Wir nannten ihn «Feuermelder». Sobald er angesprochen wurde, erblühte das Gesicht meines Schulkollegen Bernd in schamhaftem Rosenrot. Was wir nicht wussten: Scham hat oft etwas mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun. Der Begriff Scham leitet sich ab vom indogermanischen «skem», was so viel bedeutet wie «sich verhüllen» oder «sich verstecken». Tatsächlich war Bernd ein sehr schüchterner Junge, der sich wenig zutraute und sich wegen seiner vermeintlichen Minderwertigkeit oft am liebsten versteckt hätte.

Kinder schämen sich öfter als Erwachsene, weil sie noch viel mehr auf Zuwendung und Anerkennung angewiesen sind. Wobei sie auch oft wütend und traurig darüber sind, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Auf die Frage des Lehrers zum Stoff der letzten Stunde hat Bernd meist nur gestammelt und ist rot angelaufen. Dabei hätte er die Antwort gewusst.

Schamgefühl: Für die Erziehung zentral

Jeder kennt das Gefühl, am liebsten im Erdboden versinken zu wollen. Zum Beispiel: Der pingelige Büronachbar hat das Loch im Strumpf entdeckt, oder die gertenschlanke Kollegin hat bemerkt, dass man schon wieder zwei Kilo zugenommen hat. Wir schämen uns, wenn wir glauben, von der Norm abzuweichen, zu scheitern oder etwas falsch gemacht zu haben. Also sind wir bemüht, uns an die herrschenden Regeln und Normen in Familie, Schule und Gesellschaft anzupassen.

Erst zwischen dem 18. und 24. Altersmonat erkennt sich ein Kleinkind im Spiegel und entwickelt langsam ein Selbst- und Fremdbild. Ab dem siebten Lebensjahr haben 80 Prozent aller Kinder ein ausgeprägtes Schamgefühl, wie psychologische Studien zeigen. Scham, Beschämung und Schamprävention sind der Dreh- und Angelpunkt für die Sozialisation und die Erziehung. Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Schamgefühl bei augenfälliger Blossstellung und der natürlichen Körperscham, die uns dazu dient, unsere Intimsphäre zu schützen.

Doch wie können Eltern Kindern helfen, die unsicher und verlegen reagieren? Zentral ist die Frage, warum sich das Kind schämt. Beschwichtigende Sätze wie «Das ist doch nicht so schlimm» oder «Wenn dich die anderen auslachen, geht die Welt nicht unter» sind kontraproduktiv. Das verlegene Kind erlebt die Situation als furchtbar und weiss nicht, wie es damit umgehen soll. Überlegen Sie also mit dem Kind, ob es vielleicht zu hohe Ansprüche an sich selbst stellt und wie diese abgeschwächt werden können – oder ob andere Verhaltensweisen hilfreicher sind. Hat das Kind beispielsweise Probleme, frei zu sprechen, könnte es sich einer Theatergruppe anschliessen. Am wichtigsten ist, die Stärken zu betonen, die in jedem Kind angelegt sind. Wenn es weiss, dass es darin unterstützt wird, stellt sich der Erfolg ein. So wächst das Selbstbewusstsein. Und das hilft über brenzlige Situationen hinweg.

Mein Schulkollege Bernd konnte Fussball spielen wie keiner aus unserer Klasse. Er wurde der Beste im Fussballverein und gewann unseren Respekt und unsere Anerkennung. Und als er ein gefeierter Fussballheld war, hatte es ein Ende mit dem Gestammel. Wenn er dann trotzdem wieder einmal verlegen wurde, musste er grinsen, und die Schamröte verblich.