz, und das Wegräumen fällt leichter.

  • Manchmal entstehen Anreize, wenn Eltern und Kind gemeinsam das Zimmer neu arrangieren, den Raum in der Lieblingsfarbe streichen und speziell gestalten.

  • Klare Abmachungen geben Orientierung. Etwa: «Ich mische mich nicht ständig in die Ordnung in deinem Zimmer ein. Dafür erwarte ich, dass du dich in den gemeinsamen Bereichen an unsere Vorstellungen von Ordnung hältst.»

  • Es ist sinnvoll, einen festen Tag fürs Aufräumen zu bestimmen. Auch der angekündigte Besuch der Lieblingstante kann Wunder wirken.