Die ersten und die letzten Fragen im Leben können wir nicht selbst beantworten. Nach unserer Geburt geben Mama und Papa bereitwillig Auskunft, ob wir ein Bub oder ein Mädchen sind, ob wir schon durchschlafen, bereits zahnen oder schon gehen können. Sobald wir selber reden können, werden wir mit Fragen bombardiert: Womit wir am liebsten spielen, was wir mal werden wollen und ob wir schon zur Schule gehen. Im Grunde genommen zielen all diese Fragen auf das Gleiche ab: Entwickelt sich das Kind normal?

Etwas später kommt dann unweigerlich die Frage nach dem Schulschatz: Was liegt da im grünen Bereich? Ab welchem Alter hat man einen? Wie viele? Was ist normal? Das fragte mich neulich ein besorgter Vater am Beratungstelefon. Er war etwas verunsichert, weil sein 17-jähriger Sohn noch nie für jemanden irgendwelche romantischen Gefühle gehegt hat. Ist das normal? In dieselbe Richtung zielte die Frage einer Mutter, deren 12-jährige Tochter anscheinend alle zwei Monate «mit einem anderen geht».

Seit es immer mehr Scheidungen gibt, zwischen Lebenspartner und Lebensabschnittspartner unterschieden wird und sich jeder Vater und jede Mutter bewusst ist, dass «das Schätzli» des Sohnes vielleicht ein anderer Junge sein könnte und sich die Tochter vielleicht in ein Mädchen verliebt, ist das Beziehungsleben schon bei Kindern variantenreicher geworden – und folglich die Sorgen der Eltern auch.

Sie ist noch lange kein Flittchen

Verständlich, dass sich die besagte Mutter und der besagte Vater Gedanken machen, ob sich ihre Kinder zu beziehungsfähigen und treuen Partnern entwickeln. Grund zur Sorge haben beide nicht – solange sich der junge Mann nicht von der Umwelt abkapselt und die 12-Jährige nicht von Bett zu Bett hüpft. Wichtig ist, dass beide sozial integriert sind. Dass ein 17-Jähriger noch nie eine Beziehung hatte, heisst nicht, dass er sich nie auf jemanden einlassen wird – das war die Angst seines Vaters. Auch die Mutter des vorpubertierenden Mädchens konnte ich beruhigen: Dass sie dauernd für jemand anderen schwärmt, macht aus ihr noch lange kein Flittchen. Alles im grünen Bereich.

Während es im Erwachsenenalter in Liebesbeziehungen darum geht, dass man füreinander da ist, gemeinsam Verantwortung übernimmt und einen Lebensplan entwirft, verfolgt Jugendliebe einen ganz anderen Zweck: Kinder und Jugendliche, die «miteinander gehen», machen sich zusammen auf die Suche nach der eigenen Identität. Dank ihrem Gegenüber lernen sie sich selbst kennen, nehmen eigene Bedürfnisse wahr und finden heraus, womit sie bei anderen punkten und womit sie eher auf Ablehnung stossen. Es geht ihnen um den Erwerb von sozialen und emotionalen Kompetenzen.

Das ist auch unter Kollegen so, aber schon Kinder und Jugendliche haben ein gutes Gespür dafür, wer Kollege, wer Freund und wer der oder die Auserwählte ist. Das hat jedoch nicht zwingend zur Folge, dass sich der Grad von gegenseitiger Abhängigkeit, Verbindlichkeit und dem Bekenntnis zum anderen gross unterscheidet. Zumindest so lange, bis sexuelle Bedürfnisse eine Rolle spielen. Wann das der Fall ist, ist – wie bei allen Entwicklungsschritten – auch wieder bei allen Jugendlichen unterschiedlich. Noch Fragen?