Giaco schläft. Unter seinem dichten Fell bewegt sich der Brustkasten gleichmässig auf und ab und bringt die silbernen Nadelenden zum Wippen. Acht Akupunkturnadeln stecken im Rücken des elfjährigen Golden Retriever. In stoischer Ruhe liess er sie von Tierärztin Barbara Bachmann gegen seine Altersarthrose setzen. Dann bekam er ein Hundeguetsli, machte es sich zu Füssen seines Frauchens bequem und nickte umgehend ein.

Mit einem Bund Nadeln im Mundwinkel und einem Stapel Patientenkarten in den Händen verlässt Barbara Bachmann den niedrigen Raum im alten Bauernschopf im zürcherischen Dübendorf und sitzt nun im angrenzenden, ebenso kleinen Zimmer vor ihrem nächsten Patienten. Auch der siebenjährige Langhaarschäfer Fly leidet an geschwollenen Gelenken, und auch ihm schaut die Ärztin zuerst tief in die Augen, um danach konzentriert Rücken und Beingelenke abzutasten. «Ich weiss, wo die heiklen Stellen auf den Meridianen liegen. Wenn ich auf die entsprechenden Punkte drücke, reagiert das Tier, und ich bin mir sicher richtigzuliegen.» Einmal zuckt Fly kaum merklich zusammen, sonst wedelt sein Schwanz kräftig hin und her.

Vor 20 Jahren zählte die damals frisch promovierte Veterinärin zu den Pionieren in der Schweiz. Als junge Doktorandin spitzte sie die Ohren, als in einer Vorlesung das Thema Akupunktur bei Tieren zur Sprache kam. Sie bildete sich in den USA und in China weiter, und schliesslich kehrte sie der Schulmedizin den Rücken. An der Wand ihrer Praxis hängt ein Unikat: «Die Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Zürich ernennt Barbara Bachmann, geboren 1959, aufgrund der Dissertation ‹Untersuchungen zur Akupunktur: Elektrische Hautwiderstandsmessung zur Lokalisation von Akupunkten bei Kühen. Energieverlust von Helium-Neon-Laserstrahlen beim Durchdringen von Kuh- und Schweinehaut› zum Doktor der Veterinärmedizin. Zürich, 1989.» Ihre Berufskollegen reagierten erst mit Skepsis. Was wollte diese junge Frau, die ihre Patienten fortan nicht mehr mit Antibiotika, sondern mit Nadeln behandelte? Im ersten Jahr überwiesen sie vorwiegend hoffnungslose Fälle, bei denen sie nicht weiterwussten. Bald war das Wartezimmer der Frau Doktor rappelvoll.

«Akupunktur ist Teil der seit rund 4000 Jahren angewandten traditionellen chinesischen Medizin», steht in dem Prospekt, der im Wartezimmer liegt. Nach chinesischer Vorstellung ist eine Krankheit Ausdruck dafür, dass das energetische Gleichgewicht des Organismus gestört ist und Energieströme nicht mehr frei fliessen. Bei der Akupunktur geht es darum, mit Nadelstichen «Energiepunkte» zu reizen, die sich auf sogenannten Meridianen befinden – Energieströmen, die den Körper durchziehen sollen.

An drei Tagen die Woche behandelt Barbara Bachmann Kleintiere: Hunde, Katzen, Meerschweinchen oder Kaninchen. Etwa jenes, das zu Schlafstörungen bei seiner kleinen Besitzerin führte. «Der Chüngel schnarchte so laut, dass etwas geschehen musste», so Bachmann – nach einmaliger Behandlung war Ruhe im Schlafzimmer. An den anderen Tagen ist sie in Zürich und im Thurgau unterwegs, wo sie mit ihrer Familie auf einem Bauernhof wohnt, und behandelt Pferde, Kühe, Esel, Schafe und Ziegen. So etwa die Geissen eines Gemeinschaftszentrums in Zürich. Die Tiere hätten vom Arzt Antibiotika verschrieben bekommen und litten seither unter Verstopfung, erzählt die Verwalterin am Telefon. Auf ihrer nachmittäglichen Tour wird Barbara Bachmann einen Augenschein nehmen.

An diesem Morgen trippelt ein Hund nach dem anderen in die Praxis. Es ist ein Kommen, Gehen, Beschnüffeln, Wedeln. Auf Bachmanns jeweilige Eröffnungsfrage, wie es dem Tier gehe, berichten ausnahmslos alle Besitzer von spürbaren Verbesserungen. Auch Flys Frauchen lächelt. Nachdem ihr Liebling seiner geschwollenen Gelenke wegen über Wochen schlappgemacht hatte, sei er in den zurückliegenden Tagen wieder voller Freude mit ihr aufgestanden. «Der ganze Hund war blockiert», sagt die Ärztin, «seine Meridiane waren verstopft, das konnten wir schön lösen.» Fly zählt zu Bachmanns Stammkunden. Es gab Zeiten, in denen jede Woche Nadeln in seinem Fell steckten: wegen Augenproblemen, eingeklemmten Nerven, Wachstumsschüben. «Und jedes Mal konnte Frau Bachmann uns weiterhelfen, nicht wahr, Fly?» Schwanzwedeln scheint die Wahrnehmung der Besitzerin zu bestätigen.

Vom Pferd bis zum Meerschweinchen: Barbara Bachmann behandelt sie alle mit Akupunktur.

Quelle: Gerry Nitsch

Im Nebenraum lächelt auch Kayans Besitzerin zufrieden und streichelt das grosse Nadelkissen zu ihren Füssen. Der dreijährige Berner Sennenhund wurde vor sechs Wochen von einem Rüden am Nacken gepackt und gebissen. Sorgsam hält er die Vorderbeine gestreckt, denn auch in den Pfoten stecken Nadeln. «Es geht ihm um Welten besser», sagt seine Besitzerin. Anfangs wollte Kayan kaum mehr aufstehen. «Dank Bärbels Hilfe trabt er aber inzwischen wieder fröhlich hinter mir her.»

In den kleinen Räumen wird es nun nochmals enger, als zwei weitere Berner Sennenhunde hereinmarschieren. Der fünfjährige Basco und die elfjährige Cherry wurden über Jahre misshandelt, bis sie bei ihrer heutigen Besitzerin unterkamen.

Die Hunde verloren kontinuierlich Urin und heulten mitunter nächtelang. «Manchmal konnten mein Mann und ich kein Auge zutun.» Die Ärzte am Tierspital, Internisten, Gynäkologen und andere Spezialisten wussten nicht weiter. Dann hörte die Besitzerin von Barbara Bachmann. «Es ist nicht mit Geld zu bezahlen, was Bärbel für uns alle getan hat. Bascos und Cherrys Psychen haben sich deutlich erholt.»

Bis heute fehlen wissenschaftliche Beweise für den Nutzen der Akupunktur bei Tieren. Den beim Menschen oft geltend gemachten Placeboeffekt beobachtet Barbara Bachmann aber auch bei Tieren. «Während der Behandlung merken sie, dass sich alles um sie dreht. Auch die Besitzer kümmern sich in diesen Momenten mit besonderer Aufmerksamkeit um ihre Tiere. Schon das kann für eine Heilung hilfreich sein.» Darüber hinaus ist Barbara Bachmann der Meinung, dass sich längst nicht alles mit Nadeln kurieren lasse. «Bei Epilepsien oder Infektionskrankheiten kann man unterstützend zur Schulmedizin behandeln. Und auch bei Krebs kann ich nichts gegen den Tumor selbst tun, wohl aber etwas gegen die Schmerzen.» Das erlebt sie gegenwärtig auch mit ihrem eigenen Hund. Der 13-jährige Mischling Bipo begleitet sie auf Schritt und Tritt und legt sich während der Behandlungen seiner Artgenossen so hin, dass er immer etwas im Weg ist und sicher nicht vergessen geht. In Bipos rasiertem Bauch wuchert Darmkrebs. Seit seiner Operation behandelt ihn Barbara Bachmann regelmässig mit Misteln und Nadeln.

Wenn bei ihren übrigen Patienten nach drei bis fünf Malen keine spürbare Besserung eintritt, überweist sie an einen Schulmediziner. «Ich fackle nicht lange.» Nun lacht sie: «Manchmal aber fackle ich ein Tier ab.» Etwa den kleinen Metz, der nun zitternd vor ihr steht. Beim zwölfjährigen Mischling diagnostiziert sie eine Schwäche in den Beinen, legt ihre Hände um seine Ohren und befindet diese als zu kühl. Dann setzt sie Nadeln, greift zu einem mit Beifuss gefüllten Räucherstab, zündet diesen an und hält die Glut auf das Nadelende. Das Metall leitet die Wärme direkt in den Körper. Kurz darauf legt sich Metz hin und lässt sich vertrauensvoll beräuchern.

Barbara Bachmann behandelt mit Leib und Seele – tagein, tagaus. Und immer wieder freut sie sich über Überraschungen. Etwa über die Chihuahua-Dame, die nach ihrem ersten Wurf die Ohren hängen liess. Nach einmaliger Behandlung standen die Ohren wieder. Oder die Katze, die zu markieren begann, nachdem ihre Besitzerin ein Kind zur Welt gebracht hatte. Barbara Bachmann behandelte die Lebergegend der Katze, woraufhin sie wieder stubenrein war. Wo klassische Mediziner den Kopf schütteln, sieht die Akupunkteurin eine Bedeutung: Dem Tier war etwas über die Leber gekrochen.